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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Clowns und

Stühle


EUGEN ONEGIN
durch Barenboim & Freyer


Rolando Villazón als Lenski - Foto (C) M. Rittershaus


"Ich weiß nicht, wie ich den Liebsten vergessen soll", heißt es an einer Stelle in Tschaikowskis Eugen Onegin (der Komponist hatte den Text zu seiner Oper, frei nach Puschkins schmalzigem Roman in Versen, selbst verfasst; Schilowsky sekundierte ihm) - und dieser Satz könnte als Quintessenz zu Daniel Barenboims & Achim Freyers aktueller Deutung an der Deutschen Staatsoper Berlin verstanden sein: Denn was der Eine durch ein hartträniges Fortverscheuchen eines unhaltbaren melodiösen Sentiments bewirkte, machte so der Andere durch die Armada seiner einheitlichen Graugesichte kompromisslos dicht.

Noch nie - außer vielleicht bei Suitners/Berghaus' Rheingold vor Jahrzehnten - dürfte eine Produktion an diesem Haus vom Publikum so himmelschreiend auseinanderklaffend aufgenommen worden sein wie jetzt an diesem denkwürdigen Abend; das Geschrei war groß. Schon vor der Pause mobbte es vom rechten Rang herab, so sinngemäß, "in dieser Oper gehts um Leidenschaften, nicht um Langeweile"; prompte Reaktionen links aus gleicher Höhe sowie mittig unten, also kurz und schmerzlos, "Schnauze!" resp. "Weiter so!" - - ja, der so unhöflich Hinabbalfernde wollte oder konnte den tatsächlichen Zusammenhang dieses bemerkenswerten Kunststückes nicht fassen und begreifen: Dass nämlich die "Leidenschaften", die er hochrotköpfig meinte, leider eine allzu langweilige Komponente dröge in sich tragen... und es geht doch immer wieder stets und allerorten, wenn wir "Leidenschaften" meinen, um das Einzig-Eine, nämlich LIEBEN UND/ ODER GELIEBTWERDEN; davor, dazwischen und danach herrscht nun mal grauer Alltag inkl. der Erinnerung an alte Liebes-Leiden, weiter ist es nun mal nichts.



EUGEN ONEGIN an der Deutschen Staatsoper Berlin - Foto (C) M. Rittershaus


Rolando Villazón müsste die Einstudierung dieser konsequenten Doppelsicht (von und mit Barenboim & Freyer) viel viel Lust bereitet haben, und man nahm ihm das Verstehen seiner Lenski-Rolle glaubhaft ab: Er ist, wie alle andern Darsteller in dieser Inszenierung, mit zwei übergroßen Augen angemalt, hat einen leidensreich verzerrten übergroßen schwarzen Mund und trägt, wie alle andern ebenso, ein grau changiertes Fantasiekostüm. Vom Typ her, so wie alle andern mit, frei nach Marcelle Marceau. Kurze und langsame Bewegungen. Zentralgliedmaßen sind, bei allen außerdem, die Hände; und entweder sind sie meistens ausgestreckt in irgendeine Richtung weg vom oder hin zum eignen Körper oder kurz als Faust zu sehen. Alle machens so wie alle andern: Pantomime.

Eigenartig wirkt das schon, denn: Alles Äußere (nach Freyer) wäre ohne dieses allseits Innere (nach Barenboim) undenkbar.

Ausschließliche Utensilien auf der Bühne - Stühle. Und so meinen wir, da wir das unermüdlich sehen, überhaupt nicht unkokett: Wer nachdenkt, sitzt. Aber wir kommen freilich nicht bis ganz zuletzt hinters Geheimnis dieses Bildes, was uns Achim Freyer da zum Rätselraten so bereit hält. Macht auch nix - dafür vertiefen wir uns halt, wenn wir dem Regisseur gedanklich nicht mehr ganz so schnell beispringen können, in die mitgelieferte Musik.

Wann hat man je die Polonaise derart nicht-zum-Tanz-geeignet, ätzend, um nicht gar zu sagen hässlich aus dem Graben hoch zur Bühne schreien hören? Daniel Barenboim hat ja im letzten Jahr bereits Onegin mit den Wiener Philharmonikern (Salzburger Festspiele) probiert, er steht also mitnichten im Verdacht, es hier und jetzt und irgendwem zu zeigen, was er können könnte - nein! die Interpretation in dieser Produktion scheint ganz und gar auf die Regie oder, im unwahrscheinlichsten der Fälle, aufs Konterkarieren selbiger gerichtet. Fulminant in jedem Fall!!

Man geht nach Hause... und die Ohren und die Augen hat man noch am nächsten Morgen übervoll.

Die beste aller Produktionen, seit es Barenboim an diesem Hause gibt.

Und Achim Feyer - was nicht nebensächlich zu erwähnen ist - macht in den kommenden vier Jahren in Los Angeles den Ring; man hätte ihn sich auch für dieses Haus zu diesem Zwecke trefflichst denken können, schade eigentlich.
Andre Sokolowski - 27. September 2008
ID 4012
EUGEN ONEGIN (Deutsche Staatsoper Berlin, 27.09.2008)
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung | Bühnenbild | Lichtkonzeption: Achim Freyer
Kostüme: Lena Lukjanova und Amanda Freyer
Licht: Olaf Freese
Mit: Katharina Kammerloher (Larina), Anna Samuil (Tatjana),Maria Gortsevskaya (Olga), Margarita Nekrasova (Filipjewna), Roman Trekel (Eugen Onegin), Rolando Villazón (Lenski), René Pape (Fürst Gremin), Stephan Rügamer (Triquet), Viktor Rud (Saretzki) und Fernando Javier Radó (Ein Hauptmann)
Freyer Ensemble
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
(Choreinstudierung: Eberhard Friedrich)
Staatskapelle Berlin
Premiere war am 27. September 2008.
Weitere Termine: 01. | 04. | 12. | 17. | 19. | 22. | 25. 10. 2008


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de



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