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Stücke nach Filmen

"Focus

Fassbinder"




Die Ehe der Maria Braun (Schaubühne am Lehniner Platz)

Wie sich die in der Fassbinder-JETZT-Ausstellung im Martin Gropius Bau ausgestellten mondänen Roben auf der Theaterbühne machen, kann man seit einiger Zeit an der Berliner Schaubühne in Thomas Ostermeiers Inszenierung von Fassbinders Film Die Ehe der Maria Braun, seinem großen bundesrepublikanischem Sittengemälde der 1950er Jahre, bewundern. Ostermeier hat seine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen aus dem Jahr 2007 an der Schaubühne mit neuer Besetzung wiederaufgenommen. Fassbinder begann mit seinem 38. Film 1979 eine sogenannte BRD-Trilogie, die er mit Lola und Die Sehnsucht der Veronika Voss fortsetzte. Diese Filme sind unwiderruflich verbunden mit den Namen großer Filmschauspielerinnen wie Hanna Schygulla, Barbara Sukowa und Rosel Zech. Im Rahmen des "Focus Fassbinder" beim 52. Theatertreffen konnte man dieses gute Stück alte Bundesrepublik nun wiederentdecken.

In Ostermeiers Bühnenadaption spielte zunächst in München Brigitte Hobmeier die Maria Braun. An der Schaubühne hat nun Ursina Lardi die Hauptrolle übernommen. Und das ist in jedem Fall kein Verlust, sondern eher im Gegenteil eine große Lust ihr über die 105 Minuten Spielzeit zuzusehen, wie sie diesen schwierigen Fassbinder’schen Frauencharakter verkörpert. Nicht einfach nur ein Reenactment der Münchner Erfolgsinszenierung oder des Fassbinderfilms, auch wenn einige Szenen einen tatsächlich stark an das souverän zurückgenommene Spiel von Hanna Schygulla erinnern. Ostermeier hat außer der Maria Braun alle anderen Rollen, auch die der Frauen, mit den Schaubühnendarstellern Thomas Bading, Robert Beyer, Moritz Gottwald und Sebastian Schwarz besetzt. Ein großartiger Einfall, der die vier Akteure ein gewaltiges Theaterfeuer aus Komik, Travestie und schneller Verwandlung um den weiblichen Fixpunkt der Aufführung entfachen lässt.

Die Geschichte des Aufstiegs der Maria Braun, die nach ihrer Hochzeitsnacht ihre große Liebe Herrmann an den Krieg verliert und auch nach dessen Ende weiter unbeirrt auf die Rückkehr ihres Mannes wartet, ist die Biografie einer Frau, die in der Nachkriegszeit ihre Chance sieht und selbstbewusst ergreift. Über die Stationen Schwarzmarkt, Nachtbar für amerikanische GI's und schließlich als Assistentin und Geliebte des Strumpffabrikanten Oswald macht Maria Braun Karriere, nur um ihrem Mann, der während dessen eine Gefängnisstrafe wegen Todschlags für sie absitzt, das bisher entbehrte Glück und Heim aufzubauen. Die anfängliche Freiheit entpuppt sich letztendlich aber als große Illusion in einer Welt, die sich nach wie vor nur um die der Männer dreht.

Gespielt wird das auf einer Möbellandschaft aus den deutschen Fifties mit Cocktailsesseln und Nierentischen, Fernsehschrankwand und schweren Samtvorhängen. Es erklingt die Swing-Musik der Zeit, es wird getanzt, geraucht und viel Sekt getrunken. Den Mythos der Gründerjahre der BRD lässt Fassbinder am Ende in einem großen Knall zur WM-Reportage Herbert Zimmermanns aus Bern in die Luft fliegen. Auch das übernimmt Ostermeier in seine Inszenierung, genau wie berühmte Adenauerreden und historische Filmdokumente, die über die Rückwand der Bühne oder auf die Körper der Schauspieler projiziert werden. Dem Schaubühnenintendanten ist hier die Übertragung eines großartigen filmischen Zeitdokuments auf die Theaterbühne gelungen, das auch sonst wunderbar an den immer noch das mondäne Flair der Vergangenheit atmenden Berliner Kudamm passt.


Bewertung:    



Die Ehe der Maria Braun in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair


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Angst essen Seele auf (Maxim Gorki Theater)

Neben der Schaubühne am Lehniner Platz, die bereits längere Zeit mit Fassbinder auftrumpft und mit den Patrick Wengenroth-Inszenierungen Angst essen Deutschland oder Die Tränen der Petra von Kant weitere Beiträge zum "Focus Fassbinder" beim Theatertreffen liefern konnte, hat auch das Maxim Gorki Theater eine Fassbinder-Inszenierung im Programm. Passend zur postmigrantischen Ausrichtung des Hauses am Festungsgraben in Berlin-Mitte hat sich Regisseur Hakan Savaş Mican den Film Angst essen Seele auf ausgesucht. Ein Stück bundesrepublikanische Geschichte der 1970er Jahre, das auch geprägt wurde durch die vielen Arbeitsmigranten, die durch verschiedene Anwerbeabkommen ab dem Beginn der 1960er Jahre nach Deutschland gekommen sind.

