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nachDRUCK # 6

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Gastspiel

Drei

Schmuckschatullen

zur Auswahl

THE MERCHANT OF VENICE
durch die Londoner
Shakespeare´s Globe
on Tour


Bewertung:    



Für den verarmten jungen Edelmann Bassanio (Luke Brady) geht es um alles oder nichts: Er hat sich in die reiche Erbin Portia (Jacqueline Phillips) verliebt, doch um sie zu gewinnen, muss er die richtige von drei Schmuckschatullen wählen, so die Auflage von Portias verstorbenem Vater. Die Kästchen sind aus Gold, Silber und Blei. Wählt er das Falsche, ist alles verloren.

Für das Publikum des Shakespeare Festivals in Neuss war die Wahl noch schwerer, denn sie mussten unmittelbar vor Beginn der Vorstellung mittels lauter Willensbekundung aus drei Stücken das aussuchen, das sie sofort danach sehen wollten. Das Globe Theater aus London hat drei „Platinschätze“ ausgesucht: Twelfth Night, The Taming of the Shrew und The Merchant of Venice. Der Widerspenstigen Zähmung fand große aber nicht genug Zustimmung, selbst Was ihr wollt schied hauchdünn aus, obwohl der Regisseur Brendan O'Hea im Einführungsgespräch erzählt hatte, das dieses wegen der vielen Musik die magischste seiner Inszenierungen sei. Die Wahl fiel auf Der Kaufmann von Venedig, die Geschichte vom reichen, aber melancholischen Kaufmann Antonio (Russell Layton), der seinen jungen Freund Bassanio lukrativ unter die Haube bringen will. Da all seine Schiffe auf See sind, hat er nicht genug Bargeld und so will er sich die riesige Summe von 3000 Dukaten leihen.

Da Christen kein Geld gegen Zinsen verleihen durften, entwickelte sich im Venedig des 16. Jahrhunderts eine Nische für Juden, die sich als Geldverleiher etablierten. Antonio ist ein ausgewiesener Judenhasser und hat den Juden Shylock (Sarah Finigan) schon angespuckt, angepöbelt und Hund genannt. Nun schlägt Shylocks Stunde, als sich ausgerechnet Antonio für seinen Freund Geld von ihm leihen möchte. Er tut das mit einem sehr ungewöhnlichen Schuldschein: Sollte Antonio nach drei Monaten mit der Rückzahlung in Verzug kommen, will er nichts als ein Stück seines Fleisches aus ihm herausschneiden an einer Stelle, die Shylock sich aussuchen darf. Antonio geht zuversichtlich darauf ein, weil er die Rückkehr gleich mehrerer reich beladener Schiffe erwartet. - Zuerst geht alles gut. Bassanio wählt die richtige Schmuckschatulle und gewinnt Portia inklusive all ihrer Reichtümer. Doch mitten in den Jubel platzt die Nachricht, dass Antonio in Zahlungsverzug gekommen ist und Shylock ihm nun ein Stück Fleisch aus dem Leib schneiden will. Portia, die vorher noch so glücklich war, ist empört und schickt schweren Herzens Bassanio gleich wieder davon, um seinem Freund bei der Gerichtsverhandlung vor dem Dogen von Venedig beizustehen.



Portia (Mi. Jacqueline Phillips) ist empört über Shylocks Ansinnen und willigt ein, dass Bassanio (li. Luke Brady) seinem Freund zu Hilfe eilt. | (C) Angela van den Hoogen


Während Portia behauptet, sich zusammen mit ihrer Zofe Nerissa (Rhianna McGreevy) zurückzuziehen und auf die Rückkehr ihres Zukünftigen zu warten, lässt sie sich heimlich von einem Rechtsgelehrten beraten, zieht Männerkleider an und verteidigt als vermeintlich männlicher Advokat den verzweifelten Antonio vor Gericht, ohne erkannt zu werden. Die Gesetzeslage ist eindeutig, der Doge muss Shylock gewähren lassen, nachdem alle Appelle an Shylocks Gnade und selbst das Angebot, ihm die dreifache Schuldsumme zu zahlen, vergebens sind. Shylock hat längst sein Messer gewetzt und setzt es an Antonios Brust an...



