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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Laken,

Tücher,

Schals



Das Rheingold an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bernd Uhlig

Bewertung:    



Das muss man der Deutschen Oper Berlin lassen: Wuchten kann sie! Immer noch.

Und immerhin: Wir hatten einen halbjährigen Lockdown, kulturell (und nicht nur kulturell) ging nichts mehr. Soviel Streams und Livestreams, wie ich während der vergangenen sechs Monate am Rechner sah und hörte, werde ich mir (hoffentlich) sobald nicht wieder reinzieh'n müssen; aber niemand weiß. Noch ist der Spuk längst nicht vorbei.

In den Theatern konnte wenigstens in dieser endlos langen Zeit geprobt werden; ja und so hieß es also erst, wir machen Wagners Siegfried weiter, den Tag zwei des Bühnenfestspiels um den RING DES NIBELUNGEN, der bis nächste Spielzeit abgeschlossen werden soll. Mit der Walküre fing es im September an, dann kam die zweite große Schließung, und dann probten sie (und wie gesagt) am Siegfried, der schon fix und fertig inszeniert war und dann irgendwann, wenn alles wieder gut wäre, gezeigt sein sollte usw. usf.

Und jetzt ist es halt doch erst mal Das Rheingold, was inzwischen auch längst fix und fertig inszeniert war, was als Nächstliegendes plötzlich wieder fällig wurde.

DOB, du zeigst stahlharte Nerven!!!!!

* * *

Starten wir dann diesmal mit dem Sängerischen:

Durch die Bank weg konnte sich das Aufgebot, das überwiegend hausverlesen war, hören und sehen lassen.

Markus Brück (als Alberich) hat nur am Anfang ein paar Schwierigkeiten, zu uns schachbrettmäßig angeordneter Versammlung lautstark durchzudringen. Er, ein wahres Urgestein der DOB, ist somit das bestimmende "Gesicht" des pausenlosen Zweieinhalbstünders. Der, den man schon seit Jahren und Jahrzehnten kennt. Der, dem die Fans ganz prinzipiell und nachgiebig vertrauen.

Die drei Stimmen von Valeriia Savinskaia, Irene Roberts, Karis Tucker schmeicheln unsern Ohren allein wegen ihrer Unverbrauchtheit. Klares Wasser bis zum Flussgrund.

Derek Weltons junger Wotan sieht nicht bloß schön jung aus, sondern klingt auch so: schön jung.

Annika Schlicht (als Wotangattin) hat uns schon in der Walküre überzeugt. Die Selbstbewusstheit ihres ausdrucksstarken Mezzo-Alts hat Mannhaftes, zudem kann man(n) sich jener Schlicht'chen fraulichen Gerissenheit nur schwer entziehen. Toller Auftritt!

Andrew Harris singt und spielt den Fasolt - einen besseren hatte ich nie zuvor erlebt! Tobias Kehrer, der als Riesenbruder Fafner etwas weniger zu tun hat, steht ihm untreu-unredlich zur Seite.

Zudem registrieren wir die hellglockig sich brüstende Vitamin-C-Spritze, mit der die Sopranistin Jacquelyn Stucker ihre Freia ewigkeitsverjüngt. Und Thomas Lehmann (Donner) sowie Matthew Newlin (Froh) sind ebenso, obgleich nur in paar Kurzauftritten, mit dabei gewesen.

Stimme und Erscheinung von Judit Kutasi, die die Erda gibt, bleibt gut in der Erinnerung.

Ya-Chung Huang besticht als Mime. Fulminant!

Und als bizarrer Lichtgott Loge wirkt Thomas Blondelle - einer der Vielarbeiter dieser Tage; sahen/ hörten wir ihn doch erst neulich als feschfröhlichen"Zigeuner"baron im Hause in der Behrenstraße - wie das eigentliche Epizentrum dieser Aufführung.




