Geschlechtertausch
statt Spielsucht
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Der Spieler am Theater Basel | Foto (C) Ingo Höhn
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Bewertung:
Dass einer zwanghaft handelt und dadurch seine Freiheit verliert, sich Bedingungen unterwirft, die man, je nach Geschmack und Ideologie, das Schicksal, die Gesellschaft oder das Über-Ich nennen kann, ist eine Steilvorlage für die Literatur. Und auf wen träfe das deutlicher zu als auf den Spieler, der seine Sucht nicht mehr zähmen kann. Arthur Schnitzler hat diesen Typus in seiner grandiosen Novelle Spiel im Morgengrauen entworfen, und Fjodor Dostojewski tat es sechzig Jahre zuvor in seinem für seine Verhältnisse kurzen Roman Der Spieler. Dabei konnte der Russe auf eigene leidvolle Erfahrungen zurückgreifen. Er hatte eben im Casino von Wiesbaden sein gesamtes Vermögen verspielt, als er seiner Sekretärin und späteren Ehefrau den Roman in einem Zug diktierte.
Dostojewski, der keine Dramen geschrieben hat, reizt immer wieder, schon lange vor der anhaltenden Mode der Romanadaptionen auf der Bühne, zu Dramatisierungen seiner Werke. Sie besitzen zwei Voraussetzungen, die sie dafür geeignet erscheinen lassen: Sie haben meist eine spannende Handlung, und sie enthalten Dialoge, in denen grundsätzliche Probleme von mehr oder weniger philosophischer Bedeutung diskutiert werden. Aus dem Spieler hat Sergej Prokofjew sogar eine Oper gemacht. Bühnenfassungen für das Sprechtheater gab es schon jede Menge.
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Das Glücksspiel ist stets auch eine Metapher für Inflation und Börsencrash. Was wir bei Dostojewski lesen, ist der Traum vom leichten Geld, das einem ohne die Anstrengung der Arbeit zufällt – ein Traum, der für einige Wenige damals, in der Gründerzeit, und auch jüngst wieder im postsowjetischen Russland zur Wirklichkeit wurde. Pinar Karabulut aber, zurzeit gut im Geschäft, interessiert das bei ihrer Inszenierung am Theater Basel nicht. Dostojewski ist für sie nur ein Vorwand für grellen, bunten, aufdringlichen und undifferenzierten Trash mit vertauschten Geschlechterbesetzungen, die sich nicht etwa einer stringenten Interpretation schulden, sondern einer Mode, der wir wohl einige Zeit ausgeliefert sein werden. Nicht der Mangel an Psychologie ist das Problem dieser Bearbeitung, sondern der Mangel an Struktur, die Beliebigkeit der theatralen Mittel. Die eigentliche Spielsucht der zentralen Figur Alexej Iwanowitsch (Elmira Bahrami) kommt als Monolog an der Rampe buchstäblich zur Sprache und setzt das Gesamtkonzept, all das, was da vor einem kreisenden Bühnenbild, das aussieht wie aus dem Fundus eines billigen B-Pictures, über die Bühne wirbelt, ins Unrecht.
Mir ist schon klar: es gibt Leute, die derlei mögen, die nicht genug bekommen können von Disco- und Sexclub-Reminiszenzen, die mit Dostojewski so viel zu tun haben wie der Vatikan mit Henry Miller. Es gibt ja auch Leute, die gerne Gummibärchen essen. Ich gehöre nicht dazu.
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Der Spieler am Theater Basel | Foto (C) Ingo Höhn
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Thomas Rothschild - 1. Februar 2022 (2) ID 13434
DER SPIELER (Schauspelhaus, 30.01.2022)
nach Fjodor M. Dostojewskiji
Inszenierung: Pınar Karabulut
Bühne und Kostüme: Sara Giancane
Komposition: Daniel Murena
Lichtdesign: Vassilios Chassapakis
Dramaturgie: Sarah Lorenz
Besetzung:
Alexej Iwanowitsch ... Elmira Bahrami
Mademoiselle Blanche ... Nairi Hadodo
Polina Alexandrowna / Luis ... Annika Meier
Antonida Wassiljewna, genannt la baboulinka / Albert ... Barbara Colceriu
Marquis des Grieux ... Vera Flück
General ... Jan Bluthardt
Mister Astley ... Peter Knaack
Baron Wurmerhelm / Croupier / Hortense ... Antoinette Ullrich
Croupier / Lisette ... Joshua Walton
Baronin Wurmerhelm / Croupier / Cléopâtre ... Marvin Groh
Premiere am Theater Basel: 28. Januar 2022
Weitere Termine: 30.01., / 07., 12., 17.02. / 03., 21., 22., 25., 28.03. / 01.04. / 15., 19.06.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-basel.ch/
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