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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Tendenzen vom

rechten Rand

im Herzen

Europas



Eiswind / Hideg szelek im Akademietheater Wien | Foto (C) Reinhard Werner, Burgtheater

Bewertung:    



In ihrem parabelartigen Theaterprojekt Eiswind / Hideg szelek zeigen die Autorin Éva Zabezsinszkij und der Regisseur Árpád Schilling, wie eine Waldhütte in den österreichischen Bergen zur Festung Europa ausgebaut wird. In der Nacht eines Schneesturms treffen hier der deutsche Hochschulprofessor mit DDR-Biografie, Frank (Falk Rockstroh), und seine österreichische Frau Judith (Alexandra Henkel) auf das ungarische Paar Ilona (Lilla Sárosdi) und János (Zsolt Nagy). Ilona ist vor ihrem Mann und den politischen Verhältnissen in Ungarn geflohen und verdingt sich als Haushälterin bei Frank, der ebenfalls in einer Sinnkrise Wien und seinen Job verlassen hat. Ilonas Mann, ein ungarischer Polizist, will seine Frau in die Familie zurückholen und sie an ihre Pflicht als Mutter erinnern. Dazu gesellen sich schließlich noch Franks Frau, eine reiche, emanzipierte Verlegerin, und ihr gemeinsamer Sohn Felix (Martin Vischer), ein etwas labiler, dauerkiffender Schauspieler.

Es treffen hier zwei recht unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. Einerseits eine patriarchale Familientradition in Verbindung mit einer national-konservativen politischen Ausrichtung á la Viktor Orbán - andererseits eine liberal-westliche Haltung, die sich allerdings mit intellektuellem Dünkel schmückt. Zerrüttet sind letztendlich die Beziehungen beider Paare, was sich in den emotional recht angespannten Gesprächen der Eheleute verdeutlicht. Und hier sind es vor allem die Männer, die sich zunächst noch ganz unterschiedlich verhalten. Während der Intellektuelle Frank am liebsten aus seiner kriselnden Ehe und einer beruflichen Sackgasse ausbrechen möchte, ist János jedes Mittel recht, seine abtrünnige Frau zurück zu bekommen, um seinen gewohnten Familienstatus aufrecht zu erhalten.

Auf der Hütte, einem aufgeständerten Quader mit Glasflächen, der nach Schneesturm und Zusammenbruch des Kommunikationsnetzes zur unerreichbaren Exklave wird, kollidieren nun diese unterschiedlichen Interessen relativ ungebremst. Was sich zunächst noch durch männliches Imponiergehabe und in Eifersüchteleien äußert, entwickelt sich bald zu einer perfiden Art der Umerziehung, die János an den Westeuropäern vollzieht. Der starke Mann mit Hang zur Führung will ihnen - wie er es ausdrückt - nur helfen, sich zu finden. Dabei spielen das Gewehr von Frank, eine Rolle Maschendraht und die heraufbeschworene Gefahr von hungrigen Wölfen eine tragende Rolle.

Éva Zabezsinszkij und Árpád Schilling entwerfen hier einen Plot, der nicht ganz frei von Klischees ist, aber dennoch einige interessante Fragen aufwirft. Zum Beispiel die, inwieweit man bereit ist, für die eigene (innere) Sicherheit seine Freiheitsideale zu opfern. Der ehemalige Ossi Frank, der schon zu DDR-Zeiten kein großer Kämpfer war und nur bei der Grabrede für einen alten Freund von Freiheit, der Schlange Wohlstand und dem Aufstand der Sklaven schwadroniert, ergibt sich nach der ersten Begegnung mit den ominösen Wölfen (Statisterie), die die Hütte auf der Suche nach Futter umkreisen, schließlich ziemlich kleinlaut den totalitären Anweisungen von János bei der Befestigung und Verteidigung des Heims. Die Männer sind sich hier schnell dahingehend einig, dass etwas getan werden muss.

