Ungeschminkt
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Othello am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) David Baltzer
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Bewertung:
Zurzeit häufen sich die Othello-Inszenierungen. Es ist, als wollten sie demonstrieren, wie sie mit dem Blackfacing-Verbot umgehen. Ob sie sich ihm trotzig entgegenstellen oder ihm auf die eine oder andere Weise entsprechen.
Othello ist im Zuge dieser Auseinandersetzung nicht mehr unbedingt schwarz, wie er es einst bei George Tabori war, einem Regisseur, dem man einen Mangel an Erfahrung mit Diskriminierung gewiss nicht vorwerfen kann, der aber, wie Peter Zadek, die Berührungsängste der Täterkinder gegenüber den Opfern des Rassismus nicht teilte – ein Umstand, der eine genauere Reflexion verdiente. Muss man das Selbstverständliche wirklich ständig wiederholen? Rassistisch ist nicht Der Kaufmann von Venedig, rassistisch ist Antonio, der Kaufmann von Venedig, und rassistisch sind jene Theaterbesucher, die sich darüber freuen, dass Portia Shylock übertölpelt hat. Rassistisch ist nicht Othello und auch nicht, wer Othello als Farbigen zeigt und bezeichnet, rassistisch sind seine Gegner, die ihn gezielt ins Verderben führen. Rassistisch ist auch nicht, wer einen „bösen“ Juden oder Farbigen vorführt. Rassistisch ist, wer suggeriert, diese seien böse, weil sie jüdisch oder farbig seien.
Fünf Mal wird Othello bei Shakespeare „schwarz“ („black“) genannt, zwei Mal von Jago, ein Mal von Emilia und zwei Mal von ihm selbst, das erste Mal mit diesen Worten: „Haply, for I am black/ And have not those soft parts of conversation/ That chamberers have, or for I am declined/ Into the vale of years,--yet that's not much--/ She's gone.“ Daran ist nicht zu rütteln. Sogar der „alte“, wenngleich nicht weiße Mann, der Außenseiter, der die Konversation der Kavaliere nicht beherrscht, wird hier in den Monolog gebracht. Und wenn Jago Othello einen „alten schwarzen Bock“ nennt, der Brabantios „weißes Schaf“ besteigt, dann wählt er für sein rassistisches Vorurteil eine Formulierung, die in ihrer sexistischen Gestalt bis in unsere Gegenwart lebendig geblieben ist.
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Nicht so in Stuttgart. Indem Burkhard C. Kosminski das Motiv des Rassismus gegen das Motiv der Fremdenfeindlichkeit austauscht, zugleich, nicht ganz unironisch, Othello mit einem weißen Juden besetzt, teilt er implizit mit: Es gibt keinen Rassismus auf der Bühne, weil, was (diskriminierend) als Rassenmerkmal gilt, nämlich die Hautfarbe, und selbst das Wort, das (wiederum diskriminierend) in der Vergangenheit verwendet wurde, mit einem Tabu belegt sind. Hans Henny Jahnns Medea oder Jean-Paul Sartres Respektvolle Dirne sind, wenn überhaupt, nur noch in entstellter Form aufführbar. Ob man politisch vernünftig handelt, wenn man den Rassismus aus dem Repertoire streicht, bloß weil man seine Opfer nicht so zeigen darf, wie sie sind oder wie sie von ihren Verfolgern gesehen werden? Weil für sie und nur für sie die Vereinbarung nicht zu gelten scheint: dass auf dem Theater Darsteller*in und Rolle zweierlei sind?
Ich erinnere mich an einen Besuch einer Krakauer Galerie zusammen mit Frauen und Männern aus der Sowjetunion. Sie sahen dort zum ersten Mal Porträts von Picasso. Entsetzt fragten sie: „Sieht so etwa ein Mensch aus?“
Es gibt keinen Grund, sich über die Sowjetbürger von damals zu amüsieren, so lange Othello auf einer deutschen Bühne nicht schwarz sein darf.
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Itay Tiran als Othello am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) David Baltzer
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Thomas Rothschild – 28. April 2019 ID 11372
OTHELLO (Schauspielhaus, 27.04.2019)
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne: Florian Etti
Kostüme: Ute Lindenberg
Video: Sebastian Pircher (impulskontrolle)
Musik: Hans Platzgumer
Licht: Felix Dreyer
Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger
Mit: Itay Tiran (Othello), Matthias Leja (Jago), Michael Stiller (Cassio), Peer Oscar Musinowski (Roderigo), Marco Massafra (Montano), Robert Rozic (Gratiano), Katharina Hauter (Desdemona), Elmar Roloff (Brabantio), Marietta Meguid (Emilia) u.a.
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 27. April 2019
Weitere Termine: 28.04. / 10., 21., 24.05. / 13., 14.06. / 01., 07., 20.07.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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