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Robbie in Wien: =Kann denn Singen Sünde sein?=

Schlagertexte einst und jetzt: Williams und Stürmer im Vergleich mit Zarah Leander und Nat King Cole

Text: Malte Olschewski


Es krachten abgezählte 293 Explosionen. Aus 18 Projektoren stiegen Flammen bis in 15 Meter Höhe. Pseudo-Kometen zischten ein wenig. Eine 25 Meter hohe Muschel aus Aluminium war Hintergrund für Robbie Williams, als er am 18.und 19.8. in genau einstudierter Choreographie im Wiener Happel-Stadion antrat. Riesige Bildschirme zeigten den Star in typischen Tanzschritten. Alles war großartig gelungen, nur eben der Gesang nicht. Spürnasen witterten schon den Anfang von Robbies Ende. In einem solchen Spektakel ist jeder Text zum Untergang verurteilt. Die Worte verlieren zunehmend an Bedeutung, da man sie in den umhüllenden Bühneneffekten und im Krach der Begleitmusik sowieso nicht versteht. "Sin!Sin!Sin" rief der stark indisponierte Star den rund 50 000 Besuchern zu. Was aber sagt denn der Text weiter. Er will was sagen, doch er verschlüsselt den tieferen Sinn.

= Don't let Your eyes tell the brain/ You should feel ashamed./Everyone needs it, baby!/And I feel the same./ Didn't quite catch Your name./ Hush! Hush! Hush!/ Don't say a thing./ Let's see what the night will bring:/ It might be everything... Oh,it hurts, when You are too blind to see./ Please don't read my mind./ I tell the truth to me./ Sin! Sin! Sin!/ Look where we've been./ And where we are tonight:/ Hate the sin and not the sinner./ I'm just after a glimmer of love and life/ Deep inside./ Hush! Hush! Hush! To speak is a sin/ And neither of us need rescuing./ Just relax. It's what Jesus would do./ We are made in his image, baby./ Lets ride this thing through .... Oh, it hurts/ When You are too blind to see/ What about us?/ Well,it was just for me....I won't sing Amore./It don't sound sincere./ Love is a cliche/ But if it's not here/ I'll disappear.... Deep inside/ It's love's great sex joy./ I love You. You love my hate./ How it feels inside my /Feels inside/ Feels inside......

Da und dort reimen sich sogar ein paar Zeilen des Liedes über die Sünde. In einer Übersetzung und ohne Bemühung um die Reime würde der Text auf deutsch etwa lauten: =Lass Deine Augen nicht dem Kopf erzählen, dass Du Scham empfindest. Jeder braucht das, Baby! Und ich fühl' das Gleiche. Hab' Deinen Namen nicht ganz mitbekommen. Gusch! Ruhig! Klappe! Sag bloß nichts. Schaun wir, was so die Nacht uns bringen wird. Es könnte alles sein. Oh, es tut weh, wenn Du zu blind bist um zu sehen. Auch nicht in meinen Gedanken. Nur ich sag mir die Wahrheit.... Sünde! Sünde! Sünde! Schau, wo wir gewesen sind. Und wo wir uns heute Nacht befinden. Hasse die Sünde und nicht den Sünder. Ich bin nur hinter dem Glanz des Lebens und der Liebe her/ Tief innen.... Gusch! Ruhig! Klappe! Davon zu sprechen ist Sünde/ Wir beide brauchen keine Rettung.....Entspann' Dich! Auch Jesus würd' es tun. Wir sind nach seinem Bild gemacht. Lass uns da durchgehen...Oh,es tut weh! Wenn Du zu blind bist, um zu sehen. Was ist mit uns? Es war alles nur für mich...... Ich will nicht über Amore singen. Es klingt nicht ehrlich. Liebe ist ein Klischee, doch wär' sie nicht da, würd' ich verschwinden..... Tief in mir, es ist die große Freude am Sex. Ich liebe Dich. Und Du liebst meinen Hass, wie er sich anfühlt tief in mir, tief in mir......

