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Premierenkritik

Macbeth

oder von der Unmöglichkeit, heute Shakespeare zu spielen



Macbeth an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Zu Beginn tritt der gute König Duncan (Walter Hess) auf. Er hält ein Fläschchen Fleckenteufel in der Hand und beruhigt die Zuschauer: Sollte Blut auf ihre Kleider spritzen, dann einfach ein paar Tropfen auf die Weste, ein bisschen Wasser, und sie ist wieder blütenweiß. Schließlich sei Deutschland der Marktführer für Kunstblut: allein für einen Hamlet benötige man normalerweise 300 Liter!

Amir Reza Koohestanis Macbeth allerdings kommt mit einem Minimum an rotem Farbstoff aus. Denn man probt das Stück ja nur, räsonniert über seine Ideen: Wie wirkt die Prophezeiung der Hexen auf Macbeth (Christian Löber)? Übermitteln die Hexen nur eine Nachricht, machen sie ein Angebot, oder geben sie gar eine Handlungsempfehlung? Ist das bloße Hexen-Wort schon schuld daran, dass Macbeth König Duncan ermordet? Wirkt allein die Vision der Macht schon als Anleitung zum Mord? Der Regisseur, der sich die Hauptrolle vorgenommen hat, ist hin und hergerissen zwischen all den Interpretationsmöglichkeiten und Erwartungen - wie auch zwischen seinen beiden Ladies. Die eine Lady Macbeth mag nicht spielen, die andere kann nicht, oder doch? Sie spricht zwar wunderschönes Farsi, aber nur unverständlich holperndes Deutsch. Und das bei einer solchen Paraderolle! Warum keine Muttersprachlerin nehmen? Weil eine Migrantin "aktuell" wirkt. Ein syrischer Mitspieler: "Оhne uns ist das Stück nicht politisch." Ein anderer: "Syrische Schauspieler als Hexen - das wäre eine schöne Schlagzeile." Naja, wenigstens ist die Hexe in Minsk geboren (zauberhaft singend: Polly Lapovskaja).

Amir Reza Koohestani spielt mit unseren politisch korrekten Theatergewohnheiten. Er nützt die Tatsache, dass der Inhalt von Macbeth so bekannt ist wie kaum ein zweites Shakespeare-Drama. So genügt es ihm, nur einige wichtige Passagen zu zitieren. Sie zeigen, wie gefangen die Protagonisten in den Strukturen der Macht sind und wie wenig sie mit den Konsequenzen ihrer Taten zurechtkommen. Da fragt bei Shakespeare Macbeth die Lady: „Und was ist, wenn wir scheitern?“ Sie spricht ihm Mut zu und Entschlossenheit. Schließlich seien beide so mächtig, dass niemand sie zur Rechenschaft ziehen könne. Wenn du dich nur traust, geht nichts schief, lautet die Botschaft.

Finden die Schauspieler auch. Und scheitern gnadenlos - viele Text-Seiten lang. Nicht ohne Witz und Pointen! Doch bevor die sich totlaufen, wird die Probe immer wieder zu dramatischer Poesie. Vor Videos von Wäldern, Palästen und Feuern, vor riesigen Pupillen, Messern und Gesichtern entfaltet sich Shakespeares Sprache. Im Original-Ton auf Englisch, auf deutsch, in Farsi. Da geraten die Sprach-Bilder ins Schwingen, geheimnisvoll, märchenhaft. Sie umhüllen auch das cleane weiß gekachelte Bad auf der kleinen Drehbühne. Ein symbolischer Ort, wo man sich das Blut abwäscht und die Hände in Unschuld. Bloß einer, noch ein Schauspieler mit hörbarem Migrationshintergrund, fragt: Was passiert eigentlich, wenn man wirklich ins Urinal pisst? „Idiot“ leuchtet es rot auf dem Spiegel.

Was aber geschieht, wenn wirklich Blut fließt, eben keine rote Farbe? Was das mit uns macht, das wissen wir, die wir im Frieden leben dürfen, nicht, so Koohestani - auch wenn wir noch so viele Shakespeare-Inszenierungen anschauen (nebenan im Residenztheater läuft eine weitere). Aber wir können es uns vorstellen. Etwa, wenn die Farsi sprechende Zweitbesetzung der Lady in einem berührenden Moment der Inszenierung erzählt, wie sie eine Mutter mit dem blutüberströmten Kind sah. Eindrucksvoll ihre Darstellerin Mahin Sadri, eine iranische Schrifstellerin, Regisseurin und Schauspielerin, die immer wieder mit Amir Reza Koohestani zusammenarbeitet. Auch er wurde im Iran geboren und gilt als einer der bedeutendsten Theatermacher seiner Generation. Seit 15 Jahren sind seine Arbeiten auch in Europa auf zahlreichen Festivals zu sehen. Мacbeth ist seine dritte Arbeit mit dem Ensemble der Münchner Kammerspiele und seine erste Auseinandersetzung mit einem zentralen Stück des westlichen Kanons.

Scheitern bei, Scheitern an Shakespeare: Koohestanis Nachdenken über Macbeth hat zu keiner modischen Dekonstruktion geführt. Es stellt die Frage nach der Wirkmächtigkeit von Geschichten – politisch, moralisch, heute. Wenig Kunstblut, keine Raserei. Ein nachdenklicher Macbeth light in anderhalb Stunden. Herzlicher Beifall.




Macbeth an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Petra Herrmann - 8. Dezember 2018
ID 11091
MACBETH (Kammer 1, 07.12.2018)
NACH WILLIAM SHAKESPEARE, VON AMIR REZA KOOHESTANI

Inszenierung: Amir Reza Koohestani
Bühne: Mitra Nadjmabadi
Kostüme: Negar Nemati
Video: Benjamin Krieg
Co-Video: Phillip Hohenwarter
Musik: Polly Lapkovskaja
Licht: Christian Schweig
Übersetzung: Mehdi Moradpour
Dramaturgie: Helena Eckert
Mit: Walter Hess, Kinan Hmeidan, Gro Swantje Kohlhof, Christian Löber, Stefan Merki, Kamel Najma, Vincent Redetzki und Mahin Sadri sowie Pollyester (Live-Musik)
Premiere an den Münchner Kammerspielen: 7. Dezember 2018
Weitere Termine: 10., 18., 25.12.2018 // 09., 13., 27.01.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-kammerspiele.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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