Shylock (Sarah Finigan) hat schon das Messer in der Hand, um Antonio (Russell Layton) ein Stück Fleisch aus der Brust zu schneiden. | (C) Angela van den Hoogen


*

Zu Shakespeares Zeit war es Tradition, dass Londoner Schauspieltruppen auch durch das Land zogen. Zu diesem Zweck wurde nun in der Neuzeit die Truppe „Shakespeare's Globe on Tour“ gegründet, die mit ihren Stücken im nachgebildeten Globe Theater in London beginnen und dann auf internationale Tournee gehen. Acht Schauspieler, vier männlich, vier weiblich, die neuerdings drei Stücke aus dem Ärmel schütteln müssen. So erging es auch ihren elisabethanischen Kollegen, die je nach Fürst oder Gönner dessen Lieblingsstück spielen sollten. Im Globe London setzte nun die frisch gebackene Intendantin Michelle Terry noch eine Neuerung obendrauf, denn vier von den Schauspielern sind relative Berufsanfänger und die vier anderen haben schon sehr viel längere Berufserfahrung. So können die Älteren als Mentoren für die Jüngeren dienen, und auch umgekehrt die Älteren Impulse von den Jüngeren erhalten. Die jugendliche Portia wird wirkungsvoll von einer reiferen Frau gespielt und der alte Narr Gobbo von dem jugendlichen Steffan Cennydd. Der extravertierte Gratiano (Colm Gormley) und Shylocks unterdrückte Tochter Jessica (Cynthia Emeagi) sind ebenfalls hervorragend besetzt und alle SchauspielerInnen müssen je nach Talent ein Musikinstrument spielen oder Percussion machen und im Notfall ein Triangel oder Chimes (Harmoniespiel) zum Klingen bringen. Musik wird seit der Eröffnung des Globe Theaters in London grundsätzlich live gespielt. Am Anfang spielt das Ensemble die Jazzsuite Nr. 2 von Schostakowitsch, die weitere Musik wurde vom „Director of Music“ des Globe, Bill Barclay, komponiert. Singen, Tanzen, Fechten, Raufen sind für die Truppe selbstverständlicher Bestandteil ihres Jobs.



Brendan O´Hea nahm sich vor der Vorstellung Zeit für das Publikum. | (C) Helga Fitzner


Brendan O'Hea erklärte in der Einführung, dass er die Schauspieler als Verbindungsglied zwischen dem Stück und dem Publikum sähe. Er setze auf Einfachheit und Klarheit und meint - anders als viele deutsche Regisseure - dass die Zuschauer selbst in der Lage wären, die Stücke zu interpretieren, wenn sie verständlich präsentiert würden. Es wäre wichtig, die Figuren in ihrer Komplexität zu belassen und gerade die offenen Fragen nicht zu begradigen. So übergibt Portia ohne Wimpernzucken Bassanio nicht nur ihr gesamtes Vermögen und ihr Schloss, sondern praktisch auch die Verfügungsgewalt über sich selbst. Dass Frauen damals rechtloser Besitz ihrer Väter und später ihrer Ehemänner waren, kann man schnell selbst herausfinden und schon tauscht man sich über Frauenrechte aus. Das Bankenwesen, Spekulationen und Wucherzinsen sind ein stets aktuelles Thema, wie auch der Rassismus, (gegen Shylock), und religiöse Konflikte (zwischen Judentum und Christentum). Das Dilemma der Rechtsprechung kommt zum Tragen, die nicht für jeden Fall maßgeschneidert sein kann, und im Stück Gefahr läuft, Shylocks Rache an Antonio begünstigen zu müssen. Auch hier erkennt man die Komplexität Shakespeares, denn die als Advokat verkleidete Portia, also eine Frau, rettet am Ende Antonio. Der Doge von Venedig ist selbst nicht ganz frei von Rache, als er verfügt, dass Shylock zum Christentum konvertieren muss, ein vernichtender und grausamer Schlag. In der Inszenierung geht es in diesem Sinne recht mitleidlos zu. Shylock ist bei Shakespeare aber kein reiner Bösewicht, er lässt ihn sich ausführlich über die schlechte Behandlung durch Christen beschweren und gewährt ihm die wunderbare Rede „Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht...“, in der er die Ebenbürtigkeit aller Menschen formuliert. Die wunderbarste Rede ist aber die von Portia als Advokat: „Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang“, in der eloquent Gnade vor Recht gefordert wird. Im großen und ganzen hält das über 420 Jahre alte Stück uns heute noch einen Spiegel in Sachen Materialismus und Konsumismus vor die Nase, der alles andere als angestaubt ist.

Helga Fitzner - 29. Juni 2018
ID 10780
Weitere Infos siehe auch: http://www.shakespeare-festival.de


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