Terrorismusdiskurs
DIE GERECHTEN von Albert Camus am Maxim Gorki Theater
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Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Als Ausgleich zum Theater inszenierte Sebastian Baumgarten immer öfter auch Opern wie etwa den Tannhäuser in Bayreuth oder Operetten wie Im weißen Rössl an der Komischen Oper Berlin. Ebenso komisch ist zuweilen auch sein Operettenstadl, den er seit einigen Jahren auch im Maxim Gorki Theater abhält. Baumgartens Regietalent besteht im verulken ernsthafter Stoffe wie etwa Heiner Müllers Zement oder Bertolt Brechts Im Dickicht der Städte. Nachdem er sich bereits eingehend mit Jean Paul Sartre und Albert Camus beschäftigt hatte, fehlte irgendwie noch Camus Stück Die Gerechten als Gegenthese zu Sartres Terroristendrama Die schmutzigen Hände. Voila, hier ist es.
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Baumgartens Comic-Ästhetik zeigt sich bereits im anfänglichen Zeichentrickfilm, der an die russische Avantgarde angelehnt einen kleinen schwarz-weißer Propagandastreifen (Zeichnungen: Christine Ruynat) nachstellt. Später zeigt ein Videofilm eine Detonation einer Autobombe und die 5 ProtagonistInnen (Mazen Aljubbeh, Jonas Dassler, Lea Draeger, Aram Tafreshian und Till Wonka) des Gorki-Ensembles treten in historischen Kostümen an die Rampe. Sie tragen wechselnd die Apokalypse des Johannes aus der Bibel vor. Die Apokalypse der Neuzeit ist der Terror religiöser Fanatiker von Al Kaida bis zum IS. Für politische Ziele wurde allerdings schon im vorrevolutionären Russland gebombt. Camus Drama beschreibt in Anlehnung an einen wahren Fall, die Diskussionen in einer 5köpfigen Terrorzelle in Russland im Jahr 1905. Die Sozialrevolutionäre Annenkov, Woinow, Dora, Kaljajev und Stepan planen ein Attentat auf den Großfürsten Sergej und geraten, nachdem Kaljajev beim ersten Versuch abbricht, da die Neffen des Großfürsten mit in der Kutsche sitzen, in Streit über die Moral des Tötens für eine gerechte Sache. Der zweite Versuch Kaljajevs gelingt. Er wird festgenommen und hingerichtet, worauf die Gruppe ein weiteres Attentat beschließt.
Ob nun politischer Mord im Namen der Gerechtigkeit legitim ist, da scheiden sich die Geister. Die bürgerliche Moral setzt da ganz klare Grenzen. Das 1949 von Camus geschriebene Stück ist in der Hinsicht anstrengendes Thesentheater, jede der Gruppe verkörpert hier eine andere Sichtweise. Idealismus, Fanatismus, Pragmatismus oder auch Unschlüssigkeit und Feigheit zeichnen die einzelnen Mitglieder aus. Auch Sartre und Camus waren sich hier nicht einig. Während man Sartre vorwarf, den Terror Stalins für die gerechte Sache des Sozialismus zu billigen, übte Camus bürgerliche Ideologiekritik. Sein Stück zeigt den Moralisten, den Mörder mit Skrupel. Davon kann man z.B. bei heutigen Selbstmordattentätern eigentlich kaum noch ausgehen. Trotzdem ist die Diskussion darüber natürlich nicht gänzlich uninteressant. Tyrannenmord ist ja schon Camus Thema im Caligula, das allerdings mit Sicht auf Hitlers Tyrannei und den gerade beendeten Zweiten Weltkrieg.
Baumgarten schert sich nicht allzu viel um Camus Intensionen. Er lässt Figurenkabarett spielen mit überzogenen Gesten, Geräuschen und comicartigem Videohintergrund, der mal Stube, Café, Parkhaus oder S-Bahn-Wagon darstellt. Begleitet wird das durch Klaviermusik von Pianist Daniel Regenberg im Stile eines Stummfilms. In der Bühnenkulisse liegen Autoreifen, die auch mal zu Barrikaden gestapelt werden. Dahinter verschanzen sich wahlweise Moral, Idealismus oder fanatisches Beharren auf die Sache mit ihren Argumenten. Als Unterfütterung des moralischen Dilemmas unserer Zeit gibt es Zitatschnipsel von Walter Benjamin, ebenso zerrissen wie Camus zwischen Idealismus und Ideologiekritik, aus seiner Schrift Zur Kritik der Gewalt, Slavoj Žižek, dem modernen Guru linker Theorien, oder Arjun Appadurai, der in seinem Buch Die Geografie des Zorns über die „Kultur des Kampfs“ narzisstischer Minderheiten im Zeitalter globaler kultureller Angleichung schreibt.
Das ist sicher alles höchst interessant und daran erkennt man auch den Castorf-Schüler. Allerdings lässt Baumgarten seine Schauspieler zwischen den einzelnen Kapiteln, die mit „Schuld“, „Zweifel“ oder „Sühne“ bezeichnet sind, in weiß-blauen Overalls an der Rampe auftreten und das Publikum frontal mit diesen Thesenschnipseln derart beballern, das man kaum Zeit zum Nachdenken findet. Danach geht es weiter mit Ulknummern, Koffer-Slapstick, Maskerade und einem Auftritt von Lea Draeger als Witwe des Großfürsten im Madonnengewand, die den Attentäter Kaljajev (Aram Tafreshian) im Gefängnis zum Bereuen bewegen will. Damit dringt die Inszenierung nicht wirklich zum Kern des Problems vor, wie die verschiedenen Motivationen und Arten modernen Terrorismus‘ zu bewerten wären, noch ließe sich damit eine wirksame Ideologiekritik erreichen. Sebastian Baumgarten scheitert schon beim Versuch, das halbwegs adäquat auf der Bühne umzusetzen.
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Stefan Bock - 2. Oktober 2018 ID 10950
DIE GERECHTEN (Maxim Gorki Theater, 30.09.2018)
Regie: Sebastian Baumgarten
Bühne: Jana Wassong
Kostüme: Christina Schmitt
Video: Hannah Dörr
Zeichnungen: Christine Ruynat
Musik und Live-Piano: Daniel Regenberg
Dramaturgie: Ludwig Haugk
Mit: Mazen Aljubbeh, Jonas Dassler, Lea Draeger, Aram Tafreshian und Till Wonka
Premiere war am 29. September 2018.
Weitere Termine: 06., 23.10. / 04., 09.11.2018
Weitere Infos siehe auch: http://gorki.de
Post an Stefan Bock
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