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Konzertkritik

Anemoi von Vito Žuraj

uraufgeführt

François-Xavier Roth dirigierte die Berliner Philharmoniker

Bewertung:    



François-Xavier Roth (52) ist einer meiner Lieblingsdirigenten. Ich habe ihn, seit er 2015 GMD des Gürzenich-Orchesters und der Oper Köln wurde, oft in der Domstadt dirigieren sehen. Auch in Berlin ist er, ob in der Staatsoper, bei der Staatskapelle, im Boulezsaal oder bei den Philharmonikern, ein gern gesehener und über alle Maßen kompetenter Gast. Er ist einer der wenigen aus seiner Zunft, die sich sowohl mit sog. Alter Musik als auch dem insgesamten "klassischen" Repertoire (Neue Musik eingeschlossen) allervorzüglichst auskennen. Mit dem von ihm gegründeten Originalklang-Ensemble LES SIÈCLES führt er nicht nur Barock- und noch viel frühere Musik auf, sondern klopft auch viel, viel später entstandene Musikstücke "historisch" ab; summa summarum: Roth zählt zu den seltensten Dirigenten-Ausnahmeerscheinungen, die es gerade weltweit gibt, und seine künstlerische Einzigartigkeit gepaart mit seinem universalen Weitblick sind schon bezeichnend.

Insgeheim war er dann mein persönlicher Nachfolger-Favorit für Daniel Barenboim. Mit ihm wären z.B. (unter Garantie) die bis da einmal jährlich stattgefunden habenden BAROCKTAGE an der Staatsoper Unter den Linden nicht so ohne Weiteres geopfert wurden - die seit Kurzem nachlesbare erste Thielemann-Sobotka-Saison weist sie halt nicht mehr aus, und das empfinde ich dann schon als ein konzeptionelles Armutszeugnis sondergleichen; doch egal.

*

Jetzt waren er und die Berliner Philharmoniker zusammengekommen, um an erster Stelle das halbstündige Konzertstück Anemoi des slowenischen Komponisten Vito Žuraj (45) uraufzuführen:


Unter den titelgebenden Anemoi versteht man die im antiken Griechenland kultisch verehrten Götter der Winde, und die heißen Boreas, Kaikias, Apheliotes, Euros, Notos, Lips, Zephyros und Skiron, und die werden wiederum den je vier Haupt- und Nebenwinden zugeordnet; welche der acht vorgenannten dann zu welcher Gruppe zählen würden, dürfte im Zusammenhang mit Žurajs Stück wahrscheinlich unerheblich sein, und ich erwähnte es auch bloß wegen des allzu schönen Titels - Wolfgang Stähr beschreibt zudem in seiner lesenswerten Werkeinführung (im Programmheft) das hier:

"Vito Žuraj schildert in seinem gleichnamigen Orchesterstück die acht Anemoi, von Boreas bis Skiron, in wechselnden instrumentalen Formationen, Ensembles aus dem Orchester. Dabei spielt er auch mit Assoziationen und Anklängen an Instrumente der griechischen Antike, etwa an die siebensaitige Lyra, das Symbol der Sänger und Dichter, oder an den Aulos, ein Blasinstrument mit zwei getrennten Röhren aus Schilf oder Lotos. Und die 'in alle Winde' zerstreuten Ensembles sammeln sich, wie Žuraj verrät, 'zu einer Art von Concerto grosso, das die Wanderung des Klangs durch Raum und Zeit repräsentiert'."



Ja und so braust und windet, rauscht und pfeift es also eine halbe Stunde lang, und es klingt überwiegend laut und stark und will mir Hörer eine Art von wohlgefall'nem Chaos, wie es halt dann nur aus mittelbarem Ur-Erleben von besonderen Naturereignissen (Gewitter, Stürme, Föhn) erinnert und verglichen werden kann, vermitteln. Freilich gibt es da auch leisere und leise Stellen, insofern man einer Böe auszuweichen oder hinterherzuhören meinte... Aus dem üppigen Orchesterapparat schälen sich hin und wieder Instrumente einzeln und sehr deutlich raus, z.B. Albrecht Mayer und Dominik Wollenweber, die (gemeinsam mit einer gastiert habenden Obistin) auf dem o.g. Aulos musizieren; oder Marie-Pierre Langlamet, welche auf ihrer Harfe eine siebensaitige Lyra imitiert; oder Konzertmeisterin Vineta-Sareika-Völkner, die dann wiederum zwei oder drei sehr kurze aber umso himmlischer sich anhörende Geigensoli vorzaubert. Bei den Streichern dominieren Pizzicati, bei den Bläsern und beim Schlagwerk gibt es freilich deutlich mehr zu tun; auch wird mit zig Papierseiten, die hie und da emporgehalten werden, wild herumgeflattert.

Die Resonanz im Saal: einhellige Begeisterung.



François-Xavier Roth am Pult der Berliner Philharmoniker, Mai 2024
Foto (C) Monika Rittershaus


* *

Als zweites gab es noch die 3. Sinfonie von Anton Bruckner. Roth entschied sich für die 1. Fassung aus dem Jahre 1873, in der (im Adagio) bespielsweise ein sehr deutliches Zitat des Pilgerchors aus Wagners Tannhäuser herauszuhören ist; ich hatte diese Fassung noch nie live gehört. Der Bruckner hatte alles das aus seiner dritten und auch zweiten Sinfonie, was irgendwie mit Wagner in Zusammenhang zu bringen gewesen wäre, nachträglich getilgt, weil er sich von dem Angehimmelten wohl nicht auf Augenhöhe behandelt sah - der legendäre Scherenschnitt von Otto Böhler (Wagner und Bruckner in Bayreuth) illustrierte seiner Zeit den manisch anmutenden Devotismus, der von Bruckner, der dem Wagner einst die Dritte widmen wollte, ausgegangen war... Geschichten, die das Leben schreibt.

Roths Auffassung des Einstünders ist, wie nicht anders zu erwarten gewesen wäre, völlig "unteutonisch", und es schillerte viel (höchstwahrscheinlich allzu viel) Impressionistisches in seinen diffizilen Bruckners-Dritte-Klangvorstellungen.
Andre Sokolowski - 20. Mai 2024
ID 14755
BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 19.05.2024)
Vito Žuraj: Anemoi für großes Symphonieorchester (UA)
Kompositionsauftrag der Stiftung Berliner Philharmoniker und des Esprit Orchestra Toronto
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 3 d-Moll (Fassung von 1873)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: François-Xavier Roth


Weitere Infos siehe auch: https://www.berliner-philharmoniker.de


https://www.andre-sokolowski.de

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Kammerspiel in einem Aufzug
von Andre Sokolowski
(Frei zur Uraufführung!)



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