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Premierenkritik

Tingeltangel

mit Musik



Stefanie Reinsperger als Der Theatermacher von Thomas Bernhard - am Berliner Ensemble | Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



Hosenrollen sind für die Schauspielerin Stefanie Reinsperger nichts Neues. Am Berliner Ensemble spielte sie schon unter Ersan Mondtags Regie die Figur des obsessiven Künstlers Baal in Bertolt Brechts gleichnamigen Drama. Auch in der neuen Inszenierung des Intendanten Oliver Reese verkörpert Reinsperger wieder einen Mann, den Theatermacher Bruscon aus Thomas Bernhards 1984 erschienenem Stück Der Theatermacher. Oliver Reese hat bei der Besetzung der Hauptrolle sofort an sie gedacht, ließ der BE-Intendant in einem Interview mit der Berliner Morgenpost verlauten.

Wenn Stefanie Reinsperger eine Bühne betritt, weiß sie diese auch zu füllen und das vor allem mit ihrer unvergleichlichen Präsenz, Energie und einem schauspielerischen Können, das einen sofort für sie einnimmt. Solche Persönlichkeiten sind gerade im Moment wichtig, wo ein zunehmender Publikumsschwund an den Theatern beklagt wird und sich die Leute auf Dauer doch eher durch Persönlichkeiten in klassischen Stücken als von bestimmten politischen Statements und Aktionismus für den Gang ins Theater begeistern lassen. Was nicht heißen soll, dass es dafür kein Publikum gäbe. Aber besonders das Berliner Ensemble geht hier mit Brechts Dreigroschenoper oder Matthias Brandt in einer als Soloabend gestalteten Bühnenfassung von Max Frischs Mein Name sein Gantenbein auf Nummer sicher. 92 Prozent Auslastung scheinen Oliver Reese diesbezüglich auch Recht zu geben.

*

Der Theatermacher gehört nun wieder zum eher klassischen Theaterrepertoire. Vor allem Reese-Vorgänger Claus Peymann hat den österreichischen Autor in den 1980 und -90er Jahren während seiner Intendanz in Bochum und als Burgtheaterdirektor in Wien auf der Bühne durchgesetzt. Seine Uraufführungsinszenierung des Theatermachers mit Traugott Buhre 1985 bei den Salzburger Festspielen gilt als legendär. Sie wurde später auch am Berliner Ensemble gezeigt. Allerdings dürften sie heute nur noch wenige kennen. Zeit also für eine Neuinterpretation des Stücks, das sich um die Eigenarten und grenzenlose Hybris jenes Theatermachers dreht, der in einem Provinznest namens Utzbach unter widrigen Bedingungen die Komödie Das Rad der Geschichte probt, seine mitspielende Familie terrorisiert und am Ende doch krachend damit scheitert. Hier zeigt sich vor allem Bernhards unnachahmlich gallige Art, in seiner Hassliebe den Theaterbetrieb vorzuführen bis der Blitz einschlägt und alles unter Wasser gesetzt wird. Auch ein Stück Weltkomödie, wie ein Buch von Claus Peymann über seine Burgtheater-Zeit, die vor allem auch durch Bernhard geprägt war, betitelt ist.

Nun also nicht mehr Weltkomödie Österreich. Utzbach ist überall und also auch am Berliner Ensemble. Hansjörg Hartung hat den Tanzsaal des Utzbacher Wirtshaus Schwarzer Hirsch, Handlungsort des Stücks, als länglichen Kasten mit Oberlichtern auf die Bühne des BE gesetzt. Ein abgeranzter und vollgemüllter Mehrzweckraum mit einem kleinen Podest an der Rampe. Die im Stück eine große Rolle spielende Fluchtwegbeleuchtung ist gut erkennbar. Schon Peymanns Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann hatte so einen trostlosen Kastenraum entworfen. Da ist die auch sonst ganz naturalistisch eingerichtete Inszenierung am BE der Uraufführung bis zum eingegipsten Arm des Sohns Ferruccio (hier Adrian Grünwald) recht nah, ohne sie direkt zitieren zu wollen.

Das Ereignis ist natürlich Stefanie Reinsperger als Bruscon, der hier mit Billa-Tüte den Raum betritt, begleitet vom wortkargen Wirt (Wolfgang Michael), der das Trauerspiel in der Utzbacher Provinz mit zu kurzem Shirt und Schürze komplettiert. Die Reinsperger gibt den Theatermacher von Beginn an als Getriebenen, am Unvermögen und der Kulturlosigkeit der Anderen Leidenden, auch ganz bewusst körperlich. Sie würgt den Namen des Ortes wie im Ekel heraus, läuft umher, ächzt, schwitzt und schreit auch mal. Das hat zur Folge, dass das andere Personal noch mehr als vorgesehen wie bloße Staffage wirkt. Der Sohn ist tumb und unterwürfig, Frau Bruscon (Christine Schönfeld) hustet die meiste Zeit und darf am Ende das Fiasko lachend verlassen. An der widerspenstigen Tochter Sarah (Dana Herfurth), die dem Vater die Zunge raustreckt oder ihn nachäfft, wird Bruscon auch mal übergriffig. Hier verweist die Inszenierung auf die im Text Bernhards vorhandenen frauenfeindlichen Aussagen des Theatermachers. Metoo im Westentaschenformat.

Musikalisch begleitet wird der Abend von einer Liveband, die mit ihrer Varieté-Musik (Jörg Gollasch), über deren Notwendigkeit man sich hier streiten könnte, dramatisch noch ein draufsetzen will, das Ganze aber mehr wie im Tingeltangel wirken lässt. Ansonsten spult der Abend brav in vier Akten mit Vorhängen getrennt den Text Bernhards ab, bis die Saaldecke im Regen aufweicht und sich die Lächerlichkeit und Vergeblichkeit aller Bemühungen des Theatermachers manifestiert. Nie war Oliver Reese so nah an seinem Vorgänger Claus Peymann. Wer einen neuen Interpretationsansatz erwartet hat, wird da enttäuscht. Wer eine furios aufspielende Stefanie Reinsperger sehen will, kommt dagegen voll auf seine Kosten. Dafür gab es am Premierenabend sogar Standing Ovations.



Der Theatermacher am BE | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 21. Oktober 2022
ID 13863
DER THEATERMACHER (Berliner Ensemble, 20.10.2022)
Regie: Oliver Reese
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüm: Elina Schnizler
Musik: Jörg Gollasch
Live-Musik: Valentin Butt, Peer Neumann, Natalie Plöger und Ralf Schwarz
Licht: Steffen Heinke
Dramaturgie: Johannes Nölting
Mit: Stefanie Reinsperger (als Bruscon), Christine Schönfeld (als Frau Bruscon), Dana Herfurth (als Sarah), Adrian Grünwald (als Ferruccio) und Wolfgang Michael (als Der Wirt)
UA bei den Salzburgerfestspielen: 17. August 1985
Aktuelle BE-Premiere war am 20. Oktober 2022.
Weitere Termine: 21., 31.10./ 01., 17., 22., 30.11.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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