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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Abgesang

auf Raten



Der Sturm am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Armin Smailovic

Bewertung:    



William Shakespeares Spätwerk Der Sturm ist oft auf deutschsprachigen Bühnen zu sehen. In Berlin zuletzt unter dem Titel Shakespeare’s last play 2018 an der Schaubühne oder als Open-Air-Sommerspaß 2020 im Globe Berlin. Eine romantische Komödie, die viel Raum für Komik, Verwechslungsspiele und Verwandlungen bietet, mit der aber zuletzt auch immer wieder aktuelle Themen wie Machtmissbrauch und Kolonialismus verhandelt wurden. Für das Deutsche Theater Berlin in Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen hat der Dramatiker Jakob Nolte, der mit dem Regisseur Jan Bosse bereits Cervantes‘ Roman Don Quijote für die Bühne bearbeitet hat, eine neue Übersetzung von Shakespeares Stück verfasst, die bereits im Juli in Bregenz zur Uraufführung kam.

Nun eröffnet die Inszenierung von Jan Bosse die neue Spielzeit am Deutschen Theater, die auch die letzte des scheidenden Intendanten Ulrich Khuon ist. Das Motto lautet vielsagend „Wieviel Zeit“. In Sachen Ulrich Khuon braucht man also kein Fragezeichen mehr dahinter setzen, in Sachen Zukunft Deutsches Theater ist das allerdings schon angebracht. Ansonsten kann man sich auch zurücklehnen und abwarten, was diese letzte Spielzeit vor der Intendanz von Iris Laufenberg noch so bringen wird.

Auf Sturm stehen in diesem Herbst viele Zeichen, ob auch am DT, wird sich zeigen. Shakespeares Stück handelt jedenfalls vom Zauberer Prospero. Einst Herzog von Mailand wurde er von seinem Bruder mit Hilfe des Königs von Neapel gestürzt und flüchtete vor ihm mit seiner Tochter Miranda auf eine Insel. Nun segelt der Widersacher auf dem Weg nach Neapel zufällig an Prosperos Insel vorbei. Dieser entfacht mit Hilfe des Luftgeists Ariel einen Sturm, der seinen Bruder Antonio und Alonso, den König von Neapel, nebst Gefolge ans Ufer der Insel spült und Prosperos Rache ausliefert.

In den Kammerspielen des Deutschen Theaters ist die Bühne zunächst leer. Nur eine Windmaschine im Hintergrund zeigt, worum es später noch gehen soll. Gezeigt wird auch, wie es am Theater so zugehen kann, wenn das Geld für Garderoben nicht mehr reicht. Wolfram Koch als Prospero trägt seinen verstaubten Anzug selbst auf die Bühne und reicht ihn der im Glitzerfummel steckenden Lorena Handschin, die hier den Ariel gibt und nebenbei noch ganz gut zur Live-Musik von Carolina Bigge singt. Wer hier wirklich der Zauberkunst mächtig ist, zeigt ein kleines Spiel mit schnippenden Fingern. Das Licht im Saal geht nur durch die Hand des Luftgeists aus. Der alte Inselherrscher schaut schon zu Beginn ein wenig mürrisch drein und ist nur an seiner persönlichen Rache interessiert.

Aus dem Schnürboden fällt ein Wald aus dicken Schiffstauen (Bühne: Stéphane Laimé). Die lassen sich wunderbar verdrillen, verknoten und als Schaukeln und Lianen verwenden. Das ist dann aber fast schon alles an Bühnenzauber, den Jan Bosses Inszenierung versprüht. Nicht nur gefangen in Seilen, ist sie vor allem eingeschnürt ins Korsett einer infantilen Sprache der wortwörtlichen Übersetzung Jakob Noltes. „Tust du lieben mich?“ oder „Wir sind solches Zeug als Träume sind gemacht von.“ Diese Hirnknoten sollen als magische Kunstsprache durchgehen. Da tut der Traum bald aus sein. Die kauderwelschende Textfassung verursacht beim angestrengten Nachhören eine Müdigkeit, der man sich kaum entziehen kann. Darüber gehört höchstens noch der Mantel des Schweigens gehüllt.

Nicht viel besser ist das, was hier an Schauspielkunst geboten wird. Um Shakespeares ultimativen Schöpfungsmythos, das Theater als symbolische Insel der Möglichkeiten soll es laut Programmheft gehen. Möglich sind hier vor allem Slapstick und Albereien aller Art. Das übrige Ensemble wechselt in den Rollen der Schiffbrüchigen und der Inselbewohner wie den körperlich deformierten Hexen-Sohn und Sklaven Caliban oder Prosperos Tochter Miranda. Den Caliban gibt Julia Windischbauer als etwas linkisches aber wandelbares Fabelwesen. Die Miranda der Linn Reusse darf weiter die von der Männlichkeit des Königssohns Ferdinand (Jeremy Mockridge) angezogene Naive spielen. Alle Register des Chargierens ziehen Jeremy Mockridge und Tamer Tahan als Trinkkumpane Stephano und Trinculo. Das ist in der Darstellung alles andere als ein experimenteller Neuanfang.

Munter ausgestellt werden all die Rollenklischees, die man hier eigentlich karikieren will. Natürlich vollzieht sich auch eine Art Befreiungsakt. Das ist das einzige, was die Inszenierung auf der Habenseite hat. Der alte Mann tritt am Ende ab durch die Tür der Hinterbühne. „Eigentlich auch ganz schön hier“, hört man Wolfram Kochs Zauberer leise ironisch sagen. Das könnte auch als self-fulfilling prophecy verstanden werden. Die letzte Spielzeit am DT als Abgesang auf Raten.



Der Sturm am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Armin Smailovic

Stefan Bock - 2. September 2022
ID 13784
DER STURM (Kammerspiele des DT Berlin, 01.09.2022)
in einer neuen Übersetzung von Jakob Nolte

Regie: Jan Bosse
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Kathrin Plath
Musik und Sounddesign: Carolina Bigge und Arno Kraehahn
Licht: Marco Scherle
Dramaturgie: David Heiligers
Besetzung:
Prospero ... Wolfram Koch
Miranda, Gonzalo ... Linn Reusse
Ariel ... Lorena Handschin
Caliban, Antonio ... Julia Windischbauer
Alonso, Trinculo ... Tamer Tahan
Ferdinand, Stephano ... Jeremy Mockridge
Premiere bei den Bregenzer Festspielen: 23. Juli 2022
DT--Premiere war am 1. September 2022.
Weitere Berlin-Termine: 03., 04., 10., 11., 17., 25.09.2022
Eine Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


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