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Premierenkritik

Über das

Scheitern (1)

IM BERG - am
Staatstheater Cottbus


Im Berg am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Frank Hammerschmidt

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Das LAUSITZ FESTIVAL 2022 ist in seiner dritten Woche in Cottbus angekommen. Für das dortige Staatstheater hat die Regisseurin und Dramatikerin Paula Thielecke Lukas Rietzschels zweiten Nachwende-Roman Raumfahrer für die Kammerbühne des Hauses bearbeitet, und der neue Co-Schauspieldirektor Armin Petras legt mit Im Berg eine Opernfassung von Franz Fühmanns Fragment gebliebenem Prosawerk über einen DDR-Schriftsteller im Mannsfelder Bergbau der 1970er Jahre vor, der erst nach Fühmanns Tod mit dem Untertitel Bericht eines Scheiterns veröffentlicht wurde.

*

Das Wort Scheitern ließe sich auch als Motto über diese Doppelpremiere zum Cottbuser Spielzeitstart setzen. Das allerdings unter recht unterschiedlichen Vorzeichen. Fühmann, der nicht erst seit seiner Unterzeichnung des Protests gegen die Biermann-Ausbürgerung immer wieder mit den DDR-Funktionären aneckte, war vom Sozialismus mehr und mehr desillusioniert und wurde von der Stasi überwacht. Sein siebenteiliger und in mehreren Kapiteln angelegter Bericht über die Sinnsuche eines Schriftstellers in den Tiefen des Bergs berührt zwar die großen Fragen seiner Zeit und allgemein die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft, schreit aber nicht gerade danach, über 30 Jahre nach der Wende unbedingt veropert zu werden. Dreizehn vollständige und ein mittendrin abbrechendes Kapitel hat Fühmann in langjähriger Fleißarbeit schließlich zu Papier gebracht. Armin Petras hat sein Libretto nach Fühmanns Texten auf zwanzig Szenen aufgeteilt, die lose den Kapiteln des Buches folgen.

Wie ein Fühmann-Alter-Ego wandelt der langjährige Petras-Mime Robert Kuchenbuch als Dichter Franz in einer Sprechrolle durch den Abend. Die anderen Rollen werden wechselnd von gestandenen Opernsängern und -sängerinnen des Ensembles bekleidet. Allen voran der Bariton Nils Stäfe als Brigadier Siegfried, der den Dichter in die Welt des Bergs einführt. Der besteht hier aus einer großen Schräge mit zwei schmalen Treppen links und rechts. Vor die Bühne von Peta Schickart senkt sich hin und wieder ein Gazevorhang, auf dem Videoanimationen (Rebecca Riedel), Livekamerabilder, vorproduzierte Videos und Texte aus dem Libretto projiziert werden.

Als besonderen Gag fügt Petras aber die Geschichte eines anderen bekannten ehemaligen Ost-Schriftstellers in zwei Szenen hinzu. Einar Schleef, geboren in Sangerhausen, hatte mit Trude und Elly zwei einfachen Frauen der Gegend ein kleines Denkmal gesetzt. Mit Trude ist seine Mutter Gertrud gemeint, deren Lebensgeschichte (wie auch die Das Denkmal betitelte Erzählung von Trude und Ellys kuriosem Ausflug zum Kyffhäuser) Armin Petras bereits auf die Bühne gebracht hat. Hier lockert sie die gedankenschweren Franz-Monologe und die klassischen Gesangsparts etwas auf. Mit Rummelplatz von Werner Bräunig hatte sich Armin Petras auch schon am Thema Bergbau und Sozialismus abgearbeitet. Zum Hundertsten von Franz Fühmann sollte es nun ein Stück Musiktheater sein.

Die Opernpartitur stammt von den Komponisten und Musikern Sebastian Vogel und Thomas Kürstner, zwei langjährigen musikalischen Begleitern des Theaterregisseurs Nicolas Stemann, die seit 2009 auch öfter mit Armin Petras zusammengearbeitet haben. Umgesetzt wird das mit kleinem Orchester unter der musikalischen Leitung von Johannes Zurl. Die Musik erinnert stark an Werke von Hanns Eisler oder Paul Dessau. Da ist auch Bertolt Brecht nicht weit. Es scheint fast so, als würde man hier das Konzept einer in der frühen DDR an mehreren Formalismus-Debatten gescheiterten proletarischen Oper nachträglich verwirklichen wollen. Fühmanns starkes Interesse an den im Kupfer-Bergbau arbeitenden Menschen des Mannsfelds ist da sicher ausschlaggebend.

Heute wirkt das allerdings eher etwas antiquiert. Als Geschichtsstück über den an sich zweifelnden Künstler im Sozialismus taugt die Inszenierung aber allemal. Fühmann lässt seinen Dichter über die Bedeutung eines Kunstwerks in der Gesellschaft philosophieren. Er will sich im Bergwerk endlich selbst finden und vergleicht seine Arbeit mit dem Graben im Stollen. Fühmanns Faible für die Romantik, Fabelwesen, Novalis, E.T.A. Hoffmanns Bergwerke zu Falun oder Kafka finden hier ihren Niederschlag wie auch ganz realsozialistische Probleme bei Begegnungen mit den Arbeitern im Berg, mit Funktionären, auf Kneipenfeiern, bei Wanderungen durch die Natur oder einer Walpurgisnacht mit Trollen, was Petras immer wieder in starke Bilder übersetzen kann. Aber „Jedes Gelingen ist auch ein Scheitern“, lässt er seinen Protagonisten sagen. Ein Gedanke, der einen hier nicht ganz loslassen will.




Im Berg am Staatstheater Cottbus | Foto (C) Frank Hammerschmidt

Stefan Bock - 11. September 2022
ID 13799
IM BERG (Staatstheater Cottbus, 10.09.2022)
Musiktheater von Armin Petras nach dem gleichnamigen Roman von Franz Fühmann
Komposition von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel
Textbuch und Libretto von Armin Petras

Musikalische Leitung: Johannes Zurl
Regie: Armin Petras
Bühne: Peta Schickart
Kostüme: Annette Riedel
Licht: Norman Plathe-Narr
Video: Rebecca Riedel
Dramaturgie: Franziska Benack und Katharina Duda
Besetzung:
Brigadier Siegfried … Nils Stäfe
BGL-Chef/Arzt/Obertroll … Thorsten Coers
Die Braut/Krankenschwester 1/Troll … Verena Usemann
Mädchen Ursula/Troll/Parteisekretärin … Julia Domke
Hütejunge/Krankenschwester 3/Troll/Putzfrau 1 … Maria Tomoiaga
Regina/Königin der Unterwelt/Troll … Lisa Schützenberger
Journalistin Gabi/Trude … Charlotte Müller
Putzfrau 2/Troll/Elly/Kantinenfrau 3/Krankenschwester 2 … Michaela Winterstein
Bergmann am Schrapper/Toter Bräutigam/Zahnarzt/Fuchs … Nico Delpy
Franz, ein Dichter … Robert Kuchenbuch
Philharmonisches Orchester Cottbus
UA war am 10. September 2022.
Weitere Termine: 17.09. / 16.10. / 24.11.2022
Eine Koproduktion mit LAUSITZ FESTIVAL


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatstheater-cottbus.de/


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Neue Musik

Premieren (an Staats- und Stadttheatern)



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