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Castorfopern (17)

Faust eins



Faust von Gounod (Regie: Frank Castorf) an der Oper Stuttgart | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Seit Frank Castorf "seinen" Wagner-Ring (2013-2017) in Bayreuth ungeahnt und außerordentlich erfolgreich stemmte, wird er sich vielleicht vor Inszenierungsangeboten von diversen Opernhäusern nicht mehr retten können; und das könnte dann vielleicht sogar noch inflationieren, wenn er dann ab nächster Spielzeit völlig FREI sein wird - der skandalöse und so schäbige Senatsentscheid, ihn gegen den Kurator Dercon auszutauschen, um der hauptstädtischen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz schier ein neuartiges (heißt: Eventbuden-) Profil zu gönnen, schaffte dementsprechend Fakten. Vorher freilich wird der Castorf noch mal kräftig ausholen; für März ist seine VB-Abschieds-Produktion zu Goethes Faust 2 angezeigt, ja und vielleicht arbeitet er in ihr ganz prinzipiell gegen die herkömmliche Vorstellung, was so ein inszenierischer "Schwanengesang" so alles Schönes könnte, an; wir werden sehen...

*

Hochvermutlich mehr zur Quasi-Vorbereitung oder Handgelenksstudie auf/für den VB-Faust hatte sich der Regie-Star letzten Herbst zur Oper Stuttgart [ausgezeichnet mit dem Titel "Opernhaus des Jahres 2016"] hinverpflichten lassen, um dortselbst den Faust von Charles Gounod (1818-1893) zu inszenieren - ein weit über 3stündiges und mitunter nervtötendes Werk, das sich der Schreiber dieser Zeilen in den letzten Jahren beispielsweise in Berlin, in Amsterdam oder in Barcelona beiläufiger Weise zugemüte führte; und er hält dann, was das Werk betrifft, nicht viel von ihm.

In dem Gounod-Verschnitt wird - sozusagen analog dem Goethe-O-Text - Der Tragödie Erster Teil also das animalisch-maskuline Stück der beiden Faust-Brocken behandelt, wo es eigentlich nur um das Thema und die Frage geht: Aus Alt mach' Jung, ja und wie fickt es sich als Wiederjunggewordener so schön wie vor dem grauen Greisendasein? (Später, in Faust 2, kommen dann noch die Komponenten Beruf & Karriere zuzüglich mehrerer sie tangierender Themen aus Politik, Gesellschaft sowie Kunst, Kultur und Religion hinzu.)

Lange firmierte die Gounod-Oper auf deutschen Bühnen unterm Titel Margarethe.

Und, was Castorfs Inszenierung anbelangt, hätte sie jetzt auch gut und schön als Mephistopheles durchgehen können - denn die "Negativfigur" des Werkes scheint nicht nur für ihn der vorzeigbare Liebling zu bedeuten; augenscheinlich ist sie es de facto (in der Inszenierung wie im Stück) für Castorf auch! Er setzt sie jedenfalls am deutlichsten und eindrucksvollsten in das Bild, was uns das Live-Kameramänner-Duo Daniel Keller & Tobias Dusche mit den Video-Großeinstellungen verdeutlicht. Selbstverständlich hätte das dann ohne ihren schauspielernden Bassbariton Adam Palka, der dann schon das lustigste und wohl auch sprechendste Gesicht von allen Mitwirkenden hatte/machte, so nicht funktioniert. Er stellte also alle Anderen weit in den Schatten hinter sich!!

Atalla Ayan (Faust) und Mandy Fredrich (Margarethe) wirken eindimensional und bleiben in gewisser Art und Weise ungelenk; auch wenn sich Fredrich oft und spürbar widerwillig vor der Kamera um ihre eigne Achse drehen muss; es nützt ihr reinweg nix: sie singt zwar ziemlich gut (so wie auch er), aber aus ihrem Mit-dem-Castorf-Sein entstehen keine inspirierenden Impulse, also nicht für mich als Teil des zuschauenden Publikums.

Interessant: Aus Siebel hat der Regisseur eine lesbische Freundin vom Gretchen gemacht; Josy Santos kann das gut herüberbringen. Und der Marthe Schwerdtlein legt er allerlei Zitate aus diversen Fremdtexten von Kristin Ross, Charles Baudelaire und/oder Arthur Rimbaud (?) in den Mund; Iris Vermillion setzt dann diesen Ein- und Angriff imposant-glaubwürdig um!

Toll auch: Gezim Myshketa als der Gretchenbruder Valentin.

Marc Soustrot dirigiert das Staatsorchester Stuttgart, und der Staatsopernchor wurde einstudiert von Johannes Knecht.



Faust von Gounod (Regie: Frank Castorf) an der Oper Stuttgart | Foto (C) Thomas Aurin

*

Beim Sprechtheater kann sich Castorf hundert pro auf seinen Kopf-und-Bauch-Instinkt verlassen. Stücke, die er auswählt, bricht er dann so lang und oft wie er es halt für richtig hält; zumeist gelingt ihm das durch vieles Weglassen bzw. anreicherndes sowie ver- und entfremdendes Zutun. In der Oper klappt das nicht so ideal; hier kann er eben nicht so einfach weglassen - und wenn er es dann tut, muss das der Dirigent entscheiden, ob es überhaupt dann (nicht nur "technisch") möglich ist. Im Fall von Wagners Ring, wo Weglassen dann sowieso nicht funktioniert, hatte es Castorf wenigstens mit einem hochkomplex gestrickten Stück zu tun, wo Text/Musik als kongeniale Einheit zur Verfügung standen. Ganz im Gegensatz jetzt zum Gounod, wo sich das Stück an sich als schwach um nicht zusagen scheiße rausstellt; aber da er - als Musiklaie, der er ja nun mal ist - in diese Partitur halt nicht hineinzugreifen sich imstande sah und sieht, musste dieses Projekt, für dieses Mal, relativ scheitern.

Auch das großartige Bühnenbild von Aleksandar Denić (mit einem womöglich leicht ironisch verrussifizierten Paris der Gegenwart) und das gesamte Haut Couture von Adriana Braga Peretzki (mit teueren Can-Can- und abgewetzten Fremdenlegionärskostümen) konnten das nicht wesentlich zum Positiven hin beeinflussen.

Die Lehre aus der Angelegenheit müsste dann sein, in Zukunft nur die stücklich tauglichsten unter den tauglichen von allen Opern auszuwählen! Alles andere scheint uns - was Castorf als zukünftigen Musiktheater-Mann ausmachte - unnötige Zeitverschwendung zu bedeuten.




Andre Sokolowski - 18. Januar 2017
ID 9792
FAUST (Opernhaus, 16.01.2017)
Musikalische Leitung: Marc Soustrot
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denić
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Licht: Lothar Baumgarte
Videoregie: Martin Andersson
Kamera und Bildgestaltung: Tobias Dusche und Daniel Keller
Dramaturgie: Ann-Christine Mecke
Besetzung:
Faust ... Atalla Ayan
Mephistopheles ... Adam Palka
Valentin ... Gezim Myshketa
Wagner ... Michael Nagl
Margarethe ... Mandy Fredrich
Siebel ... Sophie Marilley
Marthe ... Iris Vermillion
Staatsopernchor Stuttgart
(Choreinstudierung: Johannes Knecht)
Staatsorchester Stuttgart
Premiere an der Oper Stuttgart: 30. Oktober 2016
Weitere Termine: 21., 30.01.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.oper-stuttgart.de


http://www.andre-sokolowski.de

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