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Premierenkritik

Der Mann mit dem Tick

SPIELPLANANALYSE 22/23 von Harald Schmidt am Schauspiel Stuttgart

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Es gab Zeiten, da schaltete man den Fernseher ein, weil eine Schauspielerin, ein Schauspieler, die man von der Bühne kannte und bewunderte, auftrat. Heute, da der Großteil der Kulturkonsumenten mit dem Fernsehen sozialisiert wurde und das Theater eher als mühsam empfindet, dient, wer „durch Film und Fernsehen bekannt“ ist, als Köder. Harald Schmidt hat einmal verlautet, dass er in seiner Jugend Claus Peymann verehrt und davon geträumt habe, auf der Stuttgarter Bühne zu stehen. Dort hat man Schmidts Bewerbung vernommen und dem Fernsehstar schon vor der Intendanz Kosminski regelmäßig Auftrittsmöglichkeiten angeboten. Sie wurden vom Publikum honoriert.

Harald Schmidt hat seine Fans. Der mittlerweile in den Ruhestand getretene Theaterredakteur der Stuttgarter Zeitung zählt dazu. Im Gegensatz zu ihm vergießt seine von den Stuttgarter Nachrichten übernommene Nachfolgerin ihre Lobeshymnen unterschiedslos über alle, die sie interviewen darf, als wäre sie nicht Kritikerin, sondern Betreiberin einer Künstleragentur. Wie das Fernsehen in die Köpfe der Zuschauer, so ist die PR in die Köpfe der Journalisten eingedrungen. Ich gehöre nicht zu den Fans von Harald Schmidt. Ich finde, dass er an sein lange Zeit schamlos kopiertes Vorbild, den legendären amerikanischen Talkmaster und Entertainer David Letterman, nicht annähernd heranreicht. Angesichts des Verfalls des Genres aber bei der Generation, die auf Letterman und Schmidt gefolgt ist, kann man Harald Schmidt durchaus etwas abgewinnen, ohne den Überschwang seiner Anhänger zu teilen. Das gilt sowohl für die Einfälle, die Texte wie auch für die Präsentation, die als bescheidene Spielart der sogenannten Performance klassifiziert werden kann.

In dieser Saison zeigt Harald Schmidt am Schauspiel Stuttgart, nach dem Format Echt Schmidt vor drei Jahren, in unregelmäßigen Abständen ein Soloprogramm mit dem Titel Spielplananalyse 22/23. Und das überzeugte, in der Folge vom 5. Februar, auch den Skeptiker. Zu bewundern ist auf alle Fälle, neben seiner Informiertheit, Schmidts Gedächtnis: Fast zwei Stunden sprudelt die Rede ohne Stocken aus seinem Mund. Und einmal mehr bewahrheitet sich, dass die Aura der physischen Anwesenheit eine eigene Qualität hat, die das Fernsehen nicht besitzt.

Der Titel des Abends führt bewusst in die Irre und soll, wie Harald Schmidt freimütig zugibt, ins Theater locken. Er eröffnet seinen Monolog zwar tatsächlich mit Hinweisen auf den aktuellen Spielplan und scheint ihn aus eigener Anschauung zu kennen. Dann aber schweift er sehr schnell ab und spricht über Gott und die Welt, genauer: über Fernsehen und Politik. Er mahnt das Publikum: „Keine Angst, Sie verlieren nicht den Faden, es gibt keinen.“ Er formuliert mäandernde Satzreihen, und man fragt sich: wie findet er wieder zurück. Zum Beispiel zum Politologen Herfried Münkler. Er ahmt die typische ausladende Armgeste des Metereologen Sven Plöger nach und suggeriert, der hätte sie in der Evangelischen Akademie in Bad Boll gelernt. Er verspottet den Gang Joe Bidens und den eines namenlosen Gastes, dessen Speisenzerkleinerungsmanie ihn nervt, zum Frühstücksbüffet in einem Wiener Hotel.

Schmidts politische Pointen sind nicht aggressiv, insofern aber aufklärerisch, als sie Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der Lächerlichkeit aussetzen. Mit Geschmacklosigkeit und Tabubruch geht er sparsam um, etwa wenn er kalauernd erklärt: „Ich finde auch, man sollte Behinderte auf den Mond schießen.“

Auf der Seite der Bühne steht ein Konzertflügel mit aufgeklapptem Deckel. Er liefert den Vorwand für einen alten Witz und ein paar Töne aus Rheingold, ehe Harald Schmidt, wie einst Samy Molcho, einen Dirigenten parodiert. Viel Applaus – bis zum nächsten Mal.



Foto (C) Björn KLein

Thomas Rothschild – 6. Februar 2023
ID 14037
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de


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