Das hinaus gebrüllte Gestotter über =Sin= ist nicht ohne Sinn, wie es anfänglich scheinen mag. Worte und Musik des Werkes stammen von dem Trio Duff, Heath und von Williams selbst. Man bemüht sich um Reime, die dann und wann kommen und nicht immer gelingen wollen. Auch die Grammatik wird fallweise stark verbogen. Das Generalthema ist nicht neu. Schon Zarah Leander hatte mit rauchiger Stimme und nach Worten und Melodie von Bruno Baltz und Lothar Brühne gefragt: =Kann denn Liebe Sünde sein?=

=Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual, denn er spricht nur immer von Moral. Und was er auch denkt und tut, man merkt's ihm leider an, dass er niemand glücklich sehen kann. Sagt er dann: Zu meiner Zeit gab's so was nicht, da frag ich voll Bescheidenheit mit lächelndem Gesicht: Kann denn Liebe Sünde sein? Darf es niemand wissen, wenn man sich küsst, wenn man einmal alles vergisst, vor Glück. Kann das wirklich Sünde sein, wenn man immerzu an einen nur denkt, wenn man einmal alles ihm schenkt, vor Glück. Niemals werd' ich bereuen, was ich tat, und was aus Liebe geschah, das müsst ihr mir schon verzeihen, dazu ist sie ja da. Liebe kann nicht Sünde sein, doch wenn sie es wär, dann wär`s mir egal, lieber will ich sündigen mal, als ohne Liebe sein. Was die Welt auch spricht von mir, das ist mir einerlei, ich bleib immer nur der Liebe treu. Ach, die Frau'n, die so viel spotten, tun mir höchstens leid. Meine Damen, nur kein Neid. Keine Frau bleibt doch immun, wenn ein Mann sie küsst. Und jede würd' es gerne tun, wenn`s auch verboten ist.=

Es ergibt sich ein relativ kompliziertes Spiel mit Reimen. Die Antwort auf die anfangs gestellte Frage wird unversehens inmitten einer Entwicklung von Argumenten gegeben: =Liebe kann nicht Sünde sein...= Schlagertexte sind keine Gedichte von Trakl, Rilke oder Rimbaud. Bei etwa achtzig Prozent aller modernen Pop-Songs ist der Text ein verzichtbares Mühsal. Daher kommt auch die immer stärkere Forcierung sinnloser Worte und Vokalfolgen. Als Experiment kann der Verzicht auf Text und Worte seine Bedeutung haben. Doch auch kürzlich bei der Eröffnung der Fußball-WM war ein Minimum an Sinngebung erwartet worden. Es kam Herbert Grönemeyer, um mit bebenden Stimmbändern zu rufen: =Oe...ole...oe...Zeit, dass sich was...oe..ole..oe..dreht.. was dreht...was dreht....Die Zahl ist gefallen, die Seiten vergeben...Du fühlst, Du träumst. Du fühlst, Du glaubst Du fliegst...oe..ole..oe....= Eine Textmühle klappert hier an einem schwach rauschenden Bächlein. Wie Herbert Grönemeyer des weiteren singenderweise erklärte, könne einer, der nicht leben würde, auch nichts erleben. Er tautologelte wörtlich: =Wer jetzt nicht lebt, wird nichts erleben.=

Das Gebrülle, das Gelalle und Gestammel entspricht dem Lärm der Zeit und ist die Sprache ihres Geistes. Es hatten in der leichten Unterhaltungsmusik und im Schlagerlied der USA anspruchsvolle Texte oft zu einer großen Melodie gefunden wie auch umgekehrt. Als Beispiel kann hier =Stardust= dienen. Das war ein Lied, das schon 1929 von Mitchell Parish und Hoagy Carmichael kreiert und in seiner schönsten Form von Nat King Cole gesungen worden war:

