Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Premierenkritik

15. Februar 2009 - Deutsche Staatsoper Berlin

FAUST von Charles Gounod



So sieht jedes Gretchen aus, sobald es seine Missgeburt vernichtet hat... Und auch Marina Poplavskaya, die als Margarete in dem FAUST des Charles Gounod unlängst brillierte, musste das, rein äußerlich, in Karsten Wiegands einleuchtender Inszenierung an der Deutschen Staatsoper Berlin unter Beweis stellen - Foto (C) Monika Rittershaus

Liebe, Lust und Leid


So Viele haben es versucht, dem Faust sich künstlerisch zu nähern. Zwischen durchaus Brauchbarem und lauter Scheiße geht der Weg zum Ruhm. Und literarisch macht das Alles noch viel mehr dann ein Problem, denn wer (von den Versuchern) kommt an Goethe schon groß ran; obgleich der selber (Goethe) sich des Faust-Buchs, also des historisch um Jahrhunderte noch vor ihm Liegenden, bemächtigte. Also was soll's. Nur zu, nur zu...

Die Meisten freilich nehmen Faust dann meistens eine Nummer kleiner, als es Goethe tat. Das heißt, dass sie sich - und zurecht - "nur" um den Grundplot mühen, ja und dieser geht dann, auch bei Goethen, so:

Ein alternder Gelehrter sehnt sich nach der eignen Jugend. Denn als Jugendlicher, so entsinnt er sich, vermochte er viel mehr als jetzt, also als müdes altes Wrack, als das er sich jetzt fühlt, zu tun. Von dieser Art von Männerleiden - das geht immer mit der Midlifecrisis (und die einen kriegen sie mit Mitte vierzig, und die andern früher oder später) - kriegt der Teufel Wind und bietet sich dem alternden Gelehrten justament als dessen Jünger und Verjüngerer, gegen ein kleines Entgelt freilich, an. Gesagt, getan. Dafür, dass er noch einmal dieses hammerartige Gefühl aller Gefühle, dieses Liebe, Lust und Leid, im Nachhinein erleben könnte, wäre er im Nu bereit, dem Teufel in die Hölle eines Tages, also wenn ihn dieses Liebe, Lust und Leid zu neuen Wissenstaten angestachelt haben würde, nachzufolgen. Selbstlos war und bleibt der Mann.

Und so begannen die Geschichten um das Gretchen und den Faust.

Auch Charles Gounod (1818-1893) hat seine große Oper mit demgleichen Gretchen-Faust-Plot zugespeist. Nur etwas anderswie gelagert. Denn bei ihm bzw. seinen beiden Librettisten Jules Barbier/Michel Carré geht alles mehr denn aus der Perspektive von Klein-Gretchen aus, weswegen diese Oper, lt. der deutschen Fassung, lange Zeit als Margarethe auf den Spielplänen der großen sowie kleinen deutschen Stadttheater auffindbar gewesen war:

Ja, Karsten Wiegand, der die Angelegenheit jetzt für die Lindenoper szenisch aufbereitete, geht sehr sehr sehr plausibel an das alles - Liebe Lust und Leid - heran; zwei Beispiele:

Man sieht das Gretchen, so wie alle jungverliebten Dinger, mit der "Abzählmargaritte" spielen; also zupft sie Blütenblatt um Blütenblatt und fragt sich unbarmherzig: "Liebt er mich? Liebt er mich nicht?" etc. pp. - Sie weiß es einfach nicht. Sie will's nicht wissen. Doch sie fühlt es, selbstverständlich; doch sie hat es halt noch nicht aus seinem Mund gehört, oder sie hat's nicht hören wollen oder so. Alles so Spielchen, die es nur im Umfeld dieses Liebe, Lust und Leid dann gibt. Ja und dann kommt er doch, na endlich! Und dann lüpft sie unverblümt ihr Nachtkleidchen und lässt ihn auf sich steigen und genießt es, selbstverständlich!!

