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Neue Stücke

Wendepunkte

eines

kompromisslosen

Lebens



Pauline Kästner in Die fünf Leben der Irmgard Keun am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Melanie Zanin

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Die Kölner Schriftstellerin Irmgard Keun (1905-1982) wird gerade an Bühnen in NRW eindrücklich wiederentdeckt. Heinz Simon Keller schuf 2019 mit GILGI/KEUN – Eine von uns in Köln ein intensives, lebendiges und beeindruckendes Theatererlebnis. Dieses Jahr widmeten sich nun Lutz Hübner & Sarah Nemitz am Düsseldorfer Schauspielhaus dem bewegten Leben der Schriftstellerin, die Anfang der 1930er mit zwei satirischen und sozialkritischen Romanen im deutschsprachigen Raum berühmt wurde. Nemitz und Hübner thematisieren dabei insbesondere Wendepunkte im Leben der Literatin, ihr Exil zu Beginn der NS-Diktatur in Ostende an der belgischen Küste. Auch die Liebesbeziehungen zum Schriftsteller Joseph Roth und zum US-Amerikaner Arnold Strauss und Keuns Alkoholismus werden bebildert.

Das Publikum betritt nicht, wie üblich, den Zuschauerraum, sondern über einen Hintereingang eine ebenerdige große Drehbühne, die im Stückverlauf mehrmals bewegt und etwa gehoben oder gesenkt wird (Bühne: Andrea Wagner). Regisseurin Mina Salehpour lässt die Darsteller um die, auf zweihundert Drehstühlen platzierten Theaterbesucher herum und inmitten des Publikums agieren. Auf schlierige, die Bühne umgebende Gazevorhänge werden Filmszenen projiziert.

Die einst in der Weimarer Republik gefeierte Bestsellerautorin Keun (Claudia Hübbecker) besucht um 1977 ein Studiogelände in Köln-Bocklemünd. Der WDR dreht hier eine Vorabend-Doku über ihr Leben. Sie setzt sich mit den Filmteam und vorgeführten Proben und fiktionalen Einspielern kritisch auseinander, kommentiert und mischt sich ein. Schlagfertig verwickelt sie die Darstellerinnen ihrer Person (Tabea Bettin, Pauline Kästner), den brüsken und gereizten Regisseur (Thiemo Schwarz), die bewundernde Drehassistentin (Gesa Schermuly), den Kameramann (Raphael Germann) und den Hausmeister (Rainer Philippi) in Gespräche, obwohl es bei knappen Budget nur zwei Drehtage geben soll. Sie genießt es, wieder unter Menschen zu sein und im Mittelpunkt zu stehen. Bald geht es auch um existentielle Sinnfragen.

Der Zuschauer erfährt von der Alkoholabhängigkeit der Autorin und früheren Klinikaufenthalten. Scharfzüngig und kühn verbittet sie es sich nachdrücklich, dass ihr eine Deutungshoheit über ihr Leben abgesprochen wird. Sie spricht über souveräne Entscheidungen in ihrem Leben und das Dritte Reich, in dem ihre Romane verboten wurden. Die NS-Diktatur, die Emigration als illegale Untergetauchte und das Exil, sowie anschließende Comeback-Versuche werden Thema. Doch ihre Stimmung schwankt, sie schwadroniert auch über schwindende schriftstellerische Fähigkeiten. Bald überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart. Jahreszahlen werden nicht chronologisch ausgerufen. Wahrheit und Fiktion, Traum und Wirklichkeit gehen ineinander über.

Es wird deutlich, dass Keun kein geradliniges Leben hatte, sie war Schriftstellerin, aber auch lebenslustige Liebhaberin oder alleinerziehende Mutter. Sie hatte auch dunkle Phasen in ihrem Leben, etwa als Entzugspatientin in der Psychiatrie. Die WDR-Doku über Keun scheitert im Stück des Erfolgsduos Hübner-Nemitz. Ein Film über Keuns Leben ist tatsächlich real nicht überliefert. Erwartungshaltungen über die emanzipierte und unangepasste Diva werden von Nemitz und Hübner gebrochen. Keun war in den 1970ern auch verarmt und vom Alkoholismus gezeichnet. Die im Stück enthaltene sperrige Satire auf Dokumentarserien erschöpft sich etwas. Rasante Wechsel der Handlungs- und Zeitebenen fordern Konzentration. Nach der pausenlosen, fast zweistündigen Performance bleibt ein widersprüchliches, eigensinniges und faszinierendes Bild der Schriftstellerin, das sich nicht so leicht festlegen lässt.



Claudia Hübbecker als Irmgard Keun in Die fünf Leben der Irmgard Keun am Düsseldorfer Schauspielhaus | Foto © Melanie Zanin

Ansgar Skoda - 19. September 2023
ID 14391
DIE FÜNF LEBEN DER IRMGARD KEUN (Düsseldorfer Schauspielhaus, 15.09.2023)
von Lutz Hübner & Sarah Nemitz

Regie: Mina Salehpour
Bühne: Andrea Wagner
Kostüm: Maria Anderski
Musik: Sandro Tajouri
Licht: Jean-Mario Bessière
Dramaturgie: David Benjamin Brückel
Theaterpädagogik: Thiemo Hackel
Mit Claudia Hübbecker (als Irmgard Keun) und Tabea Bettin, Pauline Kästner, Gesa Schermuly, Rainer Philippi, Thiemo Schwarz, Raphael Gehrmann sowie den Musikern Kristina Koropecki (Cello) und Jason J Liebert (Posaune)
UA war am 14. Januar 2023.
Weitere Termine: 23.09./ 07., 12.10.2023


Weitere Infos siehe auch: https://www.dhaus.de


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