Fassbinder erzählt in seinem Film eine Geschichte von Sehnsucht nach Liebe, Heimat, Anerkennung und immer noch gültigen Ausgrenzungsmechanismen. Im Mittelpunkt steht die Putzfrau und Witwe Emmi (im Film von Brigitte Mira dargestellt), die sich in den jungen marokkanischen Gastarbeiter Ali (Fassbinderdarsteller El Hedi ben Salem) verliebt und ihn gegen alle Konventionen auch heiratet. Aber beider Liebe scheitert letztendlich an den bekannten Vorurteilen gegenüber Ausländern und dem ganz normalen Alltagsrassismus der Familie, Nachbarn und Kollegen von Emmi, die ihnen ihr Glück nicht gönnen wollen, aber auch am eigenen Unvermögen aufeinander zuzugehen und den anderen so zu akzeptieren wie er ist.

Am Gorki sind Ruth Reinecke und Taner Şahintürk in den Hauptrollen zu sehen. Ein starkes Duo, das sehr glaubwürdig die tragischen Fassbinderfiguren verkörpert. Ansonsten setzt Hakan Savaş Mican in seiner Inszenierung ähnlich wie Ostermeier an der Schaubühne auf ein wandelbares Ensemble, das alle anderen Rollen untereinander aufteilt. Das ist sicher ebenso lustvoll und komödiantisch angelegt. Allerdings geraten die tratschenden, lästernden Putzfrauen, verlebten Kneipenexistenzen sowie spießige Nachbarn und Kinder oftmals zur bloßen Karikatur. Um dem Klischee etwas zu entfliehen, gibt der Regisseur Taner Şahintürk einen Eingangsmonolog, in dem er frei von Akzent die Geschichte der Arbeitsmigranten aus den 1970er Jahren erzählen kann. Auch hier schwelgt man mit Schlaghosen und Songs in den historischen Seventies, und auf leerer Bühne fallen abwechselnd Asche oder Flitter. Die Inszenierung ist sehr sympathisch auf Empathie mit den beiden Hauptfiguren angelegt. Das tödliche Magengeschwür Alis wird hier auch nicht weiter thematisiert - der schwerwiegende Satz „Das kann keiner, ohne die anderen leben, keiner“ wird von Emmis trotzigem „Zusammen sind wir stark“ optimistisch übertönt.


Bewertung:    



Angst essen Seele auf am Maxim Gorki Theater | Foto (C) Esra Rotthoff


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Warum läuft Herr R. Amok? (Münchner Kammerspiele)

Das Theatertreffen steuerte mit Warum läuft Herr R. Amok? eine als bemerkenswert titulierte Inszenierung zum "Focus Fassbinder" bei, wo implizit auch die Frage aufkam, warum überhaupt Filme von Fassbinder als Theater gemacht werden sollten - darauf wusste die aus München eingeladene Inszenierung von Susanne Kennedy (die im letzten Jahr schon mit ihrer streng artifiziellen Inszenierung von Fegefeuer in Ingolstadt Kritik und Publikum polarisierte) allerdings keine so rechte Antwort zu geben.

Die Regisseurin wird ab 2017 zum neuen Leitungsteam um Chris Dercon an der Berliner Volksbühne gehören, was sie nun erst recht in das Zentrum der Berliner Kritiker rücken ließ. Im Deutschen Theater steht dann wieder einer ihrer Holzkisten, die einen klaustrophobischen Raum zwischen Hobbykeller und Freizeitsauna zeigt. Darin stehen die Figuren mit Silikonmasken, die ihre Gesichtszüge ebnen und sie wie Puppen aussehen lassen. Im Playback der von Laien eingesprochen Drehbuchtexte von Fassbinder und Mitautor und Regisseur Michael Fengler bewegen die Darsteller nur die Münder. Nach kurzen Pausen, bei denen eine Leinwand runterfährt und den selben Raum noch mal im Video doppelt, sagt eine computergenerierte Stimme die Spielorte der einzelnen Szenen an.

