Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Sommertheater

Bis das Portal schief hängt und die Stühle durcheinander wirbeln



Shakespeares Sonette mit dem Ton und Kirschen Wandertheater | Foto (C) Jean-Pierre Estournet

Bewertung:    



Im 400. Todesjahr des elisabethanischen Dichter-Genies hat sich das Ton und Kirschen Wandertheater mal wieder einen Shakespeare vorgenommen. Allerdings nicht eines seiner vielgespielten Dramen. Die internationale Theatertruppe um Margarete Biereye und David Johnston aus dem brandenburgischen Glindow stellen in einem musikalischen Reigen Shakespeares Sonette auf ihre kleine Holzbühne. Seit gestern ist das Stück nun für vier Tage zu Gast in der Berliner ufaFabrik.

Es passt ganz gut zum Konzept von Ton und Kirschen, dichtete doch Shakespeare seine 154 Sonette, während er mit seinem Wandertheater auf Tour durch England war. Ganz im Sinne der Renaissance-Minne schrieb Shakespeare über Liebe, Leidenschaft, Herzschmerz und die Vergänglichkeit des Lebens. Die hochpoetischen Verse richten sich mal an eine geheimnisvolle Dark Lady, mal an einen jungen Burschen, sind sexuell ambivalent und viel interpretiert. Es gibt sie auch in deutscher Übersetzung, an der sich schon so mancher nicht ganz unbekannte Dichter versuchte.

Auch wenn David Johnston mal schellmisch androht, an diesem Abend alle 154 Sonette vorzusingen, hat sich das Ensemble lediglich für 36 entschieden, die in gewohnter Art mittels Schauspiel, Pantomime, Marionetten- und Maskentheater dargeboten werden. Am Rand der Bühne ist ein kleines Orchester aufgebaut mit Miniaturpiano, Saiten- und Blasinstrumenten, auf denen die DarstellerInnen abwechselnd spielen. Erfrischend vielseitig ist das Repertoire, man hört gleichsam spanische Gitarre und Renaissance-Musik wie auch leise Balladen, Blues oder auch mal Country-Song.

So international das Ensemble und der sie begleitende Sound, so vielsprachig ist die Textdarbietung, die in Deutsch, Englisch, als Irish-Song oder im feurigen Spanisch des Kolumbianers Nelson Leon daherkommt. Inhaltlich geht es viel um die schon erwähnte Vergänglichkeit der Liebe und des Lebens. Als Symbol vergehender Zeit verrinnt zu melancholischen Versen und Gesten viel Sand auf der Bühne, bis zwei komische Alte wie Felix und Oscar aus Ein seltsames Paar im Slapstick mit Rollator um die Gunst einer nicht minderalten Frau konkurrieren. Ein Zeichen, dass die Liebe nimmer enden mag, wenn auch das Leben kurz ist, verewigt nur in der Poesie des geschriebenen Wortes.

Die Metaphorik der Verse könnte [wie einst bei Robert Willson am Berliner Ensemble] zu einer bunten Bilderparade verleiten. Ton und Kirschen nehmen es mal poetisch getragen, musikalisch satt mit Blaskapelle, oder locker ironisch, etwa als Reise nach Jerusalem bei einem gemischten Stuhlballett. Auch vor Kitsch schreckt man nicht zurück, was in seiner Offensichtlichkeit aber immer witzig bleibt wie eine barocke Amor-Putte, die über die Bühne fliegt und ihre Liebespfeile verschießt.

Ein Totenschädel und ein Geisterkopf im Aquarium erscheinen, zwei herrenlose Schuhe schieben sich über die Bühne. Man huldigt dem Zauber wie der Verrücktheit der Liebe, der Rose als Sinnbild der Schönheit, die dennoch verblüht: „Leb wohl du köstlicher Besitz.“ „Ich bin was ich bin“ rezitiert ein Mann mit Tigerkopf und Kleid, und im Sonette 66 wird über Falschheit und Täuschung geklagt: „Und Tugend wird zur Hure frech gemacht ... / Und Kunst das Maul gestopft ...“ Shakespeares Reflexionen seiner Zeit haben nichts an Aktualität verloren.

Die Bühne erzittert in Sturm der Verse und Musik, bis das Portal schief hängt und die Stühle durcheinander wirbeln. Jedoch: „Die Lieb ist Liebe nicht, / Die schwankend wird, schwankt unter ihr der Grund, / Und schon an einem Treuebruch zerbricht. / Sie ist die Boje, die kein Sturm versenkt, / Die unerschüttert steht im Zeitenstrom“ (in der verwendeten Übersetzung von Christa Schwenke.)

Ton und Kirschen gelingt mit ihrer ganz persönlichen Interpretation von Shakespeares Sonetten ein über weite Strecken sinnlicher und kurzweiliger Abend. Könnte man hier und da noch etwas an der Akustik feilen, wäre es ein ganz und gar gelungenes Stück Sommertheater.



Shakespeares Sonette mit dem Ton und Kirschen Wandertheater | Foto (C) Jean-Pierre Estournet

Stefan Bock - 25. August 2016
ID 9502
SHAKESPEARES SONETTE (ufaFabrik Berlin, 24.08.2016)
Von und mit: Margarete Biereye, Polina Borissova, Regis Gergouin, Richard Henschel, David Johnston, Steve Johnston, Rob Wyn Jones, Nelson Leon und Daisy Watkiss
Künstlerische Leitung: Margarete Biereye und David Johnston
Potsdamer Premiere war am 13. Oktober 2015
Weitere Berliner Termine: 25. - 27. 8. 2016
Ton und Kirschen Wandertheater


Weitere Infos siehe auch: http://tonundkirschen.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)