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Uraufführung

Über das

Fremdsein

DER LETZTE GAST
von Árpád Schilling
und Éva Zabezsinszkij


Der letzte Gast am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Bewertung:    



Der ungarische Theaterregisseur Árpád Schilling ist seit Jahren ein gern gesehener Gast bei den Wiener Festwochen und im Wiener Burgtheater. Dort hat er mit seiner freien Theatergruppe Krétakör so legendäre Inszenierung wie Büchners Woyzeck oder Tschechows Möwe gezeigt. Die Methode, gemeinsam mit dem Ensemble im Probenprozess die Stücke zu erarbeiten, wird als „kreative Gemeinschaftsspiele“ bezeichnet. Sehr schön zu sehen war das auch in der Trilogie Crisis (2012), die aus dem Film jp.co.de, der Kammeroper Undankbare Biester (Bayerische Staatsoper) und dem Theaterstück Die Priesterin (Wiener Festwochen) bestand. Vom Ausschuss für Nationale Sicherheit des ungarischen Parlaments unter der rechtsnationalen Orban-Regierung wurde Schilling 2017 zum „potenziellen Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten“ erklärt. Mittlerweile lebt der Regisseur mit seiner Familie in Paris, inszeniert aber weiterhin im deutschsprachigen Raum.

*

Bereits 2016 hatte das gemeinsam mit seiner Koautorin Éva Zabezsinszkij geschriebene Stück Eiswind am Akademietheater Wien Premiere. Das Stück behandelt das Vordringen deutsch-ungarischer Tendenzen vom rechten Rand ins Herz Europas, das sich zur Festung gegen eine drohende Überfremdung wappnet. Das Fremde ist auch wieder Thema von Árpád Schillings neuem Stück Der letzte Gast, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit Éva Zabezsinszkij für das Berliner Ensemble entstanden ist. War der Eiswind in Teilen schon etwas zu plakativ geraten, muss man nun das neue Stück leider als fast gänzlich misslungen bezeichnen.

Es ist zunächst nicht ganz klar, wer der titelgebende letzte Gast eigentlich ist. Im Nachhinein gibt es dafür aber durchaus zwei mögliche Erklärungen. Einerseits könnte es der nicht näher bezeichnete geheimnisvolle Fremde, genannt Blau (Nico Holonics), sein, den die alternde Ex-Operndiva Clara (Corinna Kirchhoff) nach einer gemeinsamen Taxifahrt in ihr Haus am Rande der Stadt einlädt. Blau bietet sich an, ihren Garten zu fegen und vom heruntergefallenen Laub zu befreien. Später überträgt ihm Clara auch die Renovierung des sich ebenfalls in Familienbesitz befindlichen Nachbarhauses.

Clara lebt recht zurückgezogen und pflegt ihren dementen Mann Helmut (Wolfgang Michael), einen ehemaligen Universitätsprofessor, der nur noch vor sich hin brabbelt und gelegentlich einnässt. Der Verfall manifestiert sich hier körperlich wie auch in der maroden Bausubstanz des Nachbarhauses. Alles, auf was man im Hause Claras noch wartet, ist der Tod, die zweite mögliche Erklärung des Titels. Corinna Kirchhoff singt am Ende auch recht wehmütig Rainer Maria Rilkes Der Tod ist groß. Abwechslung soll nun jener Blau bringen, der sich mit seinem cholerischen Proll-Kumpan Arnold (Sascha Nathan) und dessen derzeitigen Geliebten Sabine (Inka Friedrich) an die Renovierung des Nachbarhauses macht, wobei sich aber mehr Unordnung als Baufortschritt einstellt.

Die Trennung zwischen Intellektuellenhaushalt mit edler Couchgarnitur und dem Baustellenchaos nebenan bildet eine vom Schnürboden herabhängende Baufolie. Die Drehbühne zeigt dabei mal die eine, mal die andre Perspektive. Zum gemütlichen Grünteetrinken darf die Baukolonne der Fremden dann auch mal mit aufs Sofa. Komplettiert wird das Stückpersonal durch die Ex-Sekretärin und heimliche Geliebte Helmuts, Jutta (Judith Engel) sowie Claras Tochter Berta (Bettina Hoppe), eine nicht nur sexuell frustrierte Businessfrau, die die Eindringlinge möglichst schnell loswerden will, um selbst wieder bei Muttern einzuziehen. Das sind dann allerdings auch ein paar Klischeeabziehbilder zu viel. Es wird hier bei den vielen Handlungsschlenkern um sexuelle Potenzstörungen, Machtspielchen, Altersdepression sowie kulturelle wie intellektuelle Unterschiede und Vorurteile nicht ganz klar, worum es Regisseur und Autor Árpád Schilling nun eigentlich vorrangig geht.

Blau, der es irgendwie allen recht zu machen versucht, dient vor allem als allgemeine Projektionsfigur und Katalysator für einen Clash der sich fremden Gesellschaftsschichten. Dazu dreht sich immer mal wieder zu bedeutungsvoller Musik die Bühne und bläst die Windmaschine frische Luft in den abgestandenen Mief der verklemmten Bildungsbürger, die sich auch nur nach persönlicher Befreiung oder sexuellem Exzess sehnen, bis sich selbst Ex-Don-Juan Helmut aus seinem Rollstuhl erhebt.

Von einem „kreativen Gemeinschaftsspiel“ kann hier aber nicht wirklich die Rede sein. Etwas zu abgeklärt improvisieren sich die BE-Diven Corinna Kirchhoff und Judith Engel durch den schmalen Plot, was zumindest gelegentlich etwas Witz hat, allerdings auch immer wieder ins Peinliche abgleitet. Dass Clara auch noch eine DDR-Vergangenheit hat und ihren Mann nur zur Flucht benutzte, soll die Nähe zum vermutlich wie Schilling aus Osteuropa stammenden Blau verdeutlichen. „Oh, ich kenne dich gut, ich kenne diesen Gestank. Ich stinke ja auch“, klagt Clara. Wie die gemeinsame Liebe an den Klassenschranken scheitert der Abend dann letztendlich aber an einer quälend zähen Dramaturgie.



Der letzte Gast am BE | Foto (C) JR Berliner Ensemble

Stefan Bock - 17. März 2019
ID 11284
DER LETZTE GAST (Berliner Ensemble, 15.03.2019)
Regie: Árpád Schilling
Bühne und Kostüm: Márton Ágh
Musik: Jörg Gollasch
Künstlerische Beratung und Dramaturgie: Clara Topic-Matutin
Dramaturgische Recherche: Anna Lengyel
Licht: Steffen Heinke
Mit: Judith Engel, Inka Friedrich, Nico Holonics, Bettina Hoppe, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael und Sascha Nathan
Uraufführung war am 15. März 2019.
Weitere Termine: 20., 29.03. / 05., 14., 26.04.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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