Lauter
Lärm
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Das ist der Dirigent Yannick Nézet-Séguin | Foto (C) Hans von der Woerd
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Bewertung:
Gestern Abend - beim ersten von drei aufeinanderfolgenden Konzerten der Berliner Philharmoniker - leitete Dirigent Yannick Nézet-Séguin zwei chorsinfonische Werke, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten: Heilig von C.P. Bach und Ein deutsches Requiem von Brahms:
"Carl Philipp Emanuel Bachs 1776 komponierter Motette Heilig ist Gott - eine feierliche Theophanie für eine Altstimme, Doppelchor und -orchester, die den Bach-Sohn dazu veranlasste, das gesamte Spektrum der ihm zur Verfügung stehenden Tonarten einzusetzen. Ungeachtet ihrer meisterhaften Gestaltung vermittelt die Musik den Eindruck größter Einfachheit: 'Dieses Heilig', so der Komponist, 'ist ein Versuch, durch ganz [...] gewöhnliche harmonische Fortschreitungen eine weit stärkere Aufmerksamkeit und Empfindung zu erregen, als man mit aller ängstlichen Chromatik nicht im Stande ist zu thun. Es soll mein Schwanen Lied [...] seyn, und dazu dienen, daß man meiner nach meinem Tode nicht zu bald vergeßen möge.'"
Doppelchörig und -orchestrig ist dann auch die Aufstellung - rein optisch, hätte man so meinen können, in historisch-aufführungspraktischer Gepflogenheit; zweimal 3 Trompeten rechts wie links, z.B. [und es musste eigens hierzu wie für das Projekt im Ganzen Helmut Fuchs, einer der Solotrompeter von der Staatskapelle Dresden, ausgeliehen werden; denn es gibt "nur" 5 Trompeter offiziell bei den Berliner Philharmonikern], dortselbst auch je ein Orgelpositiv, an denen ca. 8 Minuten lang die zwei gastiert habenden Organisten Christian Schmidt und Arno Schneider bei der Arbeit saßen... Alles großorchestrig-großchorig - groß, größer und am größten.
Nach der opulenten Darreichung wollte man fast nicht glauben, dass der Pultstar früher mal ein Schüler Hermann Max', einem der profiliertesten Spezialisten für Alte Musik, gewesen sein soll. Aus dieser Zeit schien nichts, aber auch gar nichts haften geblieben zu sein. Es klang wie großspuriges Weder-Fisch-noch-Fleisch.
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Und noch viel schlimmer, das will sagen lärmend-lauter, sollte sich der Abend nach der Pause durchgestalten:
"'Ich bin ganz und gar erfüllt von Deinem Requiem', schrieb Clara Schumann begeistert an Johannes Brahms, der in dem Werk der Tragik der menschlichen Sterblichkeit Trost und Hoffnung auf das ewige Leben gegenüberstellte. 'Es ist ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise, wie wenig anderes. Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend.' Brahms hatte mit seinem Deutschen Requiem keine kirchlich-liturgische Musik im klassischen Sinne geschaffen.
(Quelle der beiden Zitate: berliner-philharmoniker.de)
Nézet-Séguin's Gespür für Maß und Masse: War und ist da irgend etwas Ausgleichendes dagewesen?
Ich [als ein fürwahr nicht unbedingt dann unerfahrener Ein deutsches Requiem-Hörer] registrierte: Die Kapellmeister-Auffassung hatte etwas Plumpes, um nicht gar zu sagen Kraftmeierndes. Er trat an, das Werk durch Breite (Tempi, unerträglich) und Getöse (Phonwerte, gesundheitsschädigend) herbei zu zelebrieren. Zudem unterbrach er es fortlaufend durch sechs sinnlos innig-aufgemotzte Satz-Pausen. Vermeintliche "Gefühls-Gewitter"-Ambitionen, auch.
Alles in Allem: hohl und seelenlos.
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Noch eine abschließende Lanze für den mitwirkenden Hauptakteur des fragwürdigen Hypes gebrochen, denn:
Der Rundfunkchor Berlin mit/unter seinem jungen Chef Gijs Leenaars gehörte und gehört zu den Top-Anwälten für Brahms' Ein deutsches Requiem - das hatte er jüngst wieder in jener hochspektakulären szenisch-musikalischen Performance (von 2012) im RADIALSYSTEM bewiesen; dort erfolgte, und gewiss nicht unbeabsichtigt, eine extreme Reduktion des Werkes zur Beglaubigung der Tatsache, dass es an sich extreme "Seelenkräfte" in sich trägt und auszulösen in der Lage ist, wenn man es so (wie mittels dieses so beeindruckenden Top-Experimentes) darbietend gestaltet.
Hier und gestern hatte man den Eindruck, dass dem Chor - der seinen Part im Dauerstand und ohne Noten zu bewältigen verstand - die dimensionale Schönheit und Kultur jedweden Trauerns, worum es ja schließlich auch und eigentlich in diesem merkwürdigen Opus geht, doch irgendwie (und ausnahmsvoll) abhanden kam. Aber das war, bei Gott gesprochen, sicherlich nicht seine Schuld.
Immer wenn hin und her jettende Weltpultstars bei den Berliner Philharmonikern auf deren Einladung gastieren, kann es ab und an zu dererlei Missschicklichkeiten kommen; ist halt so.
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Rundfunkchor Berlin | (C) Jonas Holthaus
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Andre Sokolowski - 20. Oktober 2017 ID 10325
BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 19.10.2017)
Carl Philipp Emanuel Bach: Heilig, Kantate für Altsolo, doppelten gemischten Chor und Doppelorchester Wq 217
Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45
Wiebke Lehmkuhl, Alt
Hanna-Elisabeth Müller, Sopran
Markus Werba, Bariton
Rundfunkchor Berlin
(Choreinstudierung: Gijs Leenaars)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Yannick Nézet-Séguin
Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-philharmoniker.de
http://www.andre-sokolowski.de
MUSIKKRITIKEN
Ein deutsches Requiem unter Christian Thielemann (Philharmonie Berlin, 22.01.2015)
Ein deutsches Requiem mit Concerto Köln (Théâtre des Champs-Élysées, 03.07.2010)
Ein deutsches Requiem unter Marek Janowski (Philharmonie Berlin, 22.11.2009)
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