Der König
stirbt
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Lear am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
Offen gestanden: ich finde es ziemlich öde, wenn in einem Theaterstück, egal wovon es handelt, die Rockgeschichte heruntergenudelt wird. Aber wenn nach der Pause der geblendete Graf von Gloster (Rainer Galke) im dichten Nebel “A Hard Rain’s A-Gonna Fall” von Bob Dylan singt, passt das nicht nur zur Situation, sondern jagt einem den Schweiß über den Rücken.
Täusche ich mich, oder ist der König Lear zurzeit besonders häufig auf deutschen Bühnen zu sehen? Das mag verschiedene Gründe haben. Allerdings bescheidet man sich heute meist nicht auf das Drama, das Shakespeare geschrieben hat. Da muss schon nach Umdeutungen gefahndet werden. Edward Bond hat bereits vor 54 Jahren einen eigenen Lear geschrieben, Peter Palitzsch hat in Frankfurt die deutsche Erstaufführung inszeniert, und Stück wie Inszenierung sind bis heute eine der aufregendsten Fassungen der Tragödie des alten Mannes geblieben.
Jetzt hat sich Falk Richter als Bearbeiter und als Regisseur an einen neuen Lear herangepirscht, und sein Hauptkapital, nehmen wir es vorweg, ist André Jung in der Titelrolle. Es handelt sich um eine deutsche Erstaufführung. Zuvor lief dieser Lear unter dem Original-Shakespeare-Titel Kung Lear (König Lear) als Auftragsarbeit am Stockholmer Dramaten, jenem Theater, das international mit den Namen Ingmar Bergman und Erland Josephson assoziiert wird. Die Titelrolle spielte Peter Andersson, der just zehn Monate älter ist als André Jung.
Den bearbeiteten Shakespeare unterbricht Falk Richter mit eigenen Szenen. Als roter Faden ziehen sich Telefonate der Regisseurin (Sylvana Krappatsch) mit ihrem Vater durch das Stück, der im Sterben liegt. Die Ensemblemitglieder der Lear-Proben diskutieren das Drama, liefern Interpretationen unter Bezug auf eigene persönliche Erfahrungen. Videos auf einer Drehbühne sorgen für ständige Bewegung.
Das geht eine Weile gut. Doch wenn dämliches Comedy-Geblödel dazwischengeschaltet wird, ist das nur ärgerlich und vollkommen überflüssig.
Die bösen Töchter legen Lear eine Liste von sozialen und ökologischen Aufgaben vor, die er zu lösen hätte und die Fridays for Future mühelos in den Schatten stellen. Irgendwie passen diese Forderungen aber nicht zu Frauen, die das Erbrecht nicht infrage stellen, keine Probleme also damit haben, dass es Menschen (zum Beispiel Königstöchter) gibt, die nie eine Erwerbsarbeit erledigen mussten, sondern davon leben, dass ihre Vorfahren über (auf welche Weise?) erworbenes Eigentum verfügen. Überhaupt scheint die Umschreibung nicht zu Ende gedacht. So wird Lear, der bei Shakespeare unser Mitleid verdient, ins Unrecht gesetzt, weil er seinen Töchtern Gewalt angetan hat, genau wie der Vater der telefonierenden Karin Lind. Das entspricht einer aktuellen Zeitströmung. Aber ist es das, was uns Falk Richter sagen will? Sollen wir uns über Wahnsinn und Tod des Königs freuen? Sind sie, trotz Gonerils und Regans Kaltherzigkeit, die gerechte Strafe für Gewalttätigkeit? Darüber könnte man ja ein Stück schreiben. Die Aussage von König Lear ist eine andere.
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Lear am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Thomas Aurin
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Thomas Rothschild – 5. Mai 2025 ID 15253
LEAR (Schauspiel Stuttgart, 04.05.2025)
von William Shakespeare - bearbeitet und mit neuen Texten von Falk Richter
Inszenierung: Falk Richter
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Zana Bosnjak
Musik: Daniel Freitag
Video: Stefano DiBuduo
Licht: Carsten Sander
Co-Lichtdesign: Matthias Kammüller
Dramaturgie: Benjamin Große
Mit: André Jung (Lear/ Regisseur Thomas Lind), Sylvana Krappatsch (als Karin Lind, seine Tochter und Regisseurin), Rainer Galke (Gloster), Felix Strobel (Edgar), David Müller (Edmund), Michael Stiller (Kent/ Narr), Karl Leven Schroeder (Oswald/ Lucas, Assistent der Regisseurin), Katharina Hauter (Goneril), Josephine Köhler (Regan), Mina Pecik (Cordelia), Marietta Meguid (TV-Host, Videoeinspieler) und Comedians (Videoeinspieler)
Premiere war am 8. Februar 2025.
Weitere Termine: 26.05./ 05., 14., 29.06./ 09., 18., 25.07.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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