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Premierenkritik

Iphigenie

im Nebel



Iphigenie auf Tauris am Burgtheater Wien | Foto (C) Marcella Ruiz Cruz

Bewertung:    



Offen gestanden: Goethe gehört nicht zu meiner Lieblingslektüre. Aber angesichts einer Umgebung, in der die Infantilisierung so weit fortgeschritten ist, dass erwachsene Menschen nicht mehr von der Straßenbahn, sondern von der „Bim“ sprechen, und in der man sich nicht mehr christlichsozial mit „Grüß Gott“ oder sozialdemokratisch mit „Guten Tag“ verabschiedet, sondern in einer Babysprache, die über eine wiederholte Silbe, bestehend aus einem Konsonanten und einem Vokal, nicht hinauskommt, mit „baba“, tut es schon gut, wenn Schauspieler Verse von Goethe nicht nur rezitieren, sondern sogar artikulieren.

An Artikulation fehlt es am Wiener Akademietheater nicht, denn der Regisseur dieser Iphigenie auf Tauris ist Ulrich Rasche. Goethes Sprache wird mit durchgängiger Musik von Nico van Wersch für Schlagwerk und Keyboards amalgamiert, ohne sich in Gesang zu verwandeln. Iphigenie schreitet durch den Nebel, und mit ihr schreitet zweieinhalb pausenlose Stunden lang das gesamte Ensemble auf der Drehbühne, denn der Regisseur ist Ulrich Rasche.

Monoton? Ja. So monoton wie Drumming von Steve Reich oder die Filme von James Benning. Wer das nicht aushält, soll fernsehen.

Ulrich Rasche gibt dem Theater die Dimension des Rituals zurück. In seinem Bühnenbild wechseln sieben lange Neonröhren in langsamer Drehung ihre Farben. Und das Burgtheater hat mit Julia Windischbauer in der Titelrolle (nach ihrem Debüt in hildensaga. ein königinnendrama von Ferdinand Schmalz in der Regie von Jan Bosse - einen neuen, modernen Star.

Iphigenie auf Tauris mit dem Höhepunkt des Dialogs zwischen Iphigenie und Thoas am Ende gilt als Manifest des Humanismus und als Kernstück der deutschen Klassik. Iphigenie bekennt:



„Ich untersuche nicht, ich fühle nur.“


Sie klagt:


„O trüg' ich doch ein männlich Herz in mir,
Das, wenn es einen kühnen Vorsatz hegt,
Vor jeder andern Stimme sich verschließt!“



Und sie meint natürlich das genaue Gegenteil. Welche Halbwertszeit freilich hat diese Einsicht?

Thoas fragt:



„Du glaubst, es höre
Der rohe Skythe, der Barbar, die Stimme
Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus,
Der Grieche, nicht vernahm?“



Und Iphigenie erwidert:


„Es hört sie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Busen rein
Und ungehindert fließt.“



Am Schluss wünscht Thoas Iphigenie, Orest und Pylades ein „Lebt wohl!“ Der Schlussakkord der Musik und mit ihr Rasches Inszenierung scheint daran zu glauben. Und Putin? Für Nawalny jedenfalls gab es keine Rückkehr nach Hause. Thoas oder Bassa Selim: wie lieben wir sie doch. Weil sie die Welt zeigen, wie sie ist? Doch eher: wie wir sie gerne hätten. Das grelle Licht am Ende täuscht. Iphigenie bleibt im Nebel.



Julia Windischbauer (vorn) als Iphigenie auf Tauris am Burgtheater Wien | Foto (C) Marcella Ruiz Cruz

Thomas Rothschild - 24. Februar 2024
ID 14623
IPHIGENIE AUF TAURIS (Akademietheater, 23.02.2024)
Regie und Bühne: Ulrich Rasche
Kostüme: Sara Schwartz
Musik: Nico van Wersch
Chorleitung: Jürgen Lehmann
Licht: Marcus Loran
Dramaturgie: Andreas Karlaganis und Victor Schlothauer
Besetzung:
Iphigenie ... Julia Windischbauer
Thoas, König der Taurier ... Daniel Jesch
Orest ... Ole Lagerpusch
Pylades ... Maximilian Pulst
Arkas ... Enno Trebs
Chor: Sören Kneidl, Julian von Hansemann, Nils Hausotte und Yannik Stöbener
Katelyn King (Schlagwerk)
Benjamin Omerzell (Keyboards)
Premiere am Burgtheater Wien: 23. Februar 2024
Weitere Termine: 25., 29.02./ 10., 23., 26.03./ 01.04.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at


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