Engelsstimmen
The Tallis Scholars
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Bewertung:
Das Vereinigte Königreich hat eine Reihe maßstabsetzender A-cappella-Ensembles hervorgebracht. Die King’s Singers zählen zu den bekanntesten und The Tallis Scholars. Letztere haben jetzt beim MUSIKFEST STUTTGART gastiert und in der zentralen Stiftskirche ein Konzert mit sakralen Werken englischer Komponisten des 16. Jahrhunderts gegeben. Wer Kirchenmusik im authentischen Ambiente genießen will, muss unbequeme, durch dünne Kissen nur spärlich „erweichte“ Sitzbänke in Kauf nehmen. Soviel Sündenerlass haben die Protestanten von den Katholiken adoptiert. Konzert statt Beichte. Der Unterhaltungswert jedenfalls ist fühlbar höher.
So wenig hinternfreundlich der Ausflug in den religiösen Einflussbereich ist (bei den Salzburger Festspielen heißt er seit Alexander Pereira weniger offensichtlich ideologisch „spirituell“), so ohrenfreundlich ist er. Jedenfalls kann er für die Alte Musik mit der Exkursion zur säkularen Konkurrenz mühelos mithalten. Das gilt auch im Vergleich zur Optik. Die im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte Stiftskirche wurde nach 1945 in mehreren Phasen, jedenfalls was den Innenraum angeht, ziemlich reizlos restauriert. Die (theologisch begründete) spartanische Ausstattung hat ihre Vorzüge, aber die Glasfenster sind einfach nur hässlich. Dafür ist die Akustik, jedenfalls für ein Vokalensemble, fast nicht überbietbar. Das steht vor einer einmal mehr das Auge zugunsten des Ohres beleidigenden aufgestellten Wand links neben dem mittig positionierten brutalistischen Altar mit zwei brennenden Kerzen. Der Hall ist gerade optimal, um die Stimmen voller klingen zu lassen, aber nicht, wie in vielen Kirchen, so üppig, dass diese durch das Echo überdeckt und vermanscht werden. Das ist gut so, denn die sechs Frauen – vier Soprane und zwei Altos – und vier Männer – je zwei Tenöre und Bässe – unter der Leitung von Peter Phillips haben allesamt die Qualität von Solisten.
Auf dem Programm standen sechs Kompositionen von William Byrd, vier von Thomas Tallis und eine von John Sheppard zu lateinischen Texten. Verglichen mit der Musik späterer Jahrhunderte mag die Musik des 16. Jahrhunderts eintönig erscheinen – man kann es auch meditativ nennen (das Konzert mit einer Nettospieldauer von nur 70 Minuten schien darauf Rücksicht zu nehmen). Tempi und Lautstärken variieren kaum, verharren in einer mittleren Lage. Da ist keine Erregung, kein Aufschrei zu hören, auch wenn von „scharfen Pfeilen eines Kriegers und glühenden Kohlen vom Ginsterstrauch“ die Rede ist.
Ob man nun eine Ader hat für Renaissancemusik, für die Polyphonie, die in dieser Epoche ihren Höhepunkt erreicht hat, ob man Gelegenheit hatte, sich an sie „zu gewöhnen“ oder nicht: die Engelsstimmen der Tallis Scholars scheinen alle Konzertbesucher an dem heißen Juni-Abend in ihren Bann gezogen zu haben. Der Applaus wollte kein Ende nehmen.
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The Tallis Scholars beim Musikfest Stuttgart 2023 | Foto (C) Holger Schneider
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Thomas Rothschild - 28. Juni 2023 ID 14270
MUSIKFEST STUTTGART (Stiftskirche, 27.06.2023)
English Choral Masterpieces – Reflecting Byrd
The Tallis Scholars
Dirigent: Peter Philipps
Weitere Infos siehe auch: https://www.musikfest.de/
Post an Dr. Thomas Rothschild
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