Krautfleckerln
TANTE JOLESCH KOCHT? mit Alexander Waechter
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Foto (C) Andreas Anker
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Alexander Waechter gehörte über viele Jahre zum Ensemble des Wiener Theaters in der Josefstadt. Er beherrschte noch jenen typischen näselnden Tonfall der „besseren Gesellschaft“, den man in den Konversationsstücken an der Josefstadt seit Generationen pflegte und der mittlerweile vom Aussterben bedroht ist, an Österreichs Schauspielschulen nicht mehr gelehrt wird. Alexander Waechter ist ein Meister des Raunzens, einer Sprechweise, in der sich eine Haltung manifestiert, deren Verschwinden man gesellschaftlich nicht unbedingt beklagen muss, aber als literarisch-dramatischen Verlust verzeichnen darf. Man muss den Zuständen, die Schnitzler oder Hofmannsthal in ihren Stücken abbilden, nicht nachweinen, um den Fortfall ihrer Darstellbarkeit zu bedauern.
In einem Alter, in dem brave Beamte in den sogenannten Ruhestand gehen, fühlte sich Waechter nichts weniger als pensionsreif. Vor gut vier Jahren übernahm er das kleine Kellertheater am Franz-Josefs-Kai, das der Schauspieler Herbert Lederer 36 Jahre lang im Alleingang bespielt hatte. Waechter folgt dessen Vorbild und präsentiert en suite Soloprogramme, die meist auf Erzähltexten basieren. Zurzeit locken die Anekdoten von der Tante Jolesch, die Friedrich Torberg zu seinem größten Erfolg verholfen hatten, unter dem Titel Tante Jolesch kocht?
Zu dieser Tante Jolesch freilich passt nicht das „Negligé im Tonfall“ (Anton Kuh) der österreichischen Aristokratie. Sie jiddelt. Mit dem Jiddeln – nicht zu verwechseln mit dem Jiddisch, einer eigenen Sprache – ist das so eine Sache. Wenn Nicht-Juden es imitieren, kann das ähnlich peinlich wirken wie das Blackfacing. Nicht selten hat die Aneignung dieser Sprechweise einen antisemitischen Unterton, wie das Bemalen des Gesichts rassistisch verstanden werden kann. Der Kabarettist Karl Farkas hat das Jiddeln in das Nachkriegs-Wien herübergerettet, aber seine Beliebtheit war keine Garantie für die Immunität seines Publikums gegen Judenfeindschaft, nach 1945 ebenso wenig wie vor 1938.
Alexander Waechters Kennzeichnung der Tante Jolesch ist über jeden Verdacht erhaben. In ihr Jiddeln mischt sich ein Böhmakeln – der charakteristische Akzent der Wiener Tschechen, insbesondere der böhmischen Köchinnen und Ammen – und stellenweise eine ungarische Vokalfärbung. Waechter spielt mit Perücke und Frauenkleidung, aber zum Glück versucht er nicht, eine Frauenstimme zu simulieren oder gar den Charleys-Tante-Effekt auszubeuten. Während er Tante Joleschs Geschichten erzählt, bereitet er eine geschlagene Stunde lang Krautfleckerln zu, die die Zuschauer beim Verlassen des Theaters verkosten dürfen. Hinter ihnen liegt dann ein Ausflug in eine Vergangenheit, die mit einem Augenzwinkern Nostalgie und Ironie vereint.
Übrigens: die Tante Jolesch hat es tatsächlich gegeben. Mit Friedrich Torberg war sie nicht verwandt. Wohl aber, durch Heirat, mit der späteren Ehefrau von Hanns Eisler. Der wiederum kommt bei Alexander Waechter nicht vor. Dafür erwähnt er Arnold Schönberg. Hinter Tante Jolesch verbirgt sich über das Namedropping hinaus ein Stück österreichisch-jüdischer Geschichte. Das dürfte niemandem entgangen sein, der die Vorzüge ihrer – pardon: von Alexander Waechters Krautfleckerln preist.
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Thomas Rothschild – 24. Oktober 2018 ID 10987
Weitere Infos siehe auch: http://franzjosefskai21.at
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