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Rezension

24. Mai 2014 - Deutsches Schauspielhaus Hamburg

DAS GOLDENE VLIES

von Franz Grillparzer


Foto (C) Stefan Bock


Nach dem furiosen Start der Intendanz von Karin Beier am Deutsche Schauspielhaus Hamburg mit den Rasenden legte die Ex-Kölnerin nun mit einer weiteren Antikentrilogie als Übernahme einer an ihrer alten Wirkungsstätte bereits erfolgreich gelaufenen Inszenierung nach. Der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer verknüpfte in seinem dreiteiligen, 1819 uraufgeführten Drama Das Goldene Vlies die bekannte Tragödie Medea des Euripides mit der antiken Argonautensage um den griechischen Helden Jason, der nach Kolchis kommt, um den Tod des Phryxus zu rächen und das Goldene Vlies, das diesem vom König der Kolcher Aietes geraubt wurde, wieder nach Griechenland zu holen. Aktuell hat Grillparzers Trilogie in Bezug auf Fremdenhass und Flüchtlingselend wieder Konjunktur. Das Hauptaugenmerk vieler RegisseurInnen liegt aber zumeist eher auf der Medea als psychologisches Drama einer Mutter, der nach dem Verrat ihrer großen Liebe Jason auch noch die Kinder genommen werden sollen.

So auch bei Karin Beier. Sie lässt zwar auch die vollständige Trilogie spielen, handelt aber die Dramenteile Der Gastfreund und Die Argonauten recht kurz und hölzern archaisch ab. Auf weiß eingeschlagenem Gefiert agieren die Schauspieler mit großen Pappmasken vor den Gesichtern, wie wir es bereits schon in der Iphigenie beim Auftaktmarathon mit den Rasenden zu sehen bekamen. Die so eindimensionale Mimik wird durch expressive Gesten und Körpereinsatz wettgemacht. König Aietes (Manfred Zapatka) wittert fette Beute und will dem auf Kolchis Schutz suchenden Griechen Phryxus (Carlo Ljubek) das Golden Vlies - ein recht verblichener Lappen am Stiel - abjagen. Dafür umschmeichelt er erst seine Tochter Medea (Maria Schrader) um Rat und Beistand und befielt ihr dann, als sich die Unheil Fürchtende zu entziehen versucht. Phrixos, der sich auf die Gastfreundschaft der Kolcher beruft, wird als Fremder und angeblicher Tempelräuber (das Vlies hatte er als Gabe des Kolchergottes Perento in Delphi erhalten) verfemt und aus Gier getötet. Im Sterben verflucht er die gesamte Sippe des Aietes. Dazu schrammt die am Rande hockende Sue Schlotte bedrohliche Töne auf ihrem Cello.

Nach diesem kurzen Vorspiel treten die gleichen Schauspieler wieder in weißen Hemden und schwarzen Hosen auf, nun allerdings ohne Masken. Es entspinnt sich sogleich eine in ihren Grundzügen ganz ähnliche Situation wie zu Beginn des Gasfreunds. Wieder ist es Aietes, der auf Krieg gegen die griechischen Eindringlinge drängt und Medea, die den bereits in Händen haltenden Gifttrunk nicht an Jason ausgeben kann. Sie verliebt sich sofort in den Griechen, und beide ringen nun in einer Art Kampfchoreografie um Liebe, Macht und Vlies. Ungestümer nur noch der jüngere Bruder Medeas, Absyrtos, der zuvor als Kind mit großem Maskenkopf untätig alles mit ansehen musste. Seinen vollen Körpereinsatz für das Vlies bezahlt der Rasende schließlich mit dem Leben. Absyrtos erdolcht sich selbst als Geisel des Jason. Angelika Richter (für die nun am konkurrierenden Thalia Theater spielende Patrycia Ziolkowska eingesprungen) spielt ihn als trotzigen, fanatisierten Jüngling. Vom Vater ob des Verrats verflucht und verbannt, beschließt Medea den Argonauten-Teil mit einem düsteren Ausblick auf das weitere Leben mit Jason: „Ein Haus, ein Leib, ein Verderben.“

