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Das Schiff der Träume von Federico Fellini - hübsch inszeniert von Jan Gehler am Staatsschauspiel Dresden



Fellinis Das Schiff der Träume am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



Federicos Fellinis Film Das Schiff der Träume (E la nave va), dieser große poetische Tanz auf dem kurz vor dem Ausbruch stehenden Vulkan Europa, bei dem eine dekadente Gesellschaft aus Künstlern, Verehrern und österreich-ungarischen Aristokraten im Sommer 1914 die Asche einer verstorbenen Operndiva bei einer Fahrt mit dem Luxusliner „Gloria N.“ im Mittelmeer verstreuen will und dabei auf schiffbrüchige Serben trifft, ist seit der aktuellen europäischen Flüchtlingskrise bei den Theaterschaffenden scheinbar wieder auf großes Interesse gestoßen. Erst kürzlich konfrontierte Karin Beier in ihrer recht freien Adaption am Deutschen Schauspielhaus Hamburg die in melancholische Agonie verfallene Schiffsbesatzung mit einer Schar afrikanischer Künstler, die den leckgeschlagenen Dampfer mit Tanz, Rap und coolen Sprüchen wieder auf Vordermann bringen wollte.

Dagegen hält sich Regisseur Jan Gehler bei seiner Bühnenversion am Staatsschauspiel Dresden relativ genau an Fellinis Filmplot und lässt die wichtigsten Figuren gleich zu Beginn nach kurzen Einführung zu einer in Sepia-Licht getauchten, stummfilmreifen Parade vor dem Eisernen Vorhang auftreten. Das Dresdner Ensemble steckt dabei in glanzvollen historischen Kostümen und trällert den titelgebenden Song E la nave va (Ein Schiff fährt vorbei), während die Urne der toten Sopranistin Edmea Tetua feierlich an Bord getragen wird.

Nachdem sich der Vorhang gehoben hat, sieht man ein in drei Ebenen geteiltes Bühnengerüst mit Oberdeck, Salon und niedrigem Unterdeck, auf dem sich Koch (Kilian Land) und Köchin (Lou Strenger) in gebückter Haltung umherwuselnd um das leibliche Wohl der Passagiere oben bemühen und ein Klavierspieler (Sven Kaiser) für den passend mondänen Soundtrack sorgt. Auch hierbei ist man wie schon bei Fellini ganz der vergangen Kunst des Stummfilms verpflichtet. Als personifizierte Hommage an Charly Chaplin trippelt Kilian Land als Stummfilmkomiker Ricotin, der doch auch als richtiger Schauspieler ernstgenommen werden möchte. Es wird viel und schön gesungen. Dabei kommt es zu einigen recht hübsch nachgestellten bzw. geringfügig variierten Szenen des Films - wie einem Blaskonzert auf Flaschen, dem Hypnotisieren des Kochs durch Gesang, bei dem er wie ein Huhn zu gackern beginnt und natürlich schwebt auch ein Nashorn vorbei.

Jan Gehler konzentriert sich auf das kunstschaffende Personal des Films wie den eitlen Tenor Aureliano Fuzziletto (Jan Maak), die Mezzosopranistin Ines Ruffo Saltini (Anna-Katharina Muck), den Generalintendanten Reginald Dongby (Thomas Eisen) nebst lasziver Ehefrau Lady Violett (Yohanna Schwertfeger), die auch als Medium zu den Toten fungiert, und die geheimnisvoll verschleierte Wagner-Sopranistin Ildebranda Cuffario in Gestalt von André Kaczmarczyk, der auch den glühenden Opernliebhaber Conte di Bassano spielt. Komplettiert wird die Künstlergilde durch den dicklichen österreichischen Großherzog (Meik von Severen) und seine blinde Schwester Prinzessin Lerinia (Lou Strenger), die ähnlich wie im Film Gesangstöne mit Farben assoziieren kann.

Neben den bekannten Filmnummern spielen sich zwischen den ProtagonistInnen jede Menge Eitelkeiten, Intrigen und Eifersüchteleien ab. Hat man sich nicht in den Haaren, wird über die wegen Übersetzungsschwierigkeiten missverständliche großherzögliche Allegorie zur internationalen Lage sinniert oder über das Prinzip Hoffnung und die Frage "Was ist denn eigentlich ein Mensch?" philosophiert. Eine weltfremde, manierierte Blase schwärmt von der Sangeskunst der verblichenen Diva, probt ihr zu Ehren ein Totenoratorium und starrt melancholisch den Mond an.

Das ist sicher beabsichtigt, um die nötige Fallhöhe zu den aus Seenot geretteten Schiffbrüchigen zu erreichen, allerdings wartet man doch etwas lang auf den Umschwung, der urplötzlich mit Schiffsirene und dem Aufritt einer Gruppe von Kinderdarstellern erfolgt, die sich sofort unter die Passagiere mischen und klammernd Schutz suchen. Ein geschickter Schachzug, der auf Wirkung inszeniert ist, um die sich sofort breitmachenden Ressentiments und Sicherheitsbedenken der honorigen Luxus-Passagiere auch aus heutiger Sicht ad Absurdum zu führen. Die unbedingte Schutzbedürftigkeit von Kriegsflüchtlingen wird so künstlich überhöht deutlich, ohne sich authentisch echter Geflüchteter bedienen zu müssen.

Allerdings grenzt das Ganze selbst oder auch gerade wegen der äußerst kunstvollen Schauspiel- und Sangeskünste etwas an Kitsch; und die inszenatorische und dramaturgische Vereinfachung der Flüchtlinge zum Kinderchor wirkt im Angesicht der aktuell einströmenden medialen Bilderflut doch etwas zu banal. