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Ikonografischer

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Das 1. Evangelium in der Regie von Kay Voges | Foto (C) Julian Röder

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Zum aktuellen Spielplan der Volksbühne unter Interims-Intendant Klaus Dörr gehören neben wenigen neuen Eigenproduktionen und Inszenierungen, die noch unter dem im April geschassten Chris Dercon vereinbart worden waren, auch einige Gastspiele und Übernahmen von anderen Theatern. So etwa das Stück Das 1. Evangelium, das der Dortmunder Intendant Kay Voges im Januar für das Schauspiel Stuttgart noch unter Armin Petras inszeniert hatte. Beide Regisseure gehören zum Kreis der möglichen Nachfolger für das Amt des neuen Volksbühnenintendanten. Hatte Armin Petras wegen anderer Aufgaben bisher kein Interesse bekundet, so scheint zumindest Kay Voges nicht ganz abgeneigt, wie er vor Kurzem in einem Interview mit dem Regional-TV-Sender RBB kundtat.

Voges ist bekannt für seine opulenten, multimedialen Inszenierungen, in denen er meist mit sich überlagerndem Video-, Schauspiel- und Musikeinsatz arbeitet. So auch bei der Dortmunder Borderline Prozession, die 2017 zum Berliner THEATERTREFFEN eingeladen war. In seinem neuesten Stück Die Parallelwelt verband er mittels Glasfaserkabel an einem Abend das Theater in Dortmund mit dem Berliner Ensemble und zeigte so eine Inszenierung zeitgleich an zwei Orten. Die Gleichzeitigkeit der Ereignisse und die Möglichkeiten des Internets verbunden mit philosophischen Welterklärungsformeln sollen zu einer optischen wie sinnlichen Reizüberflutung und Überforderung des Publikums führen. Ein leider nicht immer glückendes Bühnenexperiment.

*

So nun auch bei dem multimedialen Stück Das 1. Evangelium, das sich frei am biblischen Matthäus-Evangelium mit der Passion Christi wie auch an Motiven des italienischen Filmemachers Pier Paolo Pasolini orientiert. Ein Bühnenexperiment, das mit Livekamera, Videoeinsatz, Musik und Schauspielszenen vor allem wieder an die Borderline Prozession anknüpft. Einen nachvollziehbaren Plot besitzt das Ganze aber auch. Der ehrgeizige Jungfilmer Fred (Paul Grill) dreht einen Passionsfilm mit einem weiblichen Jesus in der Hauptrolle. Neben der Schauspielerin des Jesus (Julischka Eichel), die auch seine Geliebte ist, tritt auch die Mutter des Regisseurs (Janina Kreß) in der Rolle der Maria auf, die gleich zu Beginn unter Schmerzensschreien den Heiland gebiert. "Cut", ruft Fred nach dem Durchtrennen der Nabelschnur. Die Szene ist im Kasten, aber den Regisseur plagen neben Geldsorgen auch jede Menge Zweifel. „Das Theater ist die Kirche der Zweifler.“ Die Botschaft Kay Voges wird zum Aufhänger der Inszenierung, die sich in Folge nun von Szene zu Szene mit den Befindlichkeiten von Regisseur und Film-Crew beschäftigt.

Neben Pasolini stand natürlich auch Rainer Werner Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte Pate. Holger Stockhaus spielt hier den drängenden und die Zweifel des Regisseurs zerstreuenden Produzenten. Im Cowboylook erinnert er auch ein wenig an Dennis Hopper; in seiner Rolle als Pontius Pilatus wird er irgendwann das Sendungsbewusstsein des sich in Größenwahn befindlichen Regisseurs auf das allerschönste zerpflücken. An Bild- und Wort-Zitaten aus Bibel und Popkultur (Kommune 1) mangelt es bei Kay Voges nicht. Dazu flimmert philosophisches Gedankengut u.a. von Alain Badiou, Gilles Deleuze oder Walter Benjamin mit seinem Engel der Geschichte über die Videoscreens, auf die auch das Treiben hinter der Szene übertragen wird. Ganz wie bei Frank Castorf; und auch die rotierende Drehbühne mit ihren Aufbauten und mehreren Schauplätzen dreht sich behände wie beim alten Volksbühnen-Hausherrn. Dazu dröhnt Bach und Popmusik. Weihrauchschwaden schwängern die Luft, als säße man in Christoph Schlingensief Kirche der Angst vor dem Fremden in mir.

Ikonografisch arbeitet sich Voges an der Pop- und Kunstgeschichte ab. Besonders die Kreuzabnahme (Rosso Fiorentinos Kreuzabnahme nachempfunden) drängt sich immer wieder ins Bild. Pasolini beschäftigte sich damit in seinem Film Der Weichkäse (La ricotta). Im Grunde dürfte dies das große Vorbild für diese Inszenierung sein. Dazu ruft Josef Beuys „Zeige deine Wunde“ und R.E.M. säuselt Losing My Religion. Bei all dem Eklektizismus konstatiert man selbstironisch das Ende der Filmgeschichte, an dem sich alles nur noch wiederholt und liefert dazu ein „Making of a B-Movie“. „Wir glauben nur, was wir sehen“, lässt sich der Filmproduzent am Ende vernehmen. Realität als rein subjektives Empfinden. Das Jean-Luc-Godard-Zitat „Wenn zwei Bilder aufeinandertreffen, entsteht ein Drittes. Eine andere Art des Sehens.“ soll die Frage nach dem Primat der Bilder, die im Stande sind, Glauben zu formen, stellen. Die Frage: „Was war zuerst da, der Glaube oder das Bild?“ beantwortet die Inszenierung vor allem visuell. Allein, dem Betrachter fehlt der rechte Glaube.



Das 1. Evangelium in der Regie von Kay Voges | Foto (C) Julian Röder

Stefan Bock - 7. November 2018
ID 11022
DAS 1. EVANGELIUM (Volksbühne Berlin, 04.11.2018)
Regie: Kay Voges
Director of Photography: Voxi Bärenklau
Videodesign: Robi Voigt
Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüme: Mona Ulrich
Musik: Paul Wallfisch
Live-Ton-Sampling: Philip Roscher
Video: Jens Crull und Mathias Klütz
Ton: Gabriel Anschütz, Klaus Dobbrick und Tobias Gringel
Choreografische Einstudierung: Berit Jentzsch
Live-Kamera: Tobias Dusche und Daniel Keller
Ton-Angler: Dario Brinkmann und Malte Audick
Soufflage: Elisabeth Zumpe
Mit: Manolo Bertling, Julischka Eichel, Sebastian Graf, Paul Grill, Berit Jentzsch, Christoph Jöde, Paula Kober, Janine Kreß, Rahel Ohm, Sylvana Seddig, Holger Stockhaus sowie Henning Flüsloh, Maximilian Gehrlinger, Noelle Haeseling, Felix Mayr, Moritz Carl Winklmayr und Christopher Vantis
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 19. Januar 2018
Berliner Premiere: 1. November 2018
Weitere Termine: 08., 09.12.2018 // 06.01.2019
Übernahme vom Schauspiel Stuttgart


Weitere Infos siehe auch: http://www.volksbuehne.berlin


Post an Stefan Bock

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