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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Null-Null

HOOL nach dem Roman von Philipp Winkler am Staatsschauspiel Dresden
Bewertung:    



Wenn man Mitleid mit dem Pack empfinden würde, für das der Begriff "white trash" offenkundig erfunden wurde, hätte man am Ende vielleicht schlucken müssen ob der absehbaren Trostlosigkeit des weiteren Daseins der Prügel-Knaben, egal ob nun als lebenslang Behinderter, als kreditabzahlender Reihenhaushöllenbewohner, als wertvolles Fußballvereinsmitglied oder schlicht als perspektivloser Assi. Den Knacks behalten alle, beileibe nicht nur in der Zahnleiste, und das sei ihnen von Herzen gegönnt. Und vor allem das Leben von Heiko wird 0:0 ausgehen, obwohl bald gar kein Gegner mehr auf dem Platz stehen wird, soviel ist klar, und wenn er doch mal ein Tor schießt, ist es Abseits.

Eine Theaterkritik ist nicht der ideale Ort, seine Abneigung gegen jedwede Kriegsspielerei kundzutun – ich mach es aber trotzdem. An diesem Abend wird eine Geschichte vom menschlichen Abschaum erzählt, von Figuren, die – weit entfernt von jeder grundsätzlichen materiellen Sorge – sich zum Freizeitvergnügen die Zeit tot- und einander die Schnauze einschlagen und dies irgendwie mit dem bezahlten Fußballsport verbinden, der den Anlass gibt, mitnichten den Grund. Es möge niemand sagen, die machen das ja nur unter sich – Polizeieinsätze bei Fußballspielen kosten jährlich Hunderte Millionen und dem Gesindel die Hackfressen danach wieder halbwegs gerade zu biegen, bezahlen wir auch alle.

Wenn irgendwo eine „Null-Toleranz-Politik“ angebracht ist, dann hier. Aber unser Staat fährt seine Wasserwerfer zu oft bei den Falschen auf, als hier wirkungsvoll einschreiten zu können.

Jenseits dieser Betrachtungen (oder auch „zurück ins Stadion resp. Theater“) ist von einem kraftvollen, adrenalingetränkten und turbulenten Abend zu berichten, in dem sich fünf Schauspieler alle Mühe gaben, mitunter als ein Block von 50 Hools zu erscheinen, was auch öfter gelang. Der Platz war ausgezeichnet bespielbar, soll heißen, die Bühne mit ihren Traversen, einer angedeuteten VIP-Lounge und dem Stadiontunnel bzw. Kampfhundzwinger passte exakt ins obere Eck, und die Trikots der Spieler waren zweckmäßig aufgestellt und ermöglichten ein flüssiges Spiel (mein Lieblingsdetail: Die dicken Eier in den Turnhosen).

[Erste Ermahnung des Autors wegen der Verwendung unzulässiger Fußballmetaphern.]

Durchaus gab es auch Erzählstränge außerhalb des Spiel- oder besser Prügelfeldes, rund um die Nachwuchs-Schlägerhoffnung Heiko wurden Ausflüge in dessen zerrüttete Familienverhältnisse und die nicht minder desolaten Wohnbedingungen auf dem Hof eines durchgeknallten Kampfhundfreundes unternommen. Nachvollziehbar meist, beeindruckend auch der schnelle Rollenwechsel der jeweils Beteiligten (die naheliegende Fußballmetapher unterbleibt hier wegen akut drohender Gelb-Gefahr). Der Werdegang wurde damit herleitbar, aber nicht erklär- und schon gar nicht entschuldbar.

Die Musik spielte eher unauffällig, eine Band in Dreierkette namens Vögel die Erde essen ließ wenig zu. Nach vorn ging aber auch nicht viel, und der an einer Yvonne verwirkte Elfmeter wurde jämmerlich in den Retro-Pop-Himmel geballert, trotz eines sonst sehr sicheren Schützens resp. Sängers mit dem schönen Fußballernamen Jannik am Punkt. Hymnen- und mitgröltauglich war das selten, und die Schlafanzug-Kostüme mit weißen Kniestrümpfen führten zum Punktabzug.

