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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Soldaten

sind Bürger



Peter Dobrowald in Soldaten bei der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer

Bewertung:    



Nein, ich will hier nicht Kurt Tucholsky widerlegen. Der wird damals triftige Gründe gehabt haben für seinen berühmten Satz, und die meisten davon dürften auch heute noch vorhanden sein. Zudem sind Tucholskys Schuhe derart groß, dass ich da bequem drin schlafen könnte, mehr als ein ungenaues Zitieren ist also nicht drin. Und im Übrigen gehört in die Überschrift eigentlich noch ein „manchmal auch“, doch das klang mir dann nicht knackig genug.

Aber darum geht es ja nicht.

*

Dieser Soldaten-Bericht handelt von einem weiteren Stück der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden, das sich in dokumentarischer Art mit Randgruppen auseinandersetzt: Nach Demenzkranken und deren Angehörigen, nach Stasi-Opfern und deren Akten und nach Liebenden sowie Midlife-Kreisenden und deren Problemchen ist nun also der Berufsstand des Soldaten dran. Denn die meisten auf der Bühne gingen diesem Gewerbe zumindest eine Zeitlang beruflich nach oder waren mit diesem verheiratet (was ganz eigene Kollateralschäden erzeugte). Davon wussten sie mal anrührend, mal im Landserduktus zu erzählen, mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Ausdrucksmöglichkeiten ausgestattet.

Am Ende war das für mich „bedingt aussagefähig“, um einen anderen berühmten Halbsatz zu verballhornen.

Man kann sich bei diesem Thema schnell verlaufen.

Auch Regisseur und Autor Clemens Bechtel konnte der Versuchung nicht ganz widerstehen, zu viele Geschichten in das Stück zu packen. Die Spannweite reichte vom NVA-Rekruten der ersten Stunde bis zum Afghanistan-Kämpfer, vom ausgestiegenen Panzerleutnant aus Großenhain bis zum Matrosen auf der Fregatte „Bayern“, vom Berufsoffizier, der in zwei Armeen diente (und auch zwei Eide leistete) bis zu Zweien, die der Wehrdienst zu einer seltsamen Waffenfixierung brachte. Ein Solitär in jedweder Hinsicht war dabei Barbara Gardner, die jahrzehntelang als Gattin eines Marines funktionierte, ihm und dem Vaterland drei Söhne gebar, an seinem Aufstieg partizipierte und am Ende doch am Zaun des Weißen Hauses rüttelte, „no more war“ rufend. Ihre Auftritte sind zweifellos der emotionale und auch spielerische Höhepunkt des Stückes.

Von einigen hätte man gern mehr erfahren.

So von jenem, der einem anfangs als der härteste Hund auf dem Kasernenhof vorkam und dessen Geschichte dann Mitte der Achtziger mit einem versuchten Freitod auf den Bahngleisen endete, weil er anders aus seinem Panzerregiment nicht mehr rauszukommen glaubte. Wie diese Geschichte weiterging, wäre für mich sehr spannend gewesen, auch wenn sie mit dem Militär sicher nichts mehr zu tun hatte.

Andere waren überpräsent.

So der Diener zweier Herren und Heere, der seine Geschichte unnötig auswälzte, um Verständnis für den Wechsel unter fliegenden Fahnen werbend. Gut, dies kann man im historischen Kontext noch einigermaßen einordnen, das Gejammer, von den falschen Vorgesetzten in den Ruhestand verabschiedet worden zu sein, war dann aber doch vergleichsweise peinlich. Auch das Pathos des Seemanns erreichte mich nicht, obgleich auch ich „gedient“ habe.

Das Spielen ist nicht jedermanns Sache.

Man muss von der Bürgerbühne keine schauspielerischen Pretiosen erwarten, aber diesmal fielen die Unzulänglichkeiten besonders auf. So ergab sich öfter Komik an Stellen, wo sie nicht hingehörte, und kassierte einen großen Teil der Wirkung. Auch die Spielszenen beschränkten sich meist auf Stereotype, einige Akteure minutenlang über den Boden robben und die Bettwäsche im Takt falten zu lassen, das armeeübliche Gebrüll und die Schüsse mit der MPi ins Publikum trugen zur Wahrheitsfindung wenig bei.

Ironie habe ich an diesem Abend schmerzlich vermisst.
Das lag vor allem daran, dass man bei vielen Spielern kaum eine Distanz zum Erlebten spürte. Kann ja sein, dass sie sich mit ihren Biographien kritisch auseinandersetzen, zu sehen war das nicht. Mitleid ist sicher nicht das Gefühl, was man im Publikum erzeugen wollte. Und das Wort „Kamerad“ kann ich seit heute nicht mehr hören.

Richtig spannend war es nur am Ende.

Da wurden auf einmal die heißen Themen angepackt, das Sterben in Afghanistan, die verstümmelten Kinder im Kosovo, die neue Art der Kriegsführung „nine to five“, am Joystick in der Home Base. Aber das konnte nur noch angerissen werden, für eine Vertiefung fehlte die Zeit und vielleicht auch die Kraft.

Vieles bleibt also offen.

Sicher ist dieses komplexe Thema ohnehin nicht an einem Abend vollständig abhandelbar, aber die Breite ging eindeutig zu Lasten der Tiefe. Der große Anspruch, das Soldatsein in allen Facetten zu beleuchten, scheiterte an der Vielfalt des Sujets. Ich ging ein wenig ratlos hinaus: Man hat viel gehört, aber wenig erfahren.



Soldaten bei der Bürgerbühne am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer

Sandro Zimmermann - 30. März 2015
ID 8536
SOLDATEN (Kleines Haus 3, 28.03.2015)
Text und Regie: Clemens Bechtel
Bühne und Kostüm: Till Kuhnert
Musik: Sven Kaiser
Dramaturgie: Silke zum Eschenhoff
Licht: Andreas Rösler
Mit Olaf Barthier, Stephan Benada, Steve Caspar, Peter Dobrowald, Barbara Gardner, Mario Herzig, Christoph Jung und Eckhard Kempin
Uraufführung war am 28. März 2015
Weitere Termine: 30. 3. / 4., 11. 4. / 1. 5. 2015
Eine Kooperation mit dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de/buergerbuehne/


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