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Premierenkritik

Auffallende

Inhaltslosigkeit



Die Parallelwelt | (C) Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Das Theater gleichzeitig im Kreissaal und auf dem Sterbebett. Besser lässt sich der neue Theaterabend von Regisseur Kay Voges nicht beschreiben. Sein Stück Die Parallelwelt spielt mit der Möglichkeit, dass in Anlehnung an die Relativitätstheorie Raum und Zeit eben relativ sind und ein Körper durch Lichtgeschwindigkeit theoretisch zu verschiedenen Zeiten an mehreren Orten gleichzeitig sein und sich also auch beim Sterben oder eben Geborenwerden zusehen könnte. Erforscht werden diese Erkenntnisse im Bereich der Quantenphysik, genutzt wird die Technologie bei der Datenübertragung im Internet, das diese Gleichzeitigkeit via Glasfaserkabel ja digital schon ermöglicht. Wer mehr wissen möchte, kann das ABC der Parallelwelt im Programmheft der Inszenierung nachlesen.

Das Ganze gibt durchaus Stoff zum Nachdenken und Philosophieren. Künstlerisch behandelt wird es bereits seit langem durch Genre wie Literatur und Film in unzähligen Science-Fiction-Werken. Theater ist nun allerdings eine Livesache, die an die Gleichzeitigkeit von Ort und Zeit gebunden ist. Diese Grenzen aufzubrechen ist das erklärte Ziel der Arbeit von Kay Voges, was er als Intendant am Schauspiel Dortmund u.a. mittels einer „Akademie für Digitalität und Theater“ schaffen will. Die Frage ist nur, braucht das die Theaterkunst überhaupt, und da scheiden sich bekanntlich die Geister. Debatten zur Digitalisierung des Theaters werden daher immer wieder kontrovers geführt.

Die Glasfasertechnologie ermöglicht Kay Voges nun mit dem Stück Die Parallelwelt ein digitales Experiment einer Simultanaufführung zwischen dem Berliner Ensemble und dem Schauspiel Dortmund. Es wurden dafür zwei identische Bühnenbilder gebaut. Alle Rollen sind doppelt bzw. auch mehrfach mit Mitgliedern beider Ensembles besetzt. Gespielt wird der fiktive Lebenslauf der Figur Fred. In Berlin von der Geburt bis zum Tod, in Dortmund gleichzeitig in umgekehrter Abfolge. Sieht das Berliner Publikum die Geburt Freds mit Wehenschrei (Stephanie Eidt) und Nabelschnurdurchtrennung auf der Bühne, wird parallel dazu via digitaler Livezuschaltung der Todeskampf Freds (Uwe Schmieder, Berliner Off-TheatergängerInnen vielleicht noch als Mitglied des Orphtheaters bekannt) in Dortmund auf einem Videoscreen übertragen. Das Dortmunder Publikum sieht’s umgekehrt. Dazu filmen zwei Teams das jeweilige Bühnengeschehen.

Mit den Mitteln der Technik ist das also nahezu einwandfrei gelöst, was dabei allerdings auf der Strecke bleibt, ist das Theater selbst, da inhaltlich nicht allzu viel Neues rüberkommt. Man muss hier sogar von einem narrativen Desaster sprechen. Die Story ist ziemlich einfach gestrickt, fast rein visuell wird in kleinen Spielszenen die Lebensgeschichte Freds vom Kind über die erste Liebe, Heirat, Beziehungsstress, Trennung, neue Liebe, Altersheim bis zum Sterben parallel gezeigt und mit philosophischen Gedanken von Empedokles, Aristoteles, Zitaten von Werner Heisenberg, Bibeltexten und Textsamples von AutorInnen wie Jorge Luis Borges, Wolfram Lotz, Heiner Müller oder Elfriede Jelinek unterfüttert. Man kennt das bereits aus Voges Borderline Prozession (Theatertreffen 2017). Der Mensch aus seiner Vollkommenheit vertrieben, verzweifelt an der Unordnung der Welt.

Großes Thema auch hier die Gleichzeitigkeit der Ereignisse, die mediale Reizüberflutung, die die Erkennbarkeit der Welt erschwert. Hinzu kommt nun noch die gedankliche Überforderung durch die Vorstellung, kein einzigartiges Individuum zu sein. Das kulminiert in der im Mittelpunkt der Inszenierung stehenden Hochzeitszene, bei der das Zeit-Raum-Kontinuum aufbricht und sich beide Hochzeitgesellschaften gewahr werden. Was natürlich auch nur mittels Videoübertragung funktioniert. Es beginnt nun ein Streit darüber, wer nun das echte Brautpaar ist. Ein dialogischer Schlagabtausch, der an Banalität und Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist und in einem Currywurstdisput zwischen Dortmund und Berlin mündet, bei dem über das Wort „Vorstellung“ gekalauert wird. Es gibt „Quanten“-Witze und Schrödingers Katze als Weihnachtsgeschenk. Dazu wabert über den allgegenwärtigen Videoscreen eine computeranimierte Flüssigkeit frei nach dem Motto: Alles fließt.

Esoterischer Kokolores, wie man ihn auch von Susanne Kennedy (Die Selbstmord-Schwestern und Women in Trouble) kennt. Was zudem sauer aufstößt, wurden und werden sie und Voges doch oft auch als Nachfolger für eine zukünftige Volksbühnenintendanz gehandelt. Die reale Welt in die digitale zu erweitern und zu spiegeln, ist ihr erklärtes Ziel. Viel anzufangen weiß das digitale Theater von Kay Voges mit der Technologie allerdings nicht. Was bleibt, ist ein schales Gefühl, dass das eigentliche Theater und die reale Welt hinter das technische Blendwerk einer digitalen Videoshow zurücktritt. Und das ist nicht zukunftweisend, sondern ziemlich reaktionär. Kay Voges nennt das Ganze ja auch eine „Multimedia-Performance an der Schnittstelle von Theater und Filmkunst“. Mit einem guten Drehbuch ließe sich damit vielleicht bei Amazon oder Netflix reüssieren.



Die Parallelwelt | (C) Birgit Hupfeld

Stefan Bock - 17. September 2018
ID 10921
DIE PARALLELWELT (Berliner Ensemble, 15.09.2018)
Regie: Kay Voges
Bühne: Daniel Roskamp
Kostüme: Mona Ulrich
Bildregie: Voxi Bärenklau
Musikalische Leitung: T. D. Finck von Finckenstein
Dramaturgie: Sibylle Baschung und Alexander Kerlin
Videodesign: Robi Voigt und Mario Simon
Kamera: Benjamin Hartlöhner, Miriam Kolesnyk, Tobias Hoeft und Jan Voges
Engineering: Dominic Bay und Lucas Pless
Licht: Benjamin Schwigon und Sibylle Stuck
Mit: Stephanie Eidt, Oliver Kraushaar, Sina Martens, Annika Meier, Peter Moltzen, Josefin Platt, Owen Peter Read, Andreas Beck, Frank Genser, Bettina Lieder, Eva Verena Müller, Uwe Schmieder, Friederike Tiefenbacher, Merle Wasmuth und Xenia Snagowski
Premiere war am 15. September 2018.
Weitere Termine: 20., 26.09. / 28., 31.10. / 11., 16.11. / 07.12.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de


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