[Dem Schiedsrichter reicht es jetzt: Gelb für den Autor wegen Metaphierens.]

Natürlich muss so ein Typ in einer Muckie-Bude namens "Wotan Gym" anschaffen (die Vokabel „arbeiten“ scheint hier unangebracht), wo Männer ohne Hälse verkehren, der Transfermarkt für allerlei Mittelchen immer geöffnet ist und die nächsten Matches ausgehandelt werden. Dies bildet das kulturelle, familiäre und soziale Zentrum des Heiko, den Yannik Hinsch mit brachialem Charme im Dauersprint und nur selten nachdenklich spielt, gerade hintenraus nicht, was der Rolle vermutlich auch am besten gerecht wird. Dass dennoch nicht so viel hängenbleibt von Hinschens Leistung wie z.B. beim Untertan, liegt schlicht am vergleichsweise flachen Stoff, der wenig Gelegenheit für Vertiefung bietet.

Die anderen Sportkameraden Tillmann Eckardt, Daniel Séjourné, Oliver Simon und Steven Sowah hatten in des Trainers Taktik (vulgo: Regie) vor allem die Aufgabe, den Mittelstürmer Hinsch in Szene zu setzen und sind mit der Zueignung „effektiv und mannschaftsdienlich“ gut beschrieben. Deswegen soll hier auch keiner hervorgehoben werden, es sei nur noch auf deren beeindruckende Maskierung (irgendwo zwischen Zombies und Clowns) verwiesen, die im richtigen Fußball leider nicht erlaubt ist.

[Der Schiri mahnt nochmals zur theatergerechten Sprache, Gelb-Rot ist in Reichweite.]

Wenn man den Beschreibungen folgen will, handelt das Buch, auf dem die Inszenierung basiert, vom Bestehen und Zerbrechen einer Männerfreundesgruppe im spannenden Hannover, die ihren Lebensinhalt darin sieht, Mitglieder einer anderen Männerfreundesgruppe aus dem nicht minder spannenden Braunschweig so lange zu prügeln, bis der Arzt kommen muss. Dazu denkt man sich diverse Finessen aus, die aber kaum an den Einfallsreichtum oberbayerischer Dorfburschenschaften heranreichen, den Nachbarn den Maibaum zu klauen (die zivilisierte Variante dieser Testosteronfestspiele). Da aber keiner dieser Knallkörper bei mir irgendwelche Sympathien erringt, lässt mich das Ganze relativ kalt.

Insgesamt also ein klares Unentschieden: Wieder mal (nach dem thematisch benachbarten „Neun Tage wach“) eine gelungene theatrale Umsetzung eines aktuellen Romans, die ihr breites Publikum finden wird. Dem (von mir hier unterstellten) Erklärungsversuch für eine sehr spezielle Ausdrucksweise menschlicher Eigenarten kann und mag ich hingegen nicht folgen, meine Verachtung für dies Gesindel ist keinen Deut kleiner geworden durch das Stück. Und dieses simple Thema gibt nun mal kein großes Theater her, auch Schiller wäre dazu nicht viel mehr eingefallen. Dies behaupte ich hier einfach mal – wer wollte das wohl widerlegen?

[Mit dem Schlusspfiff sieht der Autor doch noch ein glattes Rot – die Blutgrätsche gegen einen Klassiker ist wirklich grob unsportlich.]
Sandro Zimmermann - 23. März 2019
ID 11298
HOOL (Kleines Haus 1, 22.03.2019)
Regie: Florian Hertweck
Bühne: Mascha Deneke
Kostüme: Kathrin Krumbein
Musik: Moritz Bossmann, Oli Friedrich und Jan Preißler
Licht: Richard Messerschmidt
Dramaturgie: Kerstin Behrens
Mit: Tillmann Eckardt, Jannik Hinsch, Daniel Séjourné, Oliver Simon und Steven Sowah
Premiere am Staatsschauspiel Dresden: 22. März 2019
Weitere Termine: 28.03. / 05.04.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsschauspiel-dresden.de


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