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EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM

Wahre Liebe

ist niemals

vergebens



Bewertung:    



Seit 13 Jahren werden in dieser Rubrik Strategien und mögliche Lösungen vorgestellt, wie man im Nachhinein den Völkermord an den Juden verkraften kann. Jetzt geht es erstmals um die Liebe als Leitmotiv, in Die Geschichte der Liebe unter der Regie von Radu Mihăileanu. Der rumänisch-französische Regisseur ist der Sohn von Überlebenden der Shoah und in dieser Reihe schon mit Geh und lebe (2006) und Das Konzert (2010) vertreten. Zusammen mit Marcia Romano schrieb Mihăileanu das Drehbuch zur komplexen Romanvorlage von Nicole Krauss, in der die Schicksale etlicher Menschen innerhalb eines Zeitraums von 60 Jahren miteinander verknüpft werden.


*


Das zentrale Motiv der Geschichte ist die Liebe zu Alma (Gemma Arterton), die in den 1940er Jahren in einem Schtetl, einem von jüdischen Menschen bewohnten Dorf, in Polen lebt. Dort werben drei junge Männer um die heiratsfähige junge Frau, Zvi (Claudiu Maier), Bruno (Corneliu Ulici) und Almas Favorit, der junge Schriftsteller Leo Gurski (Mark Rendall). Der Krieg und das Herannahen der deutschen Armee zerstört die Idylle im Dorf. Es wird von Gräueltaten gegen Juden berichtet, und so wird alles Hab und Gut zusammengekratzt, damit wenigstens einer aus einer Familie flüchten kann. So kommt es, dass Alma das Dorf, ihre Familie und den zurückbleibenden Leo verlassen muss. In dem schmerzvollen Abschied von Leo lässt Alma ihn versprechen, dass er sein begonnenes Buch Die Geschichte der Liebe auf jeden Fall zu Ende schreiben und ihr mit jedem Brief an sie ein Kapitel hinzufügen soll. Das macht Leo anfangs auch, doch die Briefe und das Buch gehen verloren. Die Angst der Dorfbewohner stellt sich als berechtigt heraus, das Schtetl wird von den Deutschen vernichtet und alle umgebracht. Einzig Leo kann sich in den Wald retten, wo er jahrelang in ständiger Todesangst ums Überleben kämpft. Er lebt wie ein Tier, aber die Liebe zu Alma hält ihn am Leben.

Nach dem Krieg schuftet Leo jahrelang, bis er die Schiffspassage nach New York bezahlen kann, und eines Tages steht er tatsächlich vor Almas Tür. Er erzählt ihr von seinem Schicksal. „Aber ein Tier kann nicht so lieben wie ich, kann nicht so ausschließlich an eines denken. Ich habe wegen deines Lachens überlebt, wegen jeder einzelnen deiner Sommersprossen“, erklärt er ihr. Auch Alma hat viel durchgemacht und muss nun Leos Träume von einer gemeinsamen Zukunft zunichte machen. Als sie in New York ankam, war sie allein, mittellos und schwanger. Dann kam die Nachricht, dass ihr Schtetl und alle Bewohner vernichtet worden waren. Es kamen keine Briefe mehr von Leo bei ihr an, so dass sie glaubte, dass auch er tot wäre. Als sie dann einen Heiratsantrag bekam von einem Mann, der sie mit ihrem Sohn annehmen wollte, willigte sie ein. Dann nimmt Alma dem am Boden zerstörten Leo noch das Versprechen ab, dass ihr gemeinsamer Sohn Isaac nie erfahren darf, dass Leo sein Vater ist.



Leo (Derek Jacobi) hält unverbrüchlich an seiner Liebe zu Alma fest | (C) Prokino Filmverleih


Eine parallele Handlung spielt in der Gegenwart im Jahr 2006. Die vierzehnjährige Alma (Sophie Nélisse) hat mehr als nur die normalen Probleme der Pubertät. Sie hat den frühen Tod ihres Vaters noch nicht verkraftet, lebt mit ihrer chaotischen und depressiven Mutter (Torri Higginson) und ihren kleinen Bruder Bird (William Ainscough) zusammen. Der Bruder hält sich für einen lamed-wownikess, einen heiligen Juden, von denen es nur jeweils 36 auf der Welt gibt. Einer von ihnen könnte eines Tages der Messias werden. Es stört Bird zunächst nicht, dass ein lamed-wownikess das im Geheimen ist und es nicht in der Schule und Nachbarschaft an die große Glocke hängt. Er baut derweil im Hinterhof eine Arche, um die Menschheit retten zu können. Seine Schwester Alma liest Survival-Bücher und erwidert die Liebe des jungen Russen Misha (Alex Ozerov) nicht, weil sie mit solchen Gefühlen überfordert ist.

