Wilco "Sky Blue Sky" - Geht es Jeff Tweedy am Ende GUT?
4. Mai 07 Nonesuch/Warner
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Hinter einem Album mit dem Titel "Sky Blue Sky", das mit den Zeilen "Maybe the sun will shine today/the clouds will blow away" beginnt, könnte man ziemlich schlimmen Kitsch und ein eher schlichtes Gemüt vermuten. Könnte man. Wenn man nicht wüsste, dass dies der Opener "Either Way" zum neuen Wilco-Album ist und die folgenden, von Jeff Tweedy gesungenen Zeilen "Maybe I won't feel so afraid/I will try to understand/either way" lauten. Alleine die Informationen Wilco und Jeff Tweedy lassen einen die ruhige Melodie mit anderen Ohren hören. Plötzlich klingt der Song wie das warme Gefühl, das einen durchströmt, wenn die Schmerzmittel beginnen zu wirken und die Kopfschmerzen in sanften Wellen fortspülen. Schon nach wenigen Takten: Keine Spur von der quälenden Migräne, den inneren Dämonen der Vergangenheit. Geht es Jeff Tweedy am Ende GUT?
Was in menschlicher Hinsicht zu begrüßen wäre, könnte Anhänger von "Yankee Hotel Foxtrott" und "A Ghost Is Born" als künstlerische Katastrophe erschüttern. Wo sind die hämmernden Fabrikgeräusche? Die experimentellen Synthie-Sounds, Samples und verstörenden Kreissägen-Gitarren, die mit Feuer über und unter die Folk-Rocker der Kombo aus Chicago gewebt waren? Hätte das Verfolgen dieses Weges - wie ein Amazon-User in seinem gelungenen Review schreibt - in die "Radiohead-Experimentierfalle" geführt?
Vielleicht kann man "Sky Blue Sky" als kleine Pause vom Innovationszwang ansehen, was nicht als Abwertung gemeint ist. So viele traditionelle Elemente ihrer Country- und Folk-Wurzeln hat es bei Wilco seit dem 1999er Album "Summer Teeth" nicht mehr gegeben und ein ums andere mal zaubern sie damit wunderbare und entspannte Lieder wie "Leave Me (Like You Found Me)", "What Light", "Please Be Patient With Me" oder den Titeltrack "Sky Blue Sky", die mehr auf Melodien und positive Emotionen (ich zähle jetzt auch mal Melancholie dazu) als auf Rock und Ironie setzen. Langeweile muss dennoch niemand fürchten. Einerseits haben die Jungs um Jeff Tweedy viel zu viel Lust, die Gitarren auch mal aufzudrehen, wie das ruhig beginnende und sich dann in herrlich jauchzende Jimmy Hendrix-Gitarren hineinsteigernde "You Are My Face" oder das stotternde, leicht disharmonische "Shake It Off" zeigen. Andererseits gibt es bei Tweedys subversiven Texten und dem mal leisen und brüchigen, mal McCartney-haft hohen und kehligen Gesang immer etwas zu entdecken. Ein besonderes Schmankerl ist "Hate It Here". Mit nur wenigen Zeilen ("I try to keep myself occupied/even though I know you are not coming home/I try to keep the house nice and neat/I make my bed I change the sheets/I even learned how to use the washing machine/But keeping things clean doesn't change anything") wird die Tragikkomik eines verlassenen und verzweifelten Mannes skizziert. Da hat einer den vollen Blues, aber man kann sich das Lachen kaum verkneifen.
Passend zur Grundstimmung des Albums klingt es mit "On And On And On" eingeleitet von dezenten Pianotönen aus. "On and on and on we stay together yet". Wer erst mit "Yankee Hotel Foxtrott" auf Wilco aufmerksam geworden ist und sich eine Fortsetzung von "A Ghost Is Born" erhofft hat, könnte mit "Sky Blue Sky" eine herbe Enttäuschung erleben und eventuell auf Trennung drängen. Wer aber sich und der Band seines Vertrauens auch mal eine Verschnaufpause gönnt, liegt mit "Sky Blue Sky" goldrichtig. Blauer Himmel über dem Lake Michigan. Either way.
Tobias Bethge, 15. Mai 2007 ID 00000003216
Wilco - Sky Blue Sky
4. Mai 07 Nonesuch/Warner
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