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53. THEATERTREFFEN | Berlin, 6. - 22. 5. 2016

Radio-Revue

EFFI BRIEST - ALLERDINGS MIT ANDEREM TEXT UND AUCH ANDERER MELODIE durch das Deutsche Schauspielhaus Hamburg


Bewertung:    



Recht versöhnlich beendete am Freitagabend auf der Seitenbühne der Berliner Festspiele eine kleine, feine und witzige Inszenierung den diesjährigen Reigen der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschsprachigen Theaterraum. Die Auswahl-Jury des Berliner Theatertreffens wird in ihrer Abschlussdiskussion am heutigen Samstag trotzdem Einiges zu erklären haben. Unser Fazit folgt.

*

Clemens Sienknecht, erprobter Musiker aus der Marthaler-Familie, inszeniert schon seit ein paar Jahren, oft zusammen mit seiner Frau, der Regisseurin Barbara Bürk, ganz erfolgreich eigene Musiktheaterabende. Nun haben sie ebenfalls gemeinsam Fontanes großen wilhelminischen Gesellschaftsroman Effi Briest vertheatert: Allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie, wie sie im Untertitel ihrer Inszenierung für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg behaupten.

In Sienknechts Vita liest man, dass er einige Zeit als Klavierspieler tourte und aus der Gala-Kapelle von Vicky Leandros rausgeflogen war. Dafür scheint der Musiker sich jetzt öffentlich rächen zu wollen. Seine musikalische Romanadaption ist eine Radioshow, die sich genüsslich an den besten Songs der 70er, 80er und 90er vergreift. Vor allem die Zeit der Schlaghosen und Fönfrisuren hat es Sienknecht sichtlich angetan. Mit ihm bevölkert ein Team von vier Kollegen (Yorck Dippe, Markus John, Friedrich Paravicini, Michael Wittenborn) und einer Kollegin (Ute Hannig) die zum Studio des Radiosenders „Briest“ umgebaute und mit 70er Jahre-Accessoires und Nippes vollgestellte Bühne.

Das Repertoire der zu Klavier, Gitarre, Violine, Bass, Saxofon und Trompete vorgetragenen Songs reicht von "Sympathy for the devil" von den Rolling Stones über Hits von Frank Sinatra, Queen oder Frank Zappas vieldeutigem "I have been in you" bis zum Hip-Hop-Klassiker "The Sugarhill Gang" von Rapper's Delight. Aber auch Mozarts Requiem aeternam erklingt sehr schön zum traurigen Finale mit Effis frühem Tod. Ansonsten lässt das Radioteam keine Gelegenheit aus, um den Klassiker der Weltliteratur, der Generationen von Schulklassen albträumen ließ, in ein sattes Ironiebad zu legen.

Das wirkt hier aber nie platt und aufgesetzt, sondern hangelt sich witzig, atmosphärisch passend und fast werktreu entlang an Fontanes Plot um (wie schon das Programmheft verspricht): „Lust und Leidenschaft, Verrat und Verhängnis, Eifersucht und Gier, Tod und Verbrechen“. Die sittenstrengen Gebaren und Ansichten des bigotten preußischen Landadels werden hier herrlich überzeichnet und karikiert. Das geht von einer betulichen Runde am Couchtisch, genannt "Stille Tage in Kessin", bei der man einer alten Hörfunkeinspielung des Romans lauscht und splapstigartig die Nadel des Plattenspielers immer weiterscratchen lässt, über eine dramatische Schlittenfahrt in Bademoden bis zur urkomisch steifen Anbahnung des Duells zwischen Prinzipienreiter Baron von Instetten (Markus John) und dem Galan seiner Frau Effi, Major von Crampas (Yorck Dippe).

Durchbrochen und geerdet werden die kleinen Spielszenen ganz im Stile von privaten Radiosendern mit Programm-Jingles, die neue Folgen der Serie "Berühmte Seitensprünge der Weltliteratur" ankündigen, Werbespots für Backmittel senden sowie Wetter- und Verkehrsmeldungen durchsagen. Als einzige Frau auf der Bühne macht Ute Hannig auch im Bikini und Wintermuff eine gute Figur. Die preußische Männerrunde ergeht sich derweil in Posen, kleinen chauvinistischen Seitenhieben, und Michael Wittenborn darf als alter Briest James Browns "This is a Man’s world" und Stevie Wonders "Lately (Oh, I'm a man of many wishes / I hope my premonition misses)" röhren.

Der berühmte Satz des alten Briest: „Das ist ein weites Feld, Luise.“ - Frau von Briest wird von Sienknecht selbst im Hochgeschlossenen gespielt - darf dabei ebenso wenig fehlen, wie das von Instetten antrainierte „O gewiss, wenn ich darf“ der kleinen Tochter Anni, das hier als verzerrter Loop immer wieder vom Band eingeschaltet wird. Eine Fortsetzung soll es dann, wie am Ende mit Graf Wronski und Tolstois Anna Karenina angedroht, auch noch geben. Man darf also gespannt sein.

Und sollte sich tatsächlich jemand fragen: Darf man das mit einem Klassiker machen? Wenn man’s kann. Die Frage, ob so etwas nun unbedingt beim THEATERTREFFEN gezeigt werden muss, erübrigt sich da angesichts des bisher Gezeigten sowieso. Und um einen weiteren Hochkultur-Klassiker (?) der deutschen Literatur zu zitieren: „Das putzt ganz ungemein.“ Vor allem in Berlin.



Effi Briest – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 21. Mai 2016
ID 9323
EFFI BRIEST - ALLERDINGS MIT ANDEREM TEXT UND AUCH ANDERER MELODIE (Haus der Berliner Festspiele, Seitenbühne - 20.05.2016)
Regie: Clemens Sienknecht und Barbara Bürk
Bühne und Kostüme: Anke Grot
Licht: Björn Salzer
Dramaturgie: Sybille Meier
Es spielen: Yorck Dippe, Ute Hannig, Markus John, Friedrich Paravicini, Clemens Sienknecht und Michael Wittenborn
Premiere am Deutschen Schauspielhaus Hamburg war am 19. September 2015
Gastspiel zum Berliner THEATERTREFFEN 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-festspiele.de/theatertreffen


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

THEATERTREFFEN



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