Kinder- und Jugendtheater
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Der russische
Vampir aus
Rumänien
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Der gestiefelte Kater am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Bewertung:
Das Theater spiegelt die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung wider. In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde in Deutschland das traditionelle biedere Weihnachtsmärchen, mit dem man sich ein Alibi für das Fehlen einer kontinuierlichen Kindertheaterpflege schuf, zunächst durch realitätsnahe und witzige Stücke aus Großbritannien und dann durch politische Stücke nach dem Vorbild von GRIPS und Rote Grütze ersetzt. Inzwischen ist man wieder beim Weihnachtsmärchen angelangt. Es ist wohl nicht so bigott und rührselig wie in der Nachkriegszeit, aber putzig und belanglos ist es durchaus.
Am Stuttgarter Schauspiel traktiert man die Kinder und ihre erwachsenen Begleiter mit Thomas Freyers sehr freier Bearbeitung des Gestiefelten Katers, die die Regisseurin Susanne Lietzow noch weiter bearbeitet hat. Die Inszenierung nutzt das Kunstmittel der akustischen und visuellen Maximierung: Geräuschverstärkung und die Vergrößerung der Requisiten. Die Arrangements sind ebenfalls maximal bunt wie Kinderbuchillustrationen. Eingebaut sind Songs, deren Texte für Kinder unverständlich bleiben dürften, weil die Schauspieler offenbar den Sprechunterricht geschwänzt haben. Ob Flieger, grüß mir die Sonne die sinnigste Ergänzung zum Kater-Stoff ist, sei dahingestelllt. Bei einer Sottise über die „alten weißen Männer“, deren kritischer Mut den Kindern wahrscheinlich entgangen ist, spenden die älteren weißen Mütter demonstrativ Applaus.
Szenischer Höhepunkt ist der Auftritt Sebastian Röhrles als Zauberer, der aussieht und sich bewegt wie Nosferatu. Der stammt bekanntlich aus Transsilvanien. Bei Susanne Lietzow aber singt er Katjuscha und Kalinka und stammelt in russischer Sprache. Interessant: Niemand würde es heute wagen, einen Farbigen mit Bastrock auftreten oder auch nur von einem Weißen, einem alten weißen Mann gar, spielen zu lassen. Wenn es aber um Russen geht, dürfen die wüstesten Klischees aus der Zeit des Kalten Krieges bemüht werden.
Nachdem sich die Kinder von 2018 fast eineinhalb Stunden für Könige, Grafen und Prinzessinnen erwärmen durften, wird in einem Aufwaschen das Ende der Leibeigenschaft, gleicher Lohn für Mann und Frau und weiteres Lobenswertes aus den vergangenen Jahrhunderten gefordert. Dem Anspruch an Progressivität ist Genüge getan. Der Kater kann seine Stiefel wieder ausziehen.
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Der gestiefelte Kater am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Thomas Rothschild – 3. Dezember 2018 (2) ID 11082
DER GESTIEFELTE KATER (Schauspielhaus, 02.12.2018)
Inszenierung: Susanne Lietzow
Bühne: Aurel Lenfert
Kostüme: Marie-Luise Lichtenthal
Musik: Boris Fiala
Video: Petra Zöpnek
Licht: Sebastian Isbert
Dramaturgie: Sina Katharina Flubacher
Choreografische Beratung: Belina Nasra Mohammed Ali
Mit: Felix Strobel, Fabian Raabe, Boris Burgstaller, Reinhard Mahlberg, Celina Rongen, Sebastian Röhrle, Deborah Yates und Harry Bednarz
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 2. Dezember 2018
Weitere Termine: 12., 16.-20., 25.12.2018 // 01., 08.01.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
Post an Dr. Thomas Rothschild
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