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Premierenkritik

Klandestine Begegnung mit

Sigmund Freud

DER TRAFIKANT am Theater Pforzheim

Bewertung:    



Das Theater Pforzheim hat zu einer „Premiere ohne Publikum“ eingeladen. Es handelte sich nicht um eine (nicht) öffentliche Generalprobe, sondern tatsächlich um eine fest geplante und gewissenhaft vorbereitete Premiere. Allerdings ist der Zusatz „ohne Publikum“ ungenau. Was, wenn nicht ein Publikum, wären die eingeladenen „Pressevertreter“? Die Exklusion erinnert an die aktuellen Meldungen aus Wien, die von vier Menschen und einem Täter unter den Toten des Terroranschlags berichten – als wäre dieser kein Mensch. Was also beim Film seit jeher üblich ist – die Pressevorführung, bei der die Medienleute, die sich ungeheuer wichtig dünken und mit Kaffee und Butterbrezeln bewirtet werden, dafür sorgen, dass die Besprechung zum Termin des Kinoeinsatzes veröffentlicht wird, weil der Umsatz dieses Tages zählt – und was viele Theaterregisseure eher ablehnen – den Kritikerbesuch vor der öffentlichen Premiere –, hatte seinerseits Premiere. Das Theater zeigt Flagge und lässt seine Arbeit von fünf Augenzeugen protokollieren. Sage da keine*r im Gemeinderat, die Schauspieler*innen lägen auf der faulen Haut.

*

Gespielt wird Der Trafikant nach dem Erfolgsroman von Robert Seethaler, der die Zeit des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich zum Thema hat. Die Tabaktrafiken – die Zigaretten- und Zeitungskioske und -läden – profitierten in Österreich vom staatlichen Tabakmonopol. Sie wurden nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg an Invalide vergeben. Die Trafik des einbeinigen Otto Trsnjek befindet sich in der Währinger Straße, gleich um die Ecke von der Berggasse, in der Sigmund Freud tatsächlich gewohnt und praktiziert hat. Die Verbindung zwischen Trsnjek und dem Zigarrenraucher Freud stellt der junge Franz Huchel her, der aus dem Salzkammergut nach Wien gekommen ist. Sascha Mey verlegt die Handlung nicht ins Jahr 1989, nicht auf den Kurfürstendamm, und er macht aus Freud nicht einen Dr. Motte. Das ist man nicht mehr gewohnt: eine Regie, die auf den Nachweis von Originalität verzichtet und die ein Stück dort belässt, wo der Autor es lokalisiert hat. Sascha Mey und Robert Seethaler teilen die zugunsten eines kurzschlüssigen Aktualisierungswahns abhanden gekommene Klugheit eines Bertolt Brecht, der Galilei und das 17. Jahrhundert benutzte, um über seine Gegenwart der Atombombe zu sprechen, eines Arthur Miller, der die Hexenjagden der selben Zeit instrumentalisierte, um von der Gegenwart des McCarthyismus zu handeln.

Und in der Tat: die Faktizität des Milieus ist von Belang, ohne dass Der Trafikant deshalb ein Geschichtsdrama wäre. Er ist es ebenso wenig (und ebenso sehr) wie beispielsweise Tom Stoppards Travesties. Genau dieser Ambiguität aber entspringt der besondere Reiz. In Pforzheim wird er vermittelt. Hoffentlich in absehbarer Zeit vor Publikum im engen Verständnis und nicht nur vor Pressevertretern.




Der Trafikant am Theater Pforzheim | Foto (C) Sabine Haymann

Thomas Rothschild – 8. November 2020
ID 12587
DER TRAFIKANT (Theater Pforzheim, 07.11.2020)
Inszenierung: Sascha Mey
Bühne: Jörg Brombacher
Video: David Brombacher
Kostüme: Milena Keller
Dramaturgie: Ulrike Brambeer
Besetzung:
Franz Huchel ... Nicolas Martin
Seine Mutter ... Michaela Fent
Otto Trsnjek ... Lars Fabian
Sigmund Freud ... Jens Peter
Anezka/ Kleine Dame (Obdachlose) / Studentin ... Johanna Miller
Pfarrer / Böhmischer Kellner/ Parkwächter/ Der Verhärmte/ Mann in grauem Anzug/ Ein Ziviler / SS-Mann / Schießbudenmann ... Bernhard Meindl
Preininger / Der rote Egon/ Conferencier Heinzi/ Mann in grauem Anzug/ Ein Ziviler / Roßhuber ... David Meyer
Frau Doktor/ Mann in grauem Anzug/ Briefträgerin/ Portierin ... Myriam Rossbach
Wirthausbesucher, Passanten, Schaulustige ... Ensemble
Premiere (ohne Publikum) war am 7. November 2020.


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-pforzheim.de


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