Fassbinder hatte sich schon während der Dreharbeiten vom gemeinsamen Werk distanziert. Der in improvisierten Dialogen gefasste Film, der den monotonen Alltag eines in einem Architekturbüro angestellten Technischen Zeichners beschreibt, der am Ende Frau, Sohn und Nachbarin umbringt, konnte seinen künstlerischer Ansprüchen nicht genügen. Er fand auch, dass dieser halbdokumentarisch wirkende Film, in dem die Kamera einfach nur auf das Geschehen draufhielt und abfilmte, was sie sah, zu denunziatorisch. Es geht um Individualität und Gemeinschaftssinn, Masken und Lügen, was sich hier wunderbar in den spießigen Gesprächen von Nachbarn, Kollegen und der Familie des R. selbst demaskiert. Das kulminiert in einer Betriebsweihnachtsfeier mit dem hilflosen Apell von Herrn R., doch mit seinem Chef Brüderschaft zu trinken. Soziale Kälte, Neid und Missgunst der bundesrepublikanischen Leistungsgesellschaft werden so in jeder Szene spürbar.

Wo der Film in seiner Sparsamkeit dennoch einen stringenten Sog erzeugt, der einen bis zum Ende gefangen nimmt, dehnt sich Kennedys Inszenierung grotesk in die Länge. So wird die Szene, in der Herr R. in einem Plattenladen einen von ihm gesuchten Song vorsingt, in mehrere Teile gestückelt, und die Auftritte mit dem sprachgehandikapten Sohn oder bei dessen Lehrerin geraten wie bei einem Loriot-Sketch. Den sowieso schon relativ persönlichkeitslosen Figuren des Films nimmt die Regisseurin neben der stark eingeschränkten Motorik auch noch die Mimik und eigene Stimme und lässt sie so vollkommen austauschbar und fremdgesteuert erscheinen. Das Mittel der zusätzlichen Verfremdung und Distanzierung ist sicher nachvollziehbar, macht aber auf Dauer nur bedingt Sinn. Es bleibt eine künstlerische Eigenart (die bei Fegefeuer in Ingolstadt noch ganz gut funktionierte), eine Masche, die auf Dauer nervtötend ist und ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn bleibt. Daran ändert im Prinzip auch nicht, dass Kennedy nach dem Amoklauf die Laiensprecher, die vorher schon in den Videos alltäglichen Verrichtungen nachgingen, befreit auftreten und zu Eric Claptons "Let It Grow" tanzen lässt.

Als Mischform aus Experimentalfilm, Installation und darstellender Kunst wäre die Inszenierung für die Dauer eines Halbstünders womöglich interessant gewesen - in der hier dargebrachten Länge wurde sie jedoch zunehmend beliebig. Susanne Kennedy kappt auch wichtige Passagen aus dem Film, die durchaus gesellschaftspolitische Problematiken behandeln und bis heute keineswegs gelöst erscheinen - neben den rein zwischenmenschlichen Konflikten sind das z.B. die geschlechtsspezifischen Rollenbilder, die freie Entfaltung der Frau gegen die traditionellen Erwartungen (auch an den Mann, ihre Persönlichkeitsentwicklung sowie die Erziehung des Kindes). Diese Entpolitisierung des Stoffs verkauft letztendlich die Kunst an den Effekt.


Bewertung:    



(C) Münchner Kammerspiele


Stefan Bock - 16. Mai 2015
ID 8642
DIE EHE DER MARIA BRAUN (Schaubühne am Lehniner Platz, 10.05.2015)
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Nina Wetzel
Kostüme: Ulrike Gutbrod und Nina Wetzel
Video: Sébastien Dupouey
Musik: Nils Ostendorf
Dramaturgie: Julia Lochte und Florian Borchmeyer
Mit Ursina Lardi, Sebastian Schwarz, Thomas Bading, Robert Beyer und Moritz Gottwald
Premiere an den Münchner Kammerspielen: 6. Juni 2007
Berliner Wiederaufnahme in neuer Besetzung: 6. 9. 2014
THEATERTREFFEN-Termine: 10. - 12. 5. 2015


ANGST ESSEN SEELE AUF (Maxim Gorki Theater, 06.05.2015)
Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne: Sylvia Rieger
Musik: Daniel Kahn
Kostüme: Pieter Bax
Licht: Carsten Sander
Dramaturgie: Irina Szodruch
Mit: Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Anastasia Gubareva, Daniel Kahn, Sema Poyraz, Ruth Reinecke, Taner Şahintürk, Dimitrij Schaad und Aram Tafreshian
Premiere war am 6. Juni 2014
THEATERTREFFEN-Termin: s.o.


WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (Deutsches Theater Berlin, 03./04.05.2015)
Regie: Susanne Kennedy
Bühne: Lena Newton
Kostüme: Lotte Goos
Sounddesign: Richard Janssen
Licht: Jürgen Kolb
Dramaturgie: Koen Tachelet
Mit: Willy Brummer, Kristin Elsen, Walter Hess, Renate Lewin, Christian Löber, Sybille Sailer, Anna Maria Sturm, Çiğdem Teke, Edmund Telgenkämper, Herbert Volz und Erika Waltemath
Premiere in den Münchner Kammerspielen war am 27. November 2014
THEATERTREFFEN-Gastspiel

Weitere Infos siehe auch: http://www.theatertreffen.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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