Vorhang.



Was willst du, Alter? Lass mir bloß die Finger von der Schwester! - Roman Trekel stellt, als Valentin verkleidet, René Pape (als Mephistophéles) eindeutig zur Rede - Foto (C) Monika Rittershaus


Nach dem Vorhang, Beispiel 2:

Der Gretchen-Bruder Valentin kehrt aus dem Krieg zurück. Er war also, als Gretchen das mit Faust passierte, nicht als Gretchen-Schützer da. So konnte er natürlich nicht in live verfolgen, was da alles zwischen Faust und Gretchen abgegangen war. Zudem ist Valentin, nach einem Zeitsprung (sagen wir mal: nach 9 Monaten), endlich zu Hause wieder aufgetaucht. Aber das Wie und auch Mit-wem ist fulminant: Denn Valentin ist nicht viel mehr als Teil von einer Soldateska, die, vom Krieg traumatisiert, ihr abgekommenes Zuhause wiedersucht; die Männer haben also voll mit sich höchstselbst zu tun. Da fällt ihnen auch kaum das Blut-Gretchen, das seine Missgeburt an seiner Nabelschnur hinter sich her schleift, auf; wahrscheinlich auch so'ne Verrückte, wie sie draußen und weitab im Krieg ähnlich verrückte Weiber mit und ohne Missgeburten sahen: nichts Besonderes. / Die Szene war so stark, auf dass ich Herzrasen bekam!!



Die Ermordung Valentins durch Faust/Mephistophéles in der neuen Inszenierung FAUST, von Charles Gounod, an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) Monika Rittershaus


Wie überhaupt zwischen den Handlungsläufen vor und nach der Pause generelle Unterschiede waren. Erst das scheinbar Unzuüberschauende in einem dreistöckigen Puppen- oder Mietshaus inkl. Spielothek. Dahin hatte Mephisto "seinen" Faust geschleppt. Gretchens Zuhause, auch. Alle Bewegungen erfolgen wie auf Knopfdruck, Münzeinwurf o. s. ä. Alles sehr sehr laut und grell. - - Danach dann dieses so absichtlich-öde Einerlei auf einer leeren Bühne. Gretchens Ausgestoßenheit. Wo alles Spiel ein Ende hat und hatte. Wo zum Schluss dann nur noch Leid statt Lust und Liebe sind. Ein Spiegelbild auch für das Alter, was der Faust zugunsten eines Nochmaljungseins eingetauscht zu haben willens war. Und alles völlig für die Katz. Kein Nachfahre des Klügsten aller Klugen, nicht mal nur ein Kind...


Gespielt, gesungen, musiziert wird auf das Delikateste.

Marina Poplavskaya (als das Gretchen), Charles Castronovo (als Faust), der überwältigende Roman Trekel (Valentin) und ein mit einer kurzen Kreislaufstörung angesagter Kammersänger René Pape (als Mephisto) gaben dem Gesangsquartett weltstädtisches Format.

Die Staatskapelle Berlin wog im wohl gekannten Wohlklang; Alain Altinoglu dirigierte sie perfekt!

Der Chor der Deutschen Staatsoper Berlin brillierte sondergleichen.

Übers Maß hin hörenswert und sehenswert.


Andre Sokolowski - 16. Februar 2009
ID 00000004196
FAUST (Staatsoper Unter den Linden, 15.02.2009)
Musikalische Leitung: Alain Altinoglu
Inszenierung: Karsten Wiegand
Bühnenbild: Bärbl Hohmann
Kostüme: Ilse Welter
Besetzung: Charles Castronovo (Faust), René Pape (Méphistophélès), Roman Trekel (Valentin), Andreas Bauer (Wagner), Marina Poplavskaya (Marguerite), Silvia de la Muela (Siébel), Rosemarie Lang (Marthe)
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Staatskapelle Berlin

Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de




  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)