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Uraufführung

Abschüssig

bergab durch

die Spalte


SCHNEE WEISS
von Elfriede Jelinek


Schnee Weiss von Elfriede Jelinek - uraufgeführt am Schauspiel Köln | Foto (C) Tommy Hetzel

Bewertung:    



Die Erfindung der alten Leier lautet der Untertitel zu Elfriede Jelineks Drama Schnee Weiss, das Stefan Bachmann, der Intendant vom Schauspiel Köln, jetzt im Depot 2 zur Uraufführung brachte.

Tatsächlich beschäftigt sich die österreichische Literaturnobelpreisträgerin in Schnee Weiss wieder mit ihrer Heimat und widmet sich erneut den übereifrigen Anstrengungen im Massenphänomen Leistungssport sowie lange verheimlichten Missbrauchsfällen in einer repressiven, frauenverachtenden, hierarchisch strukturierten Gesellschaft. Inspiriert wurde ihr Drama diesmal unter anderem von Nicola Werdenigg, einer ehemaligen Skiläuferin und österreichischen Abfahrtsmeisterin. Diese machte 2017 Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe auf Wettkämpfen und in österreichischen Skiinternaten und Trainingslagern in den 1970er und 1980er Jahren öffentlich.

Die sechs Darsteller des Ensembles tragen in der etwa zweistündigen Vorführung elend lange Textgebirge vor. Das frei assoziative, kulturkritisch-diskursive Textmonstrum wird auch für sie bei der Premiere zur spannungsvollen, meist monologischen Herausforderung. Kleine Aussetzer meistern Margot Gödrös und Lola Klamroth, indem sie diese schauspielerisch einbinden; die 79jährige Gödrös fragt so einmal: „Ja, was sagt er denn, der Gott?“, worauf die Souffleuse sogleich einen Texteinstieg einwirft.

Im Zentrum der Bühne ragt ein weißer Hügel auf wie ein Schneeberg oder eine Piste. Kunstvoll platziert ist er auf einen ornamentengeschmückten Boden wie ein verziertes Törtchen auf einem Teller (Bühne: Jana Findeklee, Joki Tewes). Später wird dieser Hügel mehrmals um die eigene Achse gedreht. Auf der Rückseite des Hügels ergibt sich ein Hohlraum, in dem die Zuschauer Einsicht in einen urtümlichen, küchenähnlichen Raum gewinnen.

Stefan Bachmann wählte (wie bereits für Jelineks Winterreise) erneut den volkstümlichen Schlager „Ein Stern (… der deinen Namen trägt)“ von Nik P. beziehungsweise im Cover von DJ Ötzi als Sounduntermalung; diesmal nicht als Rausschmeißer, sondern für den Einstieg in die Vorführung. Zu dem laut dröhnenden, in Endlosschleife erklingenden Ballermann-Refrain umkreisen die vier jüngeren Darsteller in Skimontur im schnellen Tempo den Hügel. Sie erklimmen ihn und fahren auf Skiern hinunter. Später bewegen sie sich tänzelnd in eleganten Festkleidern zur Jahreszeit passend auch noch zu Christmas Classics, wie „Last Christmas“ von Wham!

Wie Rauch, der später aus dem Altar des Innenraums der küchenähnlichen Höhle dringt und eine raumgreifende Wolke bildet, verbreiten sich die assoziativen Gedanken und Worte Jelineks. Da gibt es Sätze, wie „Jede Frau hat eine Spalte, bei der man sie ergreifen kann“ oder „Ja, und diese Spalte kann Hölle werden, Jahrzehnte später noch, wenn sich ein Vorfall zuträgt und anderen zugetragen wird, wenn Belästigung vorgeworfen wird, wenn öffentlich nur wenige Details preisgegeben werden“. Eindringlich wird eine geläufige Rhetorik aus der Sportwelt mit Bezügen zu sexuellen Missbrauch verknüpft: „Man soll nicht versuchen, ein 17 Jahre altes Mädchen zu vergewaltigen, das wiegt schwer, doch wer gut schmiert, der gut fährt.“ Oder: „Das sind Verfehlungen, das sind alles Verfehlungen, ja, auch das mit dem Tor, welches verfehlt wurde.“

Jelinek macht auf hohle Leere in den Phrasen aufmerksam, indem sie die Vieldeutigkeit von Worten fokussiert. Sie thematisiert Vorstellungen von Pflicht, Schuld und Verantwortung. Das Drama arbeitet mit Mechanismen der Ironie, wenn biblische Themen eingebettet werden. So lassen gleich zwei Jesusfiguren in Nacktkostümen vermuten, dass hinter Gott als Allvater auch der Skivater, der Rektor und der Chef des Skiverbandes stecken könnten. Der abgeschnittene Kopf von Johannes dem Täufer erklärt freiheraus, dass er die Salome gedenke zu überleben. Es gibt archaisch sexualisierte Rituale, wenn sich gehörnte Männer in Nacktkostümen an einer Wassermelone verlustieren. Thematisiert wird nicht nur ein vom Sport ausgehendes Unglück, nein, auch dass die Zuschauer noch auf anstößige Tweets hierzu warteten. Und die Frauen werden ja sowieso überhört, wenn sie ihre Stimme erheben, wie auch schon in Ovids mythologischen Epos Metamorphosen, worauf das Programmheft zum Drama hinweist. In Schnee Weiss heißt es: „…und wir schweigen sowieso still, man würde uns nicht hören.“

In Jelineks Potpourri werden allerlei heilige Kühe im rechtsrechten Österreich geschlachtet, etwa ob es gut sein muss, immer unbedingt Erste oder Erster sein zu wollen. Schnee Weiss ist ein Drama gegen die Verdrängung, das Machtspiele angreift und entlarvt. Doch ebenso, wie man im Lauf der Herde auf dem Weg zu überfüllten Stadien und Pisten offensichtlich aus dem Schlepplift fallen kann, geht man auch in Jelineks Textwüste arg schnell verloren und muss sich immer wieder zwingen, die Ohren bereitwillig zu spitzen.



Schnee Weiss von Elfriede Jelinek - uraufgeführt am Schauspiel Köln | Foto (C) Tommy Hetzel

Ansgar Skoda - 23. Dezember 2018
ID 11121
SCHNEE WEISS (Depot 2, 21.12.2018)
Regie: Stefan Bachmann
Bühne / Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes
Komposition und musikalische Einrichtung: Gajek
Choreografie / Körperarbeit: Sabina Perry
Licht: Michael Gööck
Dramaturgie: Beate Heine
Mit: Margot Gödrös, Simon Kirsch, Lola Klamroth, Peter Knaack. Nikolay Sidorenko und Sabine Waibel
Uraufführung am Schauspiel Köln: 21. Dezember 2018
Weitere Termine: 12., 13., 24., 31.01. / 03., 20., 21.02.2019


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel.koeln


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