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Premierenkritik

Sangesschmelz

und Operetten-

flitter



Die Dreigroschenoper am Berliner Ensemble | Foto (C) Jörg Brüggemann

Bewertung:    



Um es vorweg zu nehmen, so schlecht, dass man den Intendanten Oliver Reese mit üblen Missfallensbekundungen über den halben Hof des Berliner Ensembles verfolgen müsste, war die neue Dreigroschenoper [die vorherige inszenierte Robert Wilson] im traditionsreichen Theater am Schiffbauerdamm dann auch nicht. Zumal Reese gar nicht Regie führte, sondern nur die Verpflichtung des Opernregisseurs und Noch-Intendanten der Komischen Oper Barrie Kosky zu verantworten hatte. Soviel zu einer peinlichen Anekdote am Rande der heiß erwarteten und pandemiebedingt länger verschobenen Premiere des Brecht/-Weill-Klassikers. Bereits zur Pause applaudierte das wieder zahlreich zugelassene Publikum, als wäre der neue Messias der Theaterkunst erschienen. Er soll hier übrigens schon in Netz-Parallelwelten gesichtet worden sein. Der Szenenapplaus von Beginn weg galt aber wohl eher dem gut aufgelegten Ensemble und der Liveband unter der Leitung des treuen Kosky-Wegbegleiters Adam Benzwi als dem erfolgsgewohnten Operettenbaron aus der Behrenstraße.

Operette ist dann auch das Stichwort zur Inszenierung. Barrie Kosky bedeutet Bertolt Brechts Text eher wenig, die Musik von Kurt Weill dagegen umso mehr. Adam Benzwi hat ein nahe an der ursprünglichen Partitur angelegtes Arrangement erarbeitet. Kosky hat überflüssigen Text rausgeschmissen und dem Gesang mehr Raum gegeben. Für das Auge gibt es auch einiges, u.a. das bühnenfüllende, labyrinthartige Metallgerüst von Rebecca Ringst, das zu Beginn noch hinter einem Glitzervorhang versteckt ist und sich dann in Teilen nach hinten verschieben lässt und viel Platz zum Turnen und Verrenken bietet. Man hat hier nichts dem Zufall überlassen. In kleinen Videobeiträgen auf der Website des BE wurde das interessierte Publikum auf die Produktion vorbereitet. Das kulminiert am 14. August, dem 65. Todestag Brechts, sogar in einem Making-of-Film im rbb.

Eine dicke Programmzeitung erklärt auch noch dem Ungebildetsten, worauf es bei der Dreigroschenoper ankommt und was die Intensionen Brechts und Weills waren. Wie ist es nun mit dem Fressen und der Moral, mit der Gesellschaftskritik und der Liebe in Zeiten des Kapitalismus beschaffen? Nun, zu (fr)essen gab es zur Pause in der Kantine nicht viel, muss man sich also mit der Moral des Ganzen befassen. Die war schon damals hinter jeder Menge Ironie versteckt. Aber da steht Brechts Text - und auch Mitautorin Elisabeth Hauptmann sei da nicht unerwähnt - nach wie vor für sich. Die Songs verlieren nichts an Schärfe, wenn man sie operettenhaft gefühlig weichspült und der berüchtigte Räuberhauptmann Mackie Messer im Glitzerkostüm eitel mit Flitter um sich wirft. Nico Holonics schmeißt die Hochzeitszene fast im Alleingang, wobei die Bandenmitglieder als Sidekicks aus dem Orchestergraben kommen. Die Partitur, dem Bandleader entrissen, geht kurzerhand in Flammen auf. Und wen das Spotlight im Publikum trifft, darf kurz mitmachen.

Zuweilen wähnt man sich allerdings in einer One-Man-Show. Der BE-Schauspieler dominiert selbst später an die Kette gelegt noch klar den Abend. Was nicht heißen soll, der Rest des Ensembles wäre nur Kostümstaffage. Auch Cynthia Micas als Polly (Die Seeräuber-Jenny) oder Bettina Hoppe als Spelunken-Jenny (Salomonsong) haben ihre großen Auftritte. Etwas ulkig kommt das Bettlerkönigpaar Peachem mit Constanze Becker und Tilo Nest daher, bis auch da die Peitsche knallt. Insgesamt könnte man sich das aber schon noch etwas dreckiger vorstellen. Selbst der Kanonensong, der ja immer wie ein Trigger für verschlafenes Publikum wirkt, verpufft hier zum beschwingten Herrenduett. Zwei alte Buddies im Clinch, wobei der Tiger Brown hier mit Kathrin Wehlisch gender-geswitcht ist, aber immer etwas zu melancholisch daher kommt.

Dafür gibt es mal wieder echten Zickenkrieg zwischen Cynthia Micas‘ Polly und Laura Balzer als Kontrahentin Lucy, die bei Kosky auch ihre einst gestrichene Arie zurückbekommt. Viel mehr ist nicht zu berichten, außer dass die in die Jahre gekommene Wilson-Inszenierung mit ein paar schönen Schattenspielen noch eine kleine Reminiszenz erhält und der Mond über Soho gedoubelt wird. Ansonsten mehr Licht, schöne Show und wenig Schatten, denn wie es Josefin Platt in Brechts Moritat von Meckie Messer am Ende besingt, sind eben nur die im Lichte wirklich zu sehen.



Die Dreigroschenoper am Berliner Ensemble | Foto (C) JR/Berliner Ensemble

Stefan Bock - 15. August 2021
ID 13080
DIE DREIGROSCHENOPER (Berliner Ensemble, 13.08.2021)
Regie: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Adam Benzwi
Bühne: Rebecca Ringst
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Kostüme: Dinah Ehm
Mit: Nico Holonics (als Mackie Messer), Cynthia Micas (als Polly Peachum), Tilo Nest (als Jonathan J. Peachum), Constanze Becker (als Celia Peachum), Kathrin Wehlisch (als Tiger-Brown), Laura Balzer (als Lucy Brown), Bettina Hoppe (
als Spelunken-Jenny), Josefin Platt (als Der Mond über Soho) u.a.
Musikerinnen und Musiker (Band): James Scannel, Doris Decker, Otwin Zipp, Stephan Genze, Ralf Templin und Vít Polák
Premiere war am 13. August 2021.
Weitere Termine: 15., 20., 21., 22.08. / 03., 04.09.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-ensemble.de/


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