Der Verführer
am Faden
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Don Juan am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Monika Rittershaus
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Bewertung:
Wenn Bühnenbildner ins Regiefach wechseln, versteht es sich fast von selbst, dass das Visuelle im Vordergrund steht wie bei inszenierenden Dichtern das Wort. Das ist und war bei Wilfried Minks so, bei Karl Kneidl, bei Herbert Wernicke, bei Robert Wilson, bei Karl-Ernst Herrmann, bei Johannes Schütz, bei Anna Viebrock, bei Axel Manthey und nicht zuletzt auch bei Achim Freyer.
Seinen Stuttgarter Don Juan hat Freyer größtenteils schwarz-weiß und flächig konzipiert. Die Schauspieler sprechen fast durchweg frontal zum Publikum. Im Zentrum hängt überlebensgroß und mit von unsichtbaren Puppenspielern im Schnürboden an Fäden gezogenen losen Gliedern die Titelfigur. Im Hintergrund tauchen bewusst primitiv gestaltete Dinge auf wie Raketen, Dampfer und Segelschiffe. Auch die Körpersprache nützt Anregungen des unbeholfenen Laientheaters (in ihrer Vollkommenheit nie wieder eingeholt: Kazimierz Dejmeks Geschichte von der löblichen Auferstehung des Herrn von 1962).
Puppen grassieren ja zurzeit auf den Schauspielbühnen. Von Wien bis Kiel sprießen die Missverständnisse von Kleists Ausführungen über das Marionettentheater. Bei Freyer allerdings geht es weniger um die Menschenähnlichkeit der Puppen als um die Puppenähnlichkeit der Menschen.
Achim Freyer bedient sich aus seinem üppigen Fundus und ergänzt ihn mit Anspielungen auf Mozart, der ihm ja vertraut ist, aber geben wir es zu: an seine Zauberflöten, an seine ebenfalls in Stuttgart realisierte Philip-Glass-Trilogie, an seinen Berliner Eugen Onegin, an seinen Mannheimer Ring reicht dieser Molièresche Don Juan in der historischen Übersetzung von Friedrich Samuel Bierling nicht heran, weder in der Fantasie der Entwürfe mit ihren Reminiszenzen an den Zirkus und an die Commedia dell’arte, noch in der Choreographie. Erstaunlich, wie wenig Freyer zum Komtur einfällt, der bei Molière Kommandeur und hier Commentur heißt. Und wenn auf der Bühne "Reich mir die Hand, mein Leben" geträllert wird, kann meine Nachbarin nicht an sich halten und muss ihre musikalische Bildung unter Beweis stellen, indem sie mitsummt. In die Hölle fährt Don Juan zu einer flüchtigen Projektion, die an den österreichischen Maler Markus Prachensky erinnert.
Im eigentlichen Mittelpunkt dieser Inszenierung steht nicht der erotisch getriebene und umtriebige Freibeuter mit den vielen Gesichtern (ist er vielleicht doch homosexuell oder impotent?), sondern Matthias Leja als der plebejische Skanarell (Mozarts Leporello). Und in einer angedeuteten „Pause“ sitzt das ganze Ensemble schweigend auf der Rampe. Nicht das Schlechteste an diesem warmen Sommerabend.
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Don Juan am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Monika Rittershaus
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Thomas Rothschild - 24. Juli 2021 ID 13045
DON JUAN (Schauspielhaus, 23.07.2021)
Inszenierung, Bühne & Kostüme: Achim Freyer
Mitarbeit Regie: Sebastian Sommer
Mitarbeit Bühne: Moritz Nitsche
Mitarbeit Kostüm: Wicke Naujoks
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Klaus-Peter Kehr und Ingoh Brux
Korrepetition: Angela Rutigliano
Spiel: Matthias Leja, Paula Skorupa, Celina Rongen, Felix Strobel, Valentin Richter und Klaus Rodewald
Gesang: Josefin Feiler / Esther Lee-Freye
Puppenspiel: Léa Duchmann, Helga Lázár / Adeline Johanna Rüss und Anniek Vetter
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 19. Juni 2021
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de/
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