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Rezension

Katja Riemanns literarisch-musikalische Begegnung mit Edgar Hilsenrath



Bewertung:    



Edgar Hilsenrath (1926-2018) war der Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Halle/Saale. Im November 1938 flohen er, seine Mutter und sein Bruder Manfred zu den Großeltern nach Sereth in der Bukowina, Rumänien. 1941 wurden Edgar Hilsenrath, seine Mutter und all seine Freunde und Verwandten aus Sereth in das Ghetto Mohyliw-Podilskyj im rumänisch besetzten Transnistria verschleppt. Über die Organisation Ben Gurion gelangte Hilsenrath nach der Befreiung durch die Rote Armee zusammen mit weiteren jüdischen Überlebenden nach Palästina. Er geriet auf mehrmals in Gefangenschaft. Später lebte er in Amerika und Frankreich.

Sein Roman Nacht hatte bei seiner Erstveröffentlichung in Deutschland zunächst Schwierigkeiten. Seinen zweiten Roman Der Nazi und der Friseur, der während eines längeren Aufenthaltes in München und in New York entstand, veröffentlichte Hilsenrath deshalb in englischer Übersetzung zuerst in den USA. Er verschaffte ihm seinen weltweiten Durchbruch als Schriftsteller und schließlich auch in Deutschland. 1975 kehrte Hilsenrath dann nach Deutschland zurück und lebte von da an in Berlin. Den Roman Das Märchen vom letzten Gedanken veröffentlichte er 1989. Der Autor setzte sich hier mit kollektiver Erinnerung auseinander. Er setzte den Genozid an den Armeniern mit dem Holocaust in Beziehung und klagte damit jegliche Art von Völkermord an. Die Märchenform überhöht sarkastisch die Leugnung durch den türkischen Staat.

*

Zwischen Katja Riemann und Edgar Hilsenrath muss es gefunkt haben:


„Ich hatte die große Ehre Edgar Hilsenrath zu treffen, bevor er am 30. 12. 2018 starb, 92-jährig. Er aß Erdbeereis, ich trank Pfefferminztee, wir haben uns voll die Kante gegeben. Ich widme ihm diesen Abend und hätte gewünscht, er hätte ihn auch gesehen.“ (Katja Riemann im Programmflyer)


Herausgekommen ist ein literarisch-musikalischer Abend, der im Rahmen der Jüdischen Kulturtage 2019 in Berlin seine Premiere erlebt. Musik, von Kurt Weill inspiriert, umrahmt eine Art szenische Lesung. Katja Riemann spricht und performt aus unterschiedlichen Perspektiven: frontal lesend im Vortragsstil, frei skandierend am Bühnenrand, in zuvor eingespielten Videos und mittels Live-Set eingespielten Projektionen. Guillaume de Chassy am Flügel ist Teil der Perfomance und dient der Riemann als stummer Ansprechpartner. Bewundernswert und sehr mutig, wie sich Riemann dieses schweren Themas annimmt. Es ist nicht lange her, da hat es ernsthafte diplomatische Verwerfungen zwischen Deutschland und der Türkei gegeben, als der deutsche Bundestag den Genozid an den Armeniern offiziell anerkannt hat. Katja Riemann arbeitet mit allen Mitteln performativer Künste: Musik, Literatur, Film und Schauspiel. Sie wechselt professionell von der Perspektive des Märchenerzählers zu der des letzten Gedankens. Auf der einen Seite sehr ernsthaft, auf der anderen aber auch lässig, kann sie den Inhalt eindringlich aber ohne erhobenen Zeigefinger transportieren. Ein wunderbarer und sehr inspirierender Abend!
Steffen Kühn - 10. November 2019
ID 11805
Weitere Infos siehe auch: https://www.juedische-kulturtage.org/


Post an Steffen Kühn

https://www.hofklang.de

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