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nachDRUCK # 6

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Neue Stücke

Der unstillbare

Drang nach

Konsum

≈ [UNGEFÄHR GLEICH] von Jonas Hassen Khermiri


Moritz Heidelbach und Fiona Metscher in ≈ [ungefähr gleich] am FWT Köln | (C) MEYER ORIGINALS

Bewertung:    



Mamona ist wie ein gieriges Tier, das dir und mir im Nacken sitzt. Mamona ist dabei nichts anderes als das Streben nach Mammon, Geld, materiellen Werten, Konsum. Und diesem Streben begegnet der Zuschauer in Jonas Hassen Khermiris Stück ≈ [ungefähr gleich] [s. auch unsere Kritik zur Berliner Schaubühnen-Auffüphrung] ständig. Was es damit theoretisch auf sich hat, erfährt der Zuschauer in den Vorlesungen zur Wirtschaftsgeschichte, die Philipp Sebastian als Hochschuldozent Mani zwischen den Akten des Stückes hält. Aber die Befürchtung, ≈ [ungefähr gleich] am FWT Köln werde ein Abend mit einer theoretischen Unwucht, bestätigen sich nicht. Und auch der Hochschulmitarbeiter erzählt noch seine Geschichte, die nicht damit endet, eine Dissertation zu schreiben, die die herrschenden Verhältnisse umstürzt.

Es braucht ein bisschen Zeit, bis man die Struktur von Khermiris Stück durchschaut. In drei Akten erzählen vier Figuren von ihrem Leben. Es beginnt mit dem jungen Andrej, der nach seiner Ausbildung eine Arbeit sucht und schließlich im Tabakladen unten im Haus jobbt. Martina arbeitet ebenfalls im Tabakladen, träumt aber von einem Leben auf dem Land als Selbstversorgerin. Im dritten Akt schließlich zweifelt Mani, Martinas Mann, an seinem Lebensentwurf als Wissenschaftler, als er die Stelle nicht erhält, auf die er gehofft hat. Zugleich sitzt Freja im Krankenhaus am Bett jener Frau, die sie vermutlich ihren Job kostet. Randfigur ist der Penner Bernd, der immer wieder auftaucht und durch Betteln seinen Lebensunterhalt bestreitet. An ihm scheiden sich die Geister: Andrej und Mani sehen ihn trotz seiner vermeintlich traurigen Existenz als Feindbild, Freja bringt ihm Sympathie entgegen. Bernd ist im Laufe der Aufführung der einzige, der über ein funktionierendes „Geschäftsmodell“ verfügt und sich mit der Situation arrangiert zu haben scheint.

Das alles spielt in einem kargen Bühnenraum vor zwei Bühnenelementen, die man hin und her schieben und miteinander verbinden kann. Auf jedem Bühnenelement steht eine goldbespannten Wand, die in allen Facetten leuchtet, aber auch billig aussieht. Zum Überfluss findet sich neben der Wand auch noch jeweils ein goldener Vorhang als Tür. Auch hier ist mehr Schein als Sein zu sehen, und es erweist sich, dass diese Wand problemlos von hinten durchbrochen werden kann. Regisseurin PiaMaria Gehle setzt in ihrer Inszenierung auf vier sehr gute Schauspieler. Moritz Heidelbach (Andrej), Fiona Metscher (Martina), Anja Jazeschann (Freja) und Philipp Sebastian (Mani) spielen nicht nur eine Rolle, sondern springen in den Szenen, in denen ihre Figur nicht im Zentrum steht, famos in andere Rollen. Philipp Sebastian gibt so mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze auch den mysteriösen Peter, Moritz Heidelbach in aufregend engem Outfit eine Therapeutin, Fiona Metscher die Dame vom Amt (in allen Klischees) und Anja Jazeschann Andrejs Mutter und die innere Stimme von Martina.

Überhaupt setzt Gehle auf Komik und Übertreibung: Moritz Heidelbach sieht im Therapeutinnenoutfit mit kürzestem Rock nicht nur umwerfend aus, sondern stolziert auch beängstigend sicher in Highheels über die Bühne. Fiona Metschers Dame vom Arbeitsamt setzt Andrejs Bemühen, eine Arbeit zu finden, so viel Widerstand in Form von absoluter Langsamkeit entgegen, dass man als Zuschauer gerne eingreifen möchte. Schön gelöst auch, wie Martina mit ihrem Lebenswunsch und ihrer inneren Stimme hadert, die in Gestalt von Anja Jazeschann hinter dem Vorhang mit ihr spricht. In einer bitterbösen Szene zeigt PiaMaria Gehle allerdings auch, wie viel Menschen für Geld zu tun bereit sind. "Ungefähr gleich" bedeutet eben nicht "genau gleich". Die vier Figuren, deren Geschichte ≈ [ungefähr gleich] erzählt, suchen alle nach Glück und enden trotz anfänglicher Verweigerungshaltung doch beim Geld und beim Konsum, den Stützen einer kapitalistischen Gesellschaft. Bei manchen der Lebensvorstellung fühlt man sich als Zuschauer ziemlich gut getroffen, beinah ertappt, und das ist definitiv eine Qualität des Stückes. Wie sehr der Kapitalismus und der Konsum das Leben jedes Einzelnen auch in sehr emotionalen Momenten prägen, zeigt ≈ [ungefähr gleich] sehr scharf und sehr lustig, als Martina die Hochzeit ihrer Schwester nachstellt. Die Liebesgelübde der Partner sind ein Konglomerat aus Finanzbegriffen wie „investieren“ etc.

Aber trotz guter Schauspieler entwickelt ≈ [ungefähr gleich] nicht den Sog, den man vielleicht erwarten könnte. Die Pause vor dem dritten Akt tut dem Abend sichtlich nicht gut, sondern nimmt ihm einiges an Drive und Tempo. Das ist sehr schade, denn so fehlt ein wenig zum ganz großen Wurf.




Fiona Metscher und Moritz Heidelbach in ≈ [ungefähr gleich] am FWT Köln | (C) MEYER ORIGINALS

Karoline Bendig - 31. Oktober 2016
ID 9650
≈ [UNGEFÄHR GLEICH] (FWT Köln, 20.10.2016)
Inszenierung:  PiaMaria Gehle
Ausstattung: Susanne Weibler
Dramaturgie: Nicole Nikutowski
Musik: Wolfgang Proppe
Mit: Moritz Heidelbach, Anja Jazeschann, Fiona Metscher und Philipp Sebastian
Premiere war am 1. September 2016
Weitere Termine: 25. - 26. 11. / 9. - 11., 15., 16. 12. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://fwt-koeln.de/


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