Das Rheingold an der Deutschen Oper Berlin: Andrew Harris trauert am Klavier "seiner" Freia nach... | Foto (C) Bernd Uhlig


Zum Szenischen:

Was auffällt und beeindruckt, sind die vielen Laken, Tücher, Schals, mit denen die zwei Bühnenbildner Stefan Herheim (auch Regie) und Silke Bauer die zwischen der Ober- und der Unterwelt und zwischen Feuer, Dampf und Wasser hin und her wechselnden Handlungsorte stilisieren und verfremden.

Gleich am Anfang fällt auch dieser uns bereits in der Walküre so befremdet und gelangweilt habende Scheißflügel auf. Er steht auf kahler leerer Bühne, während Donald Runnicles "sein" Es-dur unten im Orchestergraben intonieren lässt... Und eine Flüchtlingsabordnung von zirka 40 koffertragenden Kleindarstellern, die Wotan anführt (was uns aber erst im Nachhinein bewusst wird) hat jetzt ihren ersten Gruppenauftritt...

Spätestens in/ nach der Nibelheim-Szene wird uns klippklar, was es denn eigentlich mit diesen unzähligen Koffern (die uns in Walküre so sehr irritierten) auf sich hat. In ihnen lagert Alberich geraubtes Rheingold - übersetzt in unsre Zeit bedeutet das, dass es wahrscheinlich Naziraubkunst sein könnte, denn bei der nachgeraden Einlösung von Freia werden Kirchen- oder Synagogenschätze mit ihr aufgewogen. Doch so glasklar ist die Deutung auch dann wieder nicht; Alberichs Heer wird uns nämlich als Kriegsversehrtenmeute à la Otto Dix oder George Grosz (Kostüme: Uta Heiseke) vorkarikiert, auch heben sie die Hand zum Hitlergruß, also ein rechtes uneinordbares Historiendurcheinander zwischen Erstem/ Zweitem Weltkrieg oder so.

Und überhaupt fehlt irgendwie der rote Faden - und man denkt zwar, gut, okay, die Flüchtlinge mit ihren Koffern, die sind es vielleicht, denen am Schluss der Götterdämmerung eine besonders wegweisende Grußbotschaft zu uns herüber vorbehalten bleiben wird. Nun ja, man weiß es bisher nicht.

Was vorerst bleibt sind Herheims gutgemeinte Absichten und seine stellenweise kindisch anmutende Puppenstubentollwut. Oft entfleuchen ihm tatsächlich putzig-wunderlichste Teilideen inkl. ihres szenischen Vollzugs, aber - die große und v.a. intellektuelle Linie fehlt.

Die Hälfte von dem neuen RING haben wir jetzt verfolgt. Schwer vorstellbar, dass er sich irgendwie noch großartig in seiner Aussage erschärfen und verbessern könnte. Doch - wie heißt es immer so schön ausflüchtend - die Hoffnung stirbt zuletzt.


Andre Sokolowski - 13. Juni 2021
ID 12972
DAS RHEINGOLD (Deutsche Oper Berlin, 12.06.2021)
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Inszenierung und Bühne: Stefan Herheim
Co-Bühnenbildnerin: Silke Bauer
Kostüme: Uta Heiseke
Video: Torge Møller
Licht: Ulrich Niepel
Dramaturgie: Alexander Meier-Dörzenbach und Jörg Königsdorf
Besetzung:
Wotan ... Derek Welton
Donner ... Thomas Lehman
Froh ... Matthew Newlin
Loge ... Thomas Blondelle
Alberich ... Markus Brück
Mime ... Ya-Chung Huang
Fasolt ... Andrew Harris
Fafner ... Tobias Kehrer
Fricka ... Annika Schlicht
Freia ... Jacquelyn Stucker
Erda ... Judit Kutasi
Woglinde ... Valeriia Savinskaia
Wellgunde ... Irene Roberts
Flosshilde ... Karis Tucker
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 12. Juni 2021.
Weitere Termine: 15., 19., 22., 25., 27.06.2021


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutscheoperberlin.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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