Franks Sohn Felix ist da die vielleicht die zwiespältigste Figur des Stücks. Zunächst noch recht ziellos und gleichgültig, lässt er sich erstaunlich schnell, ohne erkennbare Entwicklung, von János manipulieren. Als junger Mensch, dem seine dekadenten Eltern eher als verachtenswert gelten, mag das als Vorbild durchaus stimmig sein. Auch wenn er den eher liberalen Beruf eines darstellenden Künstlers ausübt, ist er nicht vor übertriebenem Redikalismus gefeit. Dass gerade die Erziehung Jugendlicher nicht ganz unwichtig ist, zeigt eine Szene, in der Ilonas und János‘ fünfzehnjähriger Sohn Levente (András Lukács) via Skype zugeschaltet wird. Er ist auf einem Gymnasium für nationale Verteidigung und lernt den Einsatz von Überwachungsmethoden gegen die Feinde des Vaterlands.

Es bleibt allein den Frauen Judith und Ilona überlassen, einen Gegenpart zu den Macho-Allüren der Männer zu geben. Hierbei greift das Stück einerseits zu ungarischen Epen wie das des Nationalhelden János von Sándor Petöfi, das z. B. der nationalistisch eingestellte Regisseur Attila Vidnyánszky zur Eröffnung seiner Intendanz am Ungarischen Nationaltheater in Budapest inszenierte, oder dem titelgebenden Volkslied Eisige Winde wehen. Anderseits wird ein Bezug zu Frauengestalten der antiken Mythologie und der Bibel wie Helena und Judith hergestellt. Die eine galt den Griechen als Störenfried, die andere enthauptete den Tyrannen Holofernes.

„Jedes Volk trägt seinen eigenen latenten, mitunter jedoch ausbrechenden Faschismus in sich“, wird der ungarische Autor und linke Philosoph György Konrád im Programmheft zitiert. Der immer offenere Antisemitismus wäre noch zu ergänzen. Es läuft letztendlich darauf hinaus, dass die deutsch-ungarischen Tendenzen, die vom rechten Rand ins Herz Europas vordringen - wie es im Erklärungstext des Burgtheaters heißt - im Modellraum Hütte (sprich: Festung Europa) sich entsprechend dramatisch zuspitzen und zu eskalieren beginnen. Dass sich die Macher auch auf Ibsen und den österreichischen Filmregisseur Michael Haneke mit seinen Werken Funny Games und Das weiße Band berufen, scheint einleuchtend, spiegelt sich allerdings nur in der szenischen Dramaturgie des Stücks wider, nicht aber in seinen doch recht einfach gestrickten Dialogen. Die Radikalität der Bilder eines Oliver Frljić wird dabei allerdings nicht erreicht. Dennoch ein wichtiger und durchaus gut gemeinter Versuch, die Gespaltenheit Europas in der aktuellen Flüchtlingsdebatte zu verdeutlichen.



Eiswind / Hideg szelek im Akademietheater Wien | Foto (C) Reinhard Werner, Burgtheater

Stefan Bock - 4. Juni 2016
ID 9357
EISWIND / HIDEG SZELEK (Akademietheater Wien, 02.06.2016)
Ein Projekt von Árpád Schilling und Éva Zabezsinszkij

Regie: Árpád Schilling
Bühne und Kostüme: Juli Balázs
Musik: Imre Lichtenberger Bozoki, Karwan Marouf und Moritz Wallmüller
Licht: Peter Bandl
Dramaturgie: Hans Mrak
Mit: Lilla Sárosdi, Falk Rockstroh, Zsolt Nagy, Alexandra Henkel, Martin Vischer, András Lukács sowie Imre Lichtenberger Bozoki, Karwan Marouf und Moritz Wallmüller
Uraufführung am Burgtheater Wien: 25. Mai 2016
Weitere Termine: 8., 25. 6. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.burgtheater.at/


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