MAKING LIFE IN THE RUINS | 15.-31.05.2025 (in den Sophiensaelen Berlin)
|
Tiran Willemse mit Untitled (Nostalgia, Act 3)
|
|
Bewertung:
Der in Südafrika geborene und abwechselnd in Zürich und Berlin lebende Tiran Willemse kommt vom klassischen Tanz, so war er beispielsweise beim Cullberg Ballett oder in Choreografien und Inszenierungen Jérome Bels, Traja Harrells, Meg Stuarts oder Jefta Van Dinthers zu sehen. Das scheint einer seiner autobiografischen Hintergründe zu sein, der in seiner über einstündigen Performance Untitled (Nostalgia, Act 3), die gestern Abend zu Beginn des 14tägigen Festivals MAKING LIFE IN THE RUINS im Festsaal der Sophiensaele ihre Deutschlandpremiere hatte, eine Rolle spielte.
Vielleicht aber erstmal zum Festival an sich:
Es "versammelt zeitgenössische künstlerische Positionen aus verschiedenen Teilen der Welt, die sich in einem ambivalenten Spannungsfeld bewegen – zwischen dem dringenden Bedürfnis, überholte Gewissheiten zu hinterfragen und der Trauer um das, was gewaltsam genommen wurde. Die Arbeiten des Festivals finden einen Umgang mit den nicht mehr möglichen Zukünften und den Überresten der Vergangenheit – nicht als Belastungen, sondern als Nährstoffe für neue Welten. Sie verweben Erinnerungen mit Imaginationen zu spekulativen Erzählungen, Archäologien und alternativen Ritualen. Behutsam betrachten sie die Geschichte neu und bringen vergangene mit künftigen Generationen in Dialog. Ideen, die sich überlebt haben, werden verabschiedet und verlorene Heimaten mit neuen Zugehörigkeiten verbunden. So wird Platz geschaffen für ein neues kollektives Leben jenseits von (Re-)Produktivität, wie wir sie kennen.
Was, wenn Ruinen nicht nur Orte des Zusammenbruchs, sondern auch des Aufbruchs sind? Was, wenn unter diesen vielen Enden auch ein Anfang ist?"
(Quelle: sophiensaele.com)
*
Willemse beschwört also "seine eigene multiple Tanzgeschichte durch ein Kaleidoskop, das sich aus dem Ballettklassiker Giselle aus dem 19. Jahrhundert, dem Kuduro aus Angola und dem nigerianischen Genre Alanta zusammensetzt".
So nehme ich ihn dann zunächst - natürlich nicht wissend, dass er der eigentliche Protagonist des Darauffolgenden sein würde - im Publikum wahr; da nimmt er, unter der Kapuze seines schwarzen Hoodies verborgen, mit mir und den anderen in der ersten Zuschauerreihe Platz und springt dann plötzlich auf und rennt auf die leere Bühne nach hinten zur linken Tür, geht durch sie hindurch, um kurze Zeit später wieder aus ihr heraus nach vorn zur ersten Zuschauerreihe zu eilen, dort befreit er sich von seinem schwarzen Hoodie, lächelt; und erst jetzt beginne ich allmählich zu begreifen: o, das ist die Hauptperson, gleich geht's wohl richtig los:
Ja und tatsächlich erklingt dann eine Weile lang Musik Adolphe Adams aus der von Willemse angeblich so beschworenen Giselle [ich hatte diesen Ballett-Klassiker erst neulich erstmals überhaupt in live erlebt] - doch es passiert zunächst rein nichts; ich hör' halt nur diese Musik - - bis Willemse dann doch noch aus der hinteren Tür von links hinzutritt und in Endlosschleife auf einem Bein stehende oder sich bewegende Arabesquen, immer oder meistens mit dem Rücken zum Publikum, so wie vor einem imaginären großen Ballettsaal-Spiegel, vollführt. Das dauert und dauert, und es sollte wahrscheinlich auch dann dauern und dauern...
Dann wechseln die Klänge von der Klassik hin zu traditionell Afrikanischem und mischen sich punktuell mit Alltags- oder Hintergrundgeräuschen, und der Tänzer bewegt sich endlich von seinem imaginären Ballettsaal-Spiegel weg und tanzt dazu, und meistens auch von vorne angesichtig.
Zwischendurch gibt es immer wieder mal Black Outs, d.h. ich sehe kurzzeitig dann nichts, und dann ist der Willemse wieder da und macht dann halt an einer völlig andern Stelle weiter, wo er aber vorm Black Out nicht aufgehört hat; dramaturgisch macht das (jedenfalls für mich) null Sinn.
Irgendwann und spätestens ab dem dritten Drittel seiner endlos scheinenden Performance gibt es einen starken Bruch: Da beginnt er - unter immer hektischeren Bewegungen und/ oder rasanteren Tanzschritten - herumzuschreien, herumzublödeln, Grimassen zu schneiden, uns die Zunge hin und wieder herauszustrecken; dann schlängelt er sich durch das Publikum, lacht lautstark auf, gibt hysterische Laute von sich usw. usf.
Zum Schluss befreit er sich total von seinen restlichen Klamotten, um sich splitternackt bis zu dem endgültigen Ende seines mich doch arg strapaziert habenden nostalgischen Act 3 hinfortzutanzen.
Nein, ich bin nicht dahinter gekommen, was der (wahrscheinlich auch autobiografische) Kipppunkt in seinem bisherigen Leben gewesen sein könnte, der ihn zu dieser un-mitteiligen Vorstellung bewog; was meine persönliche Wahrnehmung betraf, stieß ich da leider absolut an Grenzen.
|
Tiran Willemse mit Untitled (Nostalgia, Act 3) | Foto (C) Ianne Kenfack
|
Andre Sokolowski - 16. Mai 2025 ID 15267
Untitled (Nostalgia, Act 3) | Sophiensaele Berlin, 15.05.2025
von und mit Tiran Willemse
Dramaturgie: Andros Zins-Browne
Musik: Tobias Koch
Choreografische Beratung: Laurent Chétouane
Lichtdesign: Fudetani Ryoya
Lichtoperator: Max Windisch-Spoerk
Tontechniker: Thibault Villard
Produktion: Paelden Tamnyen und Rabea Grand
Gastspiel beim Festival MAKING LIFE IN THE RUINS
Weitere Infos siehe auch: https://sophiensaele.com
https://www.andre-sokolowski.de
Ballett | Performance | Tanztheater
Freie Szene
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
THEATERTREFFEN
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|