Misha ist auch Jude und sagt ihr ganz klar, dass sie mit dem „Survival-Scheißdreck“ aufhören solle. „Man muss das Leben leben, nicht überleben“, meint er. Doch Alma erwidert leidenschaftlich: „Der Krieg endet nie. Du hast überhaupt keine Ahnung, was Liebe bedeutet. Liebe ist kein Gefällt-mir auf Facebook, Liebe ist eine Geschichte von Anfang an und ohne Ende.“ Erst als ihr kleiner Bruder eines Tages verschwunden ist, beginnt sich ihr Trauma etwas zu lösen. Bird wird schließlich auf dem Flughafen aufgegriffen, von wo aus er alleine nach Jerusalem reisen wollte, um seiner Aufgabe als lamed-wownikess besser nachkommen zu können. Es ist die junge Alma, die schließlich zu der Einsicht gekommen ist: „Du bist für all das Schlimme in der Welt nicht verantwortlich, Bird, du kannst die Welt nicht retten.“

Leo Gurski (jetzt gespielt von Derek Jacobi) ist inzwischen alt geworden und man sollte hoffen, dass Menschen, die die Shoah überlebt habt, vor zusätzlichem Leid verschont blieben. Weit gefehlt. Leo erlebt weitere Schicksalsschläge, doch die Liebe hält ihn aufrecht, und er hält die Liebe aufrecht. Der britische Shakespeare-Mime Derek Jacobi hält den Film zusammen und nimmt uns auf eine Achterfahrtbahn der Gefühle mit. Er spielt die zentrale Rolle des Films, einen eigentlich verlorenen alten Mann, dessen Leben in Rückblenden erzählt wird. Er ist mit dem alten Witwer Bruno (Elliott Gould) befreundet, mit dem er Glück und Leid teilt. Doch egal, was ihm widerfährt, verliert er die Liebe nicht. Er grantelt herum, benimmt sich schon mal schlecht, aber er unterdrückt seine Gefühle nie, verschließt sich dem Leid nicht. So ist er in der Lage, auch Glücksmomente zu empfinden, selbst wenn diese selten genug sind. Eines Tages trifft er ein junges Mädchen mit Namen Alma, das nach einer Romanfigur benannt wurde...

Mihăileanus Überlebensmotto kommt auch in dem Film vor, als der Rabbi sagt: „Der Humor ermöglicht es uns, der Verzweiflung die Stirn zu bieten.“ Als im Jahr 2000 sein Film Zug des Lebens herauskam, der das Überleben der Shoah auf humorvolle Art zeigt, löste das vor allem in Deutschland Beklemmung aus. Dabei ist es Mihăileanu sehr ernst mit dem Humor [s. Interview]. Die Geschichte der Liebe zeigt Menschen, die der Shoah zum Opfer fielen und Menschen, die sie überlebt haben. In der parallelen Handlung in der Gegenwart erleben wir nachgeborene Juden, die jeder auf seine Art mit dem Trauma zu kämpfen haben. Das kann man möglicherweise überwinden, wenn man Gefühle zulässt. Von dieser Offenheit für Gefühle berichtet Derek Jacobi [s. Interview]. Das Buch und der Film haben die Botschaft, dass man alles verkraften kann, wenn man sich die Fähigkeit zur Liebe bewahrt. Deswegen hat auch die heranwachsende Alma so viel Angst davor, denn das kann sehr weh tun. Aber nur, wenn wir unsere Gefühle zulassen, können wir auch das Glück spüren.
Helga Fitzner - 17. Juli 2017
ID 10147
Weitere Infos siehe auch: http://www.geschichte-der-liebe.de/


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