So weit, so pathetisch. Nach diesem kurzen aber starken Auftakt, der die Vorgeschichte für das folgende, bittere Ende liefert, schlafft der müde Krieger Jason, nun im zivilisierten Business-Kurzmantel, ebenso ab, wie die bisher rasante Inszenierung an Fahrt verliert. Karin Beier nimmt das Tempo nach der Pause raus und setzt nun ganz auf die Kraft des Wortes. Und das hat es in den messerscharfen Versen Grillparzers in sich. Es geht nun ganz heutig psychologisierend weiter. Schon Grillparzer legte hier das Augenmerk auf Mitleid und nicht auf die Rache der verlassenen Mutter und Ehefrau. Ein Psychogramm innerer Verletzungen, die tiefer gehen als jedes Griechen oder Barbaren Schwert. Medea, die die Vergangenheit hinter sich lassen und, ihrem Gatten folgend, beider Schicksal annimmt, wird bitter enttäuscht. Jason hadert ob der „verpesteten Gemeinschaft“ mit Medea, derentwillen er nun Bittsteller am Hofe Kreons geworden ist. „Wir sind hier unter Menschen“, ist seine einfach Erklärung für die Ablehnung der Griechen gegenüber der Fremden.

Kreon, König von Korinth, den Manfred Zapatka nun als ganz kühl berechnenden Herrscher in Uniform gibt, macht deutlich klar, dass nur Jason, aber nicht Medea hier willkommen ist. Die Zuneigung, die ihr seine Tochter Kreusa (Angelika Richter) entgegen bringt, ist von gutwillig missionarischer Art. Sie singt mit den Kindern Lieder, gibt ihnen Eis und der Mutter mit dem „Barbarennamen“ Cellostunden. Allein den Vorsprung an gemeinsamen Jugenderinnerungen zwischen Jason und Kreusa kann Medea nicht aufholen. In die Enge getrieben, geht erst das Cello zu Bruch und dann der Glaube an die Liebe Jasons. Nachdem der Plan Kreons, Jason zum Schwiegersohn zu machen, um ihn und das Vlies an Korinth zu binden, gefasst ist, gilt der Verbannten nur noch so lange Schutz, bis sich Kreon des Vlieses sicher glaubt.

Jason schwenkt nur allzu bereitwillig auf die Linie Kreons ein und demütigt Medea, die um ihre Kinder bittet. Als selbst diese ihr, vor die Wahl gestellt, die Liebe versagen, ist die Verzweiflung auf dem Höhepunkt und das Opfer erst zur Tat bereit. „Die Welt, eine leere Wüste ohne Kinder, ohne Gemahl.“ Die Folgen für Kreusa, Kreon, Medeas Kinder und Jason selbst sind bekannt. Was Kreon und Jason hier antreibt, ist natürlich vor allem auch politisches Kalkül. Es ist reines Machtdenken, das die beiden Frauen zu Konkurrentinnen und zusammen mit den Kindern zu Spielbällen der Männer macht. Karin Beier bricht das leider auf eine fast rein familiäre Tragödie herunter. Der hohe Ton der Schrader als betrogene Ehefrau Medea kulminiert im großen schmerbeladenen Schlussmonolog, nachdem sie von ihrer Verzweiflungstat an den Kindern blutbeschmiert wieder an die Rampe tritt. Glück und Ruhm sind nur noch Schatten, der Traum davon ist aus. „Allein die Nacht noch nicht.“ Sehr rührend und um Mitgefühl heischend geht dieser Grillparzer-Abend zu Ende, der doch so vieles mehr sein könnte, als nur ein Fest der hohen Schauspielkunst. Der Appell an die kollektive Einfühlung stößt doch auch ein wenig unangenehm auf. Trotz allem verdienter Beifall und Bravorufe für die Darsteller.




Schlussapplaus zum Goldenen Vlies am DeutschenSchauspielHausHamburg - Foto (C) Stefan Bock



Bewertung:    



Stefan Bock - 27. Mai 2014
ID 7862
DAS GOLDENE VLIES (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 24.05.2014)
Regie: Karin Beier
Bühne: Jens Kilian
Kostüme: Johanna Pfau
Licht: Johan Delaere
Musik: Wolfgang Siuda
Choreografie: Valenti Rocamora i Tora
Dramaturgie: Rita Thiele
Mit: Maria Schrader, Angelika Richter, Carlo Ljubek, Manfred Zapatka und Sue Schlotte am Cello
Premiere im Schauspiel Köln war am 15. Mai 2008
Hamburger Premiere: 10. 5. 2014
Weitere Termine: 20. 6. / 2. 7. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielhaus.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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