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Premierenkritik

Abgesang auf das Leben


DAS LETZTE ZIMMER von und mit den Golden Gorkis

Bewertung:    



Die letzte große Lebensaufgabe im Alter ist das Sterben. Kräfte und Fähigkeiten schwinden, Erinnerungen sind oftmals das Einzige, was bleibt – und verblassen dann ihrerseits. Was hinter der Tür des letzten Zimmers ist, weiß niemand. Unter der Leitung des Schweizers Ron Rosenberg widmen sich die Golden Gorkis, ein Ensemble aus über 60jährigen Akteuren [Namen s.u.], dem Altern und Sterben. Sie entwickeln frei assoziativ eigene Gedanken und Bilder zum Lebensende. Das letzte Zimmer ist trotzdem eine vorsichtig tastende Inszenierung, die sich bemüht, seine Figuren keiner Banalität oder Lächerlichkeit preiszugeben. Nichtsdestotrotz thematisiert das Stück, dass Senioren die Welt wie Kinder unvoreingenommen naiv wahrnehmen können. Kindheit und Alter liegen bei diesem Abend nah beieinander. Senioren erzählen zeitgleich auftretenden Kindern Fabeln oder erinnern sich an ihre eigene Kindheit und Jugend. Kein Wunder also, dass drei reale Kinder den Abend eröffnen. Diese vollführen in langsamen, teils verharrenden Bewegungen ein Singspiel und rufen leiser werdend nach dem Pokémon Pikachu. Das wirkt wie Kindheitserinnerungen alter Menschen. Auf der ebenerdigen, meist im Halbdunkel gehaltenen, requisitenarmen Bühne sind drei Türen eingelassen, aus denen später immer wieder neue Figuren auf- und wieder abtreten.

Zu Anfang verkörpern einige der Senioren noch in kurzen Szenen originelle Typen - da gibt es etwa einen ehrgeizigen Marathonläufer oder einen erklärfreudigen Koch. Der Koch denkt darüber nach, warum sich Kalbsbries und Zwiebeln gut für einen Beerdigungsschmaus eignen. Doch diese Charakterzeichnungen werden in keinen Handlungsverlauf eingebunden. Das vorgeführte Geschehen gerät arg zusammenhanglos und improvisiert. Gesprochene Worte zerzauseln sich, und es ergibt sich kein wirkliches Zusammenspiel. Neben vielleicht noch interessanten, gemurmelten Fragen, wie "Wo sind alle Dinge, die ich mal verloren habe?" oder "Was passiert in meinem Zuhause, wenn ich nicht da bin?" tritt der trotzige Ausruf: "Ich will nicht mehr." Aufgelockert werden die sich meist in Wiederholungen ergehenden, absurden Sprechmonologe immer wieder durch tänzerische Momente. So bewegt sich einer der Senioren erstaunlich flink zu Disco-Musik- und -beleuchtung. Auch sonst wird viel mit erzählerischen Mitteln modernen Theaters gearbeitet, wenn etwa Live-Film- und Soundprojektionen das Bühnengeschehen ergänzen. Leider nehmen die Filmsequenzen, ohne dass Schauspieler auf der Bühne sind, eine derartige Dominanz ein, dass man sich beinahe im Kino wähnen könnte. Sind Schauspieler auf der Bühne, dann stehen sie allzu oft und lange mit dem Rücken zum Publikum vor der Wand - wie Schüler, die zur Strafe in der Ecke stehen müssen. Eine lange Szene einer Fußwaschung zieht sich quälend monoton und soll wohl darauf hinweisen, dass auch Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland alt werden.

Auch wenn sich in einem Theaterstück keine Handlung entwickeln muss, entspinnt sich hier im Großen und Ganzen jedoch auch kein roter Faden durch das vorgeführte, gänzlich unspektakuläre Geschehen. Da erscheint mancher Altenheimbesuch interessanter. Auch hier mag in Endlosschleife hinterfragt werden, welcher Wochentag ist. Doch oftmals spiegelt sich im Verhalten und in Interaktionen greiser und dementer Menschen eine Essenz an Persönlichkeit und Gewohnheiten, die bei aller Reduktion früherer Möglichkeiten die Unverwechselbarkeit und Würde der Menschen aufscheinen lassen. An einer dramatischen Zuspitzung und Esprit, die etwa auch die Winterreise-Inszenierung mit Senioren am Kölner A.tonal-Theater zu einem Erlebnis machte, fehlt es leider der Vorführung von Das letzte Zimmer im Studio Я.



Premierenapplaus nach Das letzte Zimmer am Maxim Gorki Theater, Berlin | Foto (C) Ansgar Skoda

Ansgar Skoda - 1. Mai 2017
ID 9996
DAS LETZTE ZIMMER (29.04.2017, Studio Я)
Von den Golden Gorkis (Ensemble 60+)
Leitung: Ron Rosenberg
Mit: Henriette Bothe, Zeynep Delibalta, Peter Fieback, Ocker Hölters, Martha Hölters-Freier, Vincent Lefrancois Mangold, Annette Rentz-Lühning, Eva Reuss-Richter, Elisabeth Schmidt, Hartmann Schmige, Johanna Skirecki, Renate Sörensen, Johannes Storks und Gisela Trentmann-Schrick, Amon Chen, Martha Gawronski und Giulia Wagner
Premiere am Maxim-Gorki-Theater Berlin: 29. April 2017
Weiterer Termin: 01.05.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de


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