Die heilige
Konsum-
Gemeinde
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Bewertung:
Der Rundfunkchor Berlin zählt zweifelsohne zu den besten "klassischen" Konzertchören, die das Land so aufzubieten hat, allein in der Hauptstadt hat er jede Menge zu tun, um beim chorsinfonischen Repertoire sowohl der beiden Radio-Orchester als auch bei den Berliner Philharmonikern kräftigst mit Hand anzulegen; Tourneen im In- und Ausland inklusive. Aber auch "solo" ist er mit den unterschiedlichsten Programmen und an unterschiedlichsten Orten präsent. Seine Fangemeinde ist groß, sein Management scheint vorzüglich zu arbeiten, und so verwundert es nicht, dass - egal ob bei so ausgefallenen Projekten wie beispielsweise im Kraftwerk Berlin (LOVER von Christian Jost, 2014), im Radialsystem (Brahms' Ein deutsches Requiem, 2017), im silent green Kulturquartier ("Maetterlincks Traumwelt", 2020) oder jüngst im Heimathafen Neukölln ("Bella Italia", 2023) - die Bude immer voll ist. Und es zieht ihn halt, fast triebhaft, immer dorthin, wo er vorher noch nicht oder lange nicht mehr war; die Neu-Gier auf was Neues, was dann dort zu machen wäre, treibt ihn manisch um.
Nunmehr hatte er Lust auf das sog. MaHalla, eine ehemalige Industriehalle in Oberschöneweide, die der Künstler und Filmemacher Ralf Schmerberg 2019 zu einem internationalen Kunst- und Kulturzentrum umbaute. Sie ist von einer imponierenden Größe sowohl in der Fläche als auch in der Höhe des Raums.
Und in ihr inszenierten die Leipziger Schauspielregisseurin Anna-Sophie Mahler und ihre Ausstatterin Katrin Connan eine ROTE MESSE (in zufälliger Anspielung auf einen der Pierrot Lunaire-Sätze von Arnold Schönberg, der genauso überschrieben ist), und all das spielte sich jetzt, in meiner eigenen Wahrnehmung, wie folgt ab:
Ein Markenhersteller von virtuellen (Apple-)Brillen lädt zahlungskräftige Kunden zu einem Verkaufshappening, wozu er eigens eine Kirche mit einem gewaltigen Altar-Rund mietete und die potenziellen Käufer (Damen und Herren des Rundfunkchores) reihum Platz nehmen ließ. In der Mitte des Runds sind Musiker [alle Namen s.u.] engagiert worden, die auf Kommando aufzuspielen haben. Fernab ragt eine puderzuck'rige Kunststoff-Tanne empor, um sie herum machen sich je zwei Brillen-Anpreiserinnen und -Anpreiser (Victoria Randem, Anna-Doris Capitelli, Oreste Cosimo, Emanuele Cordaro) produktwerbend zu schaffen - die Brillen werden gleichsam ausgeteilt, und die potenzielle Käuferinnen- und Käufergemeinde darf sie ausprobieren. Ein geradezu heiliger Akt, der die so Gefoppten in schiere Trancezustände versetzt. / Musikalisch wird das mit Rossinis Pettite Messe solennelle manifestiert.
Die Schauspielerin und Sängerin Ruth Rosenfeld (als konsumgegnerische Anarchistin) hatte sich in die Käuferinnen- und Käufergemeinde illegalermaßen eingeschleust und sprengt hinfort den ganzen Laden... / Musikalisch hält sie's diesbezüglich, wie schon angedeutet, mit dem Schönberg'schen Pierrot Lunaire, einem Monodrama, was fast wie auf ihren Leib geschrieben zu sein scheint.
Nachdem die Anarchistin letztlich auch die puderzuck'rige Kunststoff-Tanne auseinanderzudemolieren wusste und der sich inzwischen aufgelöst habenden Käuferinnen- und Käufergemeinde die Lust auf virtuelle Scheinwelten restlos vergangen war, löste sich das alles - aber irgendwie nicht mehr so recht zum vorherigen Stück über den anzubetenden Konsumfetisch passend - selbstgefällig auf; und dann wurden "nur" noch ernste resp. ernstere Chorklänge (von Dallapiccola und Carissimi) laut. / Hörerisch ein Hochgenuss; und die Akustik in dem Raum grandios.
Zuletzt begab sich Rosenfeld treppauf noch weiter in die Hallenhöhe, während sie aus Blutbuch von Kim de l'Horizon sinnlos und ellenlang zitierte.
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Ruth Rosenfeld entpuppt sich in der ROTEN MESSE als konsumgegnerische Anarchistin - um sie herum die Damen und Herren vom Rundfunkchor Berlin... Geschehen am 25. Mai 2024 im MaHalla in Berlin-Oberschöneweide | Foto: KE
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Tolle Performance!
Frenetische Beifallsbekundungen.
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Andre Sokolowski - 26. Mai 2024 ID 14766
ROTE MESSE (MaHalla Berlin, 25.05.2024)
Regie: Anna Sophie Mahler
Ausstattung: Katrin Connan
Licht: Bernd Purkrabek
Ausführende
Victoria Randem, Sopran
Anna-Doris Capitelli, Mezzosopran
Oreste Cosimo, Tenor
Emanuele Cordaro, Bass
Ruth Rosenfeld, Schauspielerin
Sheridan Ensemble
Martin Glück (Flöte)
Raphaël Schenkel (Klarinette)
Susanne Zapf (Violine)
Anna Carewe (Violoncello)
Petteri Pitko (Harmonium)
Philip Mayers (Klavier)
Minhye Ko (Schlagzeug)
Rundfunkchor Berlin
Dirigent: Gijs Leenaars
Programm
Gioacchino Rossini: Petite Messe solennelle (Auszüge)
Arnold Schönberg: Pierrot lunaire (Auszüge)
Luigi Dallapiccola: "Preghiera di Maria Stuarda" aus Canti di prigionia
Giacomo Carissimi: "Plorate filii Israel" aus Historia di Jephte
Weitere Infos siehe auch: https://www.rundfunkchor-berlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
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