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               | | Rhythmisch 
 komponierte
 
 Exklusions-
 
 parabel
 |   Disko von Wolfram Höll am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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 | Bewertung:   
 
 
 Der Dramatiker Wolfram Höll wurde schon mit zwei seiner Leipziger Uraufführungen (Und dann sowie Drei sind wir) zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen und hat damit auch zweimal den dortigen Dramatikerpreis erhalten. Aller guten Dinge sind drei, möchte man da sagen. Denn auch sein drittes Stück Disko - als Auftragswerk für das Schauspiel Leipzig entstanden - bekam jüngst die begehrte Einladung nach Mülheim. Hölls Texte zeichneten sich schon immer durch eine fast schon komponierte Sprachrhythmik aus. Mit Disko treibt der Autor dieses Formprinzip nun zur Perfektion.
 
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 Schon der Text besteht fast gänzlich aus Zitaten von Popsongs aus dem Repertoire der französischen Funk-, House- und Techno-Band Daft Punk, der New Yorker Avantgarde-Band Animal Collective oder sogar der Pop-Diva Kylie Minogue. Unterlegt wird die von Regisseur Ivan Panteleev verantwortete Uraufführungsinszenierung durch einen 75 Minuten ununterbrochen hämmernden Elektro-Sound von Jan-S. Beyer. Passend rhythmisch arrangierte sind auch die Satzfetzen, die einem siebenköpfigen Chor aus stereotyp angelegten DiskobesucherInnen in den Mund gelegt werden. Wer in die Disko rein darf, also auf der Liste steht, oder draußen bleiben muss, entscheidet eine Türsteherin (in Leipzig Andreas Herrmann als Türsteher im weißen Anzug). Eine Art Exklusionsparabel auf Deutschland in der Flüchtlingskrise. Der Vergleich mag zunächst etwas platt erscheinen, mit Flüchtling, Helferin, besorgtem Bürger, Frau, männlichem Single und Musiker mit arabischem Migrationshintergrund bringt Hölls Versuchsanordnung aber einen ganz repräsentativen Querschnitt von MitbürgerInnen auf dem Bühnendancefloor der kleinen Leipziger Spielstätte Diskothek.
 
 Auch die Bühne von Yanjun Hu ist klar in ein Drinnen und Draußen geteilt. Davor strampeln sich zunächst Roman Kanonik, Julia Berke und Anna Keil auf Fahrrädern ab. Während Daniela Keckeis, Anne Cathrin Buhtz und Thomas Braungardt bereits durch die Tür reingekommen und auf Fitnesslaufbänder umgestiegen sind. Zum Takt des einfach strukturierten Technobeats performt das Ensemble in einem stetigen Singsang Hölls Text. Overalls gegen Glitzeroutfits (auch mal mit goldfarbenen Rettungsdecken) vor silbernem Lamettavorhang. Masse und Individuum immer im Takt, immer in Bewegung. „Härter, schneller, besser“, „Verlier dich ganz im Tanz.“ Das hat etwas Maschinenartiges. Höll schließt das Hamsterrad der technisierten Gesellschaft mit dem um sein Leben laufenden Flüchtling kurz. Der versucht am Türsteher vorbei in die Disko zu kommen. „Anpassen“, „Ankommen“, „Zu uns kommen“, „Hinbekommen“. Da kalauert es auch ein wenig, wenn sich alle beim Baggern und Smalltalk näher kommen. „Kommst du mit der Straßenbahn, oder aus dem Oman.“ So reimt sich Klischee auf Klischee und Roman Kanonik mimt mit Afroperücke und Lederjacke den arabischen Ud-Spieler Momo („Ud ist gut“), der den „Sound der Zukunft“ machen will.
 
 Der im Programmheft erwähnte Rainald Goetz hat mit Rave oder Jeff Koons bereits in den 1990er Jahren ganz ähnliche rhythmisierte Popzitatkanonaden abgefeuert. Im Unterschied zu Goetz will Höll aber nicht einfach den Spirit der Popmoderne einfangen, sondern legt das Augenmerk auf aktuelle Gesellschaftsdiskurse, die er hier rhythmisch in den Takt der Diskomusik zwängt. Während die Helferin vom Willkommensritual spricht: „Da ist ein Mensch der kommen will, also heißt man ihn Willkommen als Mensch“, geht der besorgte Bürger auf Distanz und singt von dem, was er braucht: „eine feste See-eel ... und ein rechtes Haus.“ So geht der Diskurspop weiter bis zum finalen „Murder on the dancefloor“, beim dem ein Messer und wieder der Türsteher eine Rolle spielen.
 
 Einfach so vom Blatt gelesen, klänge das vielleicht alles irgendwie nur lull und lall, wie Spliff das seinerzeit wohl genannt hätten. Es fehlt dem Text letztendlich ein wenig an der politischen Durchschlagskraft, die man sich bei dem Thema wohl gewünscht hätte. Da bleibt Hölls Popsong-Mashup doch nur reine Kunstübung. Durch das virtuose Zusammenspiel des Ensembles und in der recht dynamischen Inszenierung vom aus Berlin eingeflogenen Disko-Opa Panteleev ist das aber fast schon wieder ganz große Kunst. Der Rhythmus wo ich immer mit muss. Rave on im Mai in Mülheim.
 
 
 
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 |   Disko von Wolfram Höll am Schauspiel Leipzig | Foto (C) Rolf Arnold
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 Stefan Bock - 26. März 2019
 ID 11303
 DISKO (Diskothek, 24.03.2019)
 Regie: Ivan Panteleev
 Bühne & Kostüme: Yanjun Hu
 Musik: Jan-S. Beyer
 Dramaturgie: Georg Mellert
 Licht: Thomas Kalz.
 Mit: Julia Berke, Thomas Braungardt, Anne Cathrin Buhtz und  Andreas Herrmann
 Uraufführung am Schauspiel Leipzig: 9. Februar 2019
 Weitere Termine: 21.04., 14., 15.05.2019
 
 Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-leipzig.de
 
 
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