=And now the purple dusk of twilight time/Steals across the meadows of my heart./High up in the sky the little stars climb:/Always reminding me that were apart./You wander down the lane and far away,/Leaving me a song that will not die./Love is now the stardust of yesterday:/The music of the years gone by....Sometimes I wonder why I spend/The lonely night dreaming of a song./The melody haunts my reverie./ And I am once again with you./ When our love was new/And each kiss an inspiration./But that was long ago./Now my consolation/Is in the stardust of a song....Beside a garden wall,/When stars are bright/You are in my arms./The nightingale tells his fairy tale./A paradise where roses bloom./Though I dream in vain./In my heart it will remain:/ My stardust melody:/The memory of loves refrain.=

Die typisch für das Deutsche, die wesentlich längere Übersetzung: =Und nun stiehlt sich der Purpurstaub der Dämmerung über die Wiesen meines Herzens. Hoch in den Himmel hinauf klettern die kleinen Sterne und erinnern mich an unsere Trennung. Du gehst den Weg hinab und immer weiter weg. Du lässt mir ein Lied zurück, das nie und nimmer sterben will. Unsere Liebe ist nun der Sternenstaub von gestern. Und die Musik der Jahre, die vorbeigegangen sind. Manchmal frage ich mich, warum ich die ganze einsame Nacht von einem Lied träume. Es ist eine Melodie, die Träumerei entzündet und uns wieder zusammen sein lässt. Damals, als unsere Liebe noch neu war und jeder Kuss eine Inspiration. Das ist alles so lange her, denn heute liegt mein einziger Trost im Sternenstaub eines Liedes....Neben der Gartenmauer und als Sterne hell schienen, lagst Du in meinen Armen. Die Nachtigall hat uns ein Märchen erzählt von einem Paradies, in dem die Rosen blühn. Doch mein Traum war vergeblich. Nur in meinem Herzen bleibt die Melodie vom Sternenstaub und der Erinnerung an den Refrain der Liebe.=

Es war das kein Einzelfall. Während in Deutschland die =Caprifischer= tätig waren und Udo Jürgens das Schmalz zu bügeln begann, bewiesen die USA in diesem, wohl einzigen Sonderfall ihre kulturelle Überlegenheit. Frank Sinatra sang mit seinem unverkennbaren Timbre: =Fremde in der Nacht, die Blicke tauschen und jetzt wissen wollen, wie wohl die Chancen stünden. Und ob man Liebe teilen könnte, bevor die Nacht zu Ende geht. Etwas in Deinen Augen war so einladend. Und etwas in Deinem Lächeln war so aufregend. Und etwas in meinem Herzen sagte mir, dass ich Dich haben müsste..... Fremde in der Nacht, zwei einsame Herzen. Wir waren Fremde in der Nacht bis zu dem Augenblick, als wir uns ein erstes Hallo sagten. So wenig wussten wir von uns, da Liebe nur einen Seitenblick und eine Umarmung im Tanz weit weg war..... Seit dieser Nacht sind wir zusammen als Liebende des ersten Blicks und Liebende für immer. Alles hat sich gut gewendet für uns als Fremde in der Nacht.=

Die englischen Worte des Liedes von Bert Kaempfert mit Text von Singleton und Snyder: =Strangers in the night exchanging glances/ Wondring in the night,/What were the chances we'll be sharing love/Before the night was through./Something in your eyes was so inviting,/Something in you smile was so exciting./Something in my heart,/Told me I must have you./Strangers in the night, two lonely people./We were strangers in the night/Up to the moment,/When we said our first hello./Little did we know./Love was just a glance away,/A warm embracing dance away and... Ever since that night we've been together. Lovers at first sight,/In love forever. It turned out so right/For strangers in the night.=

Vielleicht am deutlichsten findet der Zeitgeist, die Selbstverwirklichung und der Raubtierkapitalismus durch ein unverdächtiges Popsternchen aus Österreich seinen Ausdruck in verständlichen Worten. Christina Stürmer kann =Nie genug= kriegen, daher singt sie: =Ich lebe den Augenblick./Ich kriege nie genug./ Frag mich nicht wie und wann./Schalt den Sommer an./Wie schnell kann sich die Erde drehen?/Für mich nie schnell genug... Nur zuschauen ist undenkbar. Völlig sonnenklar... Ich kriege nie genug. Da geht noch mehr! Ich will alles auf einmal. Und nichts nur so halb. Nicht nur warten, bis etwas passiert. Ich kriege nie genug vom Leben...Ich will alles riskieren. Will gewinnen, nicht verlieren: Immer mehr, immer mehr, immer mehr.....Manche sind viel schneller satt./Kann mir nicht passieren. Ich denk nicht oft: Vielleicht! Ich tu es lieber gleich./Ich lass mich nicht umdrehen./Will weiter zu weit gehen...Ich möchte alles sehen. Mich ausruhen kann ich noch bei Zeit/ Im nächsten Leben. Kann mich oft nicht verstehen,/doch das hält dann /Nur einen kleinen Moment an...=

Sie lebt mit einem inneren Akkusativ den Augenblick. Sie wird dadurch groß und immer größer, so dass sie befehlen kann: =Schalt den Sommer an!= Die kleine Christl als Prometheus oder Promethea. Die Erde dreht sich zu langsam, alles soll sich beschleunigen und soll noch schneller gehen. Das ist freilich auch eine zentrale Forderung der Zeit. Hebung und Senkung, Jamben und Trochäen und damit ein Rhythmus wollen unter einem solchen Diktat freilich nicht gelingen. Dann und wann, doch keiner Ordnung gehorchend ergibt sich ein holpernder Reim: =Umdrehen/Gehen= oder =Undenkbar/Sonnenklar= oder =Riskieren/Verlieren= etc. In den Phrasen =Nie genug....Immer mehr...Will gewinnen= spiegelt sich der herrschende Spätkapitalismus genauso wie in der Unordnung des Textes, der keine Strophen und keinen Refrain kennt, aber über verschiedene Linien dreimal auf das dreifach wiederholte =Immer mehr!= stößt.


Im Text von Robbie Williams wird gleich zu Beginn festgestellt, dass die Augen dem Hirn nicht von Scham erzählten sollten. Jeder würde es brauchen, heißt es weiter, wenn man den Text auf seinen tieferen Sinn hin erzählt. Baby, sag' mir bloß: Was ist es denn, was jedermann so dringend braucht? Ich vermute, es zu wissen. Ich hab' allerdings Deinen Namen nicht ganz mitbekommen: Gusch! Halt die Klappe und red' kein Wort. Was die Nacht so bringen wird, das kann doch kaum was anderes als ein One Night Stand sein. Deine Blindheit nervt mich. Ist Dir nicht klar, dass nur ich und ich allein die Story kenne. Dreimal Sünde. Was war da früher? Das ist alles nichts gegen das, was wir jetzt und heute tun....Ich aber sage Dir: =Hasse die Sünde, nicht aber den Sünder!= Das, was man tut, mag schlecht sein, nicht aber der, der es tut.

Über Sünde, Sünder und freiem Willen streiten die Philosophen schon seit Augustinus. Es war Apostel Paulus, der als radikaler Christ im Timotheus-Brief (1.Tim 1,15) geschrieben hatte, dass Jesus gekommen sei, um vor allem die Sünder zu retten. Die Sünde aber ist ein abstraktes Prinzip, das sich eben nur durch den Menschen, und den Sünder manifestieren kann. Sünde und Sünder sind trotz Robbies Credo untrennbar und unteilbar. Man kann nicht den Mord verurteilen und den Mörder frei gehen lassen. Doch Sünde ist heute etwas Lächerliches, etwas Unzeitgemäßes, etwas Kindisches geworden. Sünde ist nicht =in= und ist nicht =up to date=. Daher im Text: Halt die Klappe, Baby! Sprechen ist Sünde. Auch das Denken, das dem Sprechen vorausgeht. Entspann Dich! Jesus würde es genauso machen! Wir sind nach seinem Bild erschaffen. Wir reiten da durch, Baby. Doch Robbies Textdichter stürzen beim Bibelzitat eher ab: Nicht nach dem Ebenbild Jesus sondern nach dem Bild Gottes ist laut Altem Testament der Mensch -oh Baby!- ohne Baby zu sein erschaffen worden.



ID 00000002610


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