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"Wir sind

das Volk"



Gegen den Hass von Carolin Emcke am Schauspiel Köln | Foto © Thomas Aurin

Bewertung:    



Die Publizistin Carolin Emcke erhielt unter anderem für ihren politischen Essay Gegen den Hass 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. In ihrem Werk spürt sie gesellschaftspolitischen Abgründen nach. Sie untersucht die Wurzeln von Rassismus, Fanatismus und Demokratiefeindlichkeit anhand konkreter Vorfälle. Thomas Jonigk inszenierte bereits Didier Eribons soziologisch-autobiographischen Essay Rückkehr nach Reims in der vergangenen Spielzeit in Köln. Nun versucht er Emckes mal journalistischen und mal soziologischen Essay über gruppenbezogene Missachtung und Menschenfeindlichkeit mit Mitteln des Theaters sinnlich erfahrbar zu machen.

Lisa Däßlers reduziertes Bühnenbild zeigt eine breite, quer über die Bühne sich ziehende, weiße Wand. Diese Wand fährt mal weiter nach vorne und mal nach hinten. Sie gibt Türöffnungen frei, durch die die Figuren die Bühne betreten. Die Bewegung der Wand vermittelt auch eine Offenheit der vorgeführten Diskussionen. Diese Textflächen erinnern in ihrer Doppelbödigkeit und fehlenden perspektivischen Zuordenbarkeit an die Dramen Elfriede Jelineks. Jonigk integriert jedoch auch einige romantisch-deutsche Liedtexte von Joseph von Eichendorff in das Bühnengeschehen, die der Darsteller Justus Maier teilweise ausdrucksstark gesanglich vorträgt.

Das Geschehen beginnt damit, dass eine nackte Leiche (Justus Meier) auf einem Seziertisch auf die Bühne geschoben wird. Drei Personen mit Plastikschürzen diskutieren über die möglichen Hintergründe, die zu dem Tod des jungen Mannes führten. Der Tote war vermutlich Opfer eines Hassverbrechens. Zunächst ereifert sich Kristin Steffen über Ausgrenzung und Hass. Die Rechtsmediziner bemerken nicht, dass sich auch die Männerleiche regt. Bald artikuliert nicht nur die Leiche die eigene Opfersicht, sondern es erscheint auch behände ein in einem Menschenaffenkostüm verkleideter Darsteller (Julius Ferdinand Brauer) auf der Bühne, womit eine Fremdheit verkörpert wird. Es wird von wechselnden Sprechern im schnellen Tempo ein erzählender Text dargeboten, ohne dass die Figuren eindeutig Täter- oder Opferrollen einnehmen.

Zwei konkrete Fälle von Ausschreitung der letzten Jahre werden rekonstruiert: Rechtsextremisten belagern einen Bus mit Flüchtlingen im sächsischen Clausnitz sowie die grundlose Verhaftung und Tötung eines Schwarzen durch weiße Polizisten in Staten Island, New York. Während die Figuren auf der Bühne die Ausschreitungen in Clausnitz problematisieren, erklingen „Wir sind das Volk“-Rufe dröhnend vom Band. Zum Publikum hin richten die Figuren Fragen, etwa warum die Polizei nicht einschritt oder es keine Gegendemonstranten gab.

Wenn das Drama die sinnlose Tötung des US-Bürgers Eric Garner behandelt, werden drei gerahmte Fotos des Falles auf die Bühne gebracht. Verfremdet dokumentieren die großformatigen Bilder die rassistische Polizeigewalt gegen den Farbigen. Garner wurde durch einen Polizeigriff erwürgt, ohne dass dies rechtliche Folgen hatte. Dazwischen wird übrigens ein Foto vom Kölner Hauptbahnhof aus dem gleichen Jahr gestellt. Es soll wohl die Übergriffe von der Silvesternacht in Erinnerung rufen. Zuletzt treten die Darsteller in Schutzanzügen und scheinbar von Wind gebeutelt auf. Sie hoffen verzweifelt auf eine gerechte Demokratie, während die lebende Leiche das ganze Spektakel von der Seite betrachtet.

Die Inszenierung beginnt stark, wenn es im Text darum geht, dass zum Hassen auch gehört, dass es Menschen gibt, die einfach nicht gesehen werden. Just übersieht die Sprecherin selbst denjenigen, der kurz zuvor noch auf einem Obduktionstisch lag und sich nun um sie herum bewegt. Solcherart Feinheiten gehen jedoch bald in einem allgemeinen Furor unter. Es wird zwar in Emckes scharfsinniger Weise analysiert; dies geschieht aber in einem aufgeregten und wütenden Tonfall. Sätze werden herausgeschrien. Die Betrachtungen Emckes werden teils nüchtern unterkühlt und geradezu neunmalklug im Duktus der Selbstgefälligkeit präsentiert, verkommen aber auch immer wieder im Tonfall zu DEN Hasstiraden, die sie zu kritisieren vorgeben. Ein Anliegen oder eine Absicht in Jonigks Inszenierung ist so nicht erkennbar. Es bleibt nur die bereits totgeredete Erkenntnis, dass die Welt unübersichtlich geworden ist, Analysen zutreffen mögen aber nicht mehr greifen und von dem Moloch, den sie kritisieren, gleich mitgefressen werden.



Gegen den Hass am Schauspiel Köln | Foto © Thomas Aurin

Ansgar Skoda - 18. Oktober 2019
ID 11754
GEGEN DEN HASS (Depot 1, 16.10.2019)
Regie: Thomas Jonigk
Bühne: Lisa Däßler
Kostüme: Esther Geremus
Musik: Mathis Nitschke
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Sarah Lorenz
Mit: Jörg Ratjen, Stefko Hanushevsky, Julius Ferdinand Brauer, Kristin Steffen und Justus Maier
Uraufführung am Schauspiel Köln: 21. September 2019
Weitere Termine: 26.10. / 02., 09., 28.11. / 01.12.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln/


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