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Premierenkritik

Der Prophet

in den

Banlieues



Gregory Kunde als Le Prophète von Giacomo Meyerbeer an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß

Musikalische Bewertung:    



Der italienische Dirigent und Meyerbeer-Kenner Enrique Mazzola dirigierte die gestrige Premiere Le Prophète an der DOB mit so viel zauberischer Wucht & Leichtigkeit, dass mir die reine Hör-Zeit dieses fünfaktigen Groß-Schinkens schier wie im Fluge zu vergehen schien. Sein großartiger Funke sprang vom einen zum andern Musiker des fulminant gut drauf seienden Orchesters der Deutschen Oper Berlin, einem (nicht nur) in puncto Meyerbeer einzig-erfahrenen und also durchtrainierten Klangkörper, über - doch nicht nur im Graben, nein, auch hinten (auf der Bühne) sowie vorn (im Saal) wollte und sollte die von Grund auf allerbeste Stimmung explodieren; und das claqueuristische Geschrei vor den zwei Pausen und zum Schluss erhielt so, selbst wenn's nicht dann einbestellt gewesen sein dürfte, eine gewisse Nachvollziehbarkeit oder sogar Berechtigung!

Bulldozerisches Bollwerk dieser viereinhalbstündigen Großveranstaltung war allerdings der von Jeremy Bines vorzüglich einstudierte Chor der Deutschen Oper Berlin! Er demonstrierte hier - was Opernchöre eigentlich dann meistens tun - "des Volkes Stimme". Und er tat es diesmal freilich so, dass Einem regelrecht fast mulmig wurde bei dem fürchterlichen Angstgedanken, jemals je von einer derart aufgebrachten Volks-Horde, einem zum rotrauschigen Töten aufgehetzten Mob draußen erlangt zu werden - außer mehrfach durchgestoch'nem oder plattgedrosch'nem Fleisch und hingespritztem Hirn und Blut bliebe da nicht viel weiter übrig. Gott bewahre uns vor solchem communardem Abgrund!!!




Chorszene mit Gregory Kunde als Ex-Gastwirt aus Le Prophète an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß


Es gibt drei ProtagonistInnen in der Geschichte: Gastwirt, Gastwirtmutter, Gastwirtliebste. Durch für diese Drei recht unvorhersehbar gewesene Entwicklungen geraten sie urplötzlich auseinander. Aus dem Gastwirt tut sich (wegen einer salafistisch anmutenden Einvernahme durch "werbende" Dritte) ein Prophet in Gottes Namen metamorphisieren, der der Reihe nach zuerst die Liebste und danach die eigne Mutter der Verleumdung Preis gibt. Letzten Endes siegt jedoch - so wie im wahren Leben meistens auch - die große Übermutter; und am Schluss schließt sich der innerfamiliäre Kreis, im Chaos und auch tödlich, aber immerhin, er schließt sich halt dann wieder.

Der US-amerikanische Heldentenor Gregory Kunde (als Jean de Leyde), die französische Mezzosopranistin Clémentine Margaine (als Fidès) und die russische Sopranistin Elena Tsallagova (als Berthe) waren zuständig für das besagte Trio - Kunde hielt seine Mordspartie sehr tapfer (und auch unbeschadet) durch, während die beiden Frauen (vollkommen zurecht!!) nach ihrer schweißtreibenden Arbeit mit einhelligem Orkanbeifall belobigt wurden; ihre Einzel- sowie Doppelauftritte: sensationell!!




Elena Tsallagova (li.) als Gastwirtliebste und Clémentine Margaine als Gastwirtmutter in Le Prophète von Giacomo Meyerbeer an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bettina Stöß


Dann gab es noch den DOB-Topliebling Seth Carico (als Graf Oberthal), welcher den vom Propheten und den drei ihn installiert habenden sog. Wiedertäufern (Derek Welton, Andrew Dickinson und Noel Bouley) vorübergehend Abgelösten also in den herrschaftlichen Machtbefugnissen Vorausgegangenen sehr überzeugend darzustellen wusste.

* *

"Le Prophète erzählt Entstehung und Untergang des Regimes, das die protestantische Sekte der Wiedertäufer 1535 im westfälischen Münster errichtete. Durch die Willkürherrschaft der katholischen Obrigkeit wird der Gastwirt Jean de Leyde dazu gebracht, sich an die Spitze dieser fundamentalistischen Gruppierung zu stellen. Bald jedoch muss er erkennen, dass die Revolutionäre ebenso korrupt sind wie die alten Machthaber. Schon bei der Uraufführung wurde Le Prophète jedoch auch als Kommentar zur Revolution von 1848 begriffen – und tatsächlich erscheint diese Geschichte über die Instrumentalisierung von Religion zur Errichtung eines 'Gottesstaates' heute genauso aktuell wie zu Lebzeiten Meyerbeers."

(Quelle: deutscheoperberlin.de)

*

Olivier Py [dessen erste Opernregie auf deutschem Boden, La forza del destino, wir in Köln 2012 begutachteten] ließ sich nun als Regisseur und Choreograf (!) für das Prestige-Projekt der DOB, dem Abschluss ihres vierteiligen Meyerbeer-Zyklus [s. Links unten!], verpflichten.

Seine arbeitliche Schwergewichtung, wie zu sehen war, tendierte insgesamter Maßen mehr in Richtung Tanz als der den Rest des Personals (außer den schönen Tänzerinnen und Tänzern [Namen s.u.]) positionieren und bewegen müssenden Personenführung sprich Regie. Das führte schlussendlich zu einer absolut sich mitteilenden Generalverflachung der durch diese Oper vorgeschlagenen Thematik resp. Auch-Thematik der "Instrumentalisierung von Religion zur Errichtung eines 'Gottesstaates'".

Drastisch ausgedrückt: Statt Tod, Verstümmelungen und Gewaltexzesse, welche allesamt als Folgen oder Kollateralschäden anarchistischer und/oder revolutionärer Auswüchse begreifbar sind, gewissermaßen vorzuführen, wird das Auge permanent mit schön-erotisch Anzuschauendem beglückt, verführt und also abgelenkt. Konkrete Zuspitzung erreichte dieser ballettöse Ästhetizismus durch die ganz in rotem Pufflicht stilisierte Sex-Soft-Orgie kurz vor Ende der Grand Opéra - - natürlich gafft man viel, viel lieber auf sich mit artistischer Verrenkung beim Geschlechtsakt (tänzerisch) verausgabende Nackedeis als sich womöglich ein abschließendes Privaturteil hinsichtlich eines "Kommentar(s) zur Revolution von 1848" zu machen. Erotik, Sex zieh'n allgemein hinan...

Allein die Bühne von Pierre-André Weitz mit ihren angedeuteten Banlieues verwies dezent darauf, was hätte möglich sein können, wenn Le Prophète in dieser Richtung konsequent realisiert worden wäre; Punkt.

Chance vertan, und zwar total.


Andre Sokolowski - 27. November 2017
ID 10397
LE PROPHÈTE (Deutsche Oper Berlin, 26.11.2017)
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola
Inszenierung: Olivier Py
Bühne und Kostüme: Pierre-André Weitz
Licht: Bertrand Killy
Chöre: Jeremy Bines
Kinderchor: Christian Lindhorst
Dramaturgie: Jörg Königsdorf und Katharina Duda
Besetzung:
Jean de Leyde ... Gregory Kunde
Fidès ... Clémentine Margaine
Berthe ... Elena Tsallagova
Zacharie ... Derek Welton
Jonas ... Andrew Dickinson
Mathisen ... Noel Bouley
Graf Oberthal ... Seth Carico
1. Bäuerin ... Sandra Hamaoui
2. Bäuerin ... Davia Bouley
1. Bauer / 1. Wiedertäufer / Bürger / Soldat ... Ya-Chung Huang
2. Bauer / 2. Wiedertäufer ... Taras Berezhansky
Offizier ... Gideon Poppe
3. Bürger ... Dean Murphy
4. Bürger ... Byung Gil Kim
TänzerInnen: Vasna Felicia Aguilar, Anna Athanasiou, Laura Giuntoli, Veselina Handzhieva, Denise Noack, Jeanna Serikbayeva sowie Derrick Amanatidis, Uri Burger, Alexander Fend, Thomas Hart, Pierre Henrion (als Engel), Abraham Iglesias, Stefano Marietta, Miguel Sanchez, Filippo Serra und Petr Zalonchkovsky
Kinderchor, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 26. November 2017.
Weitere Termine: 30.11. / 03., 09., 16.12.2017 // 04., 07.01.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


http://www.andre-sokolowski.de

Opernpremieren

Rosinenpicken

Meyerbeer-Zyklus an der DOB:
Dinorah (01.10.2014)
Vasco da Gama (04.10.2015)
Les Huguenots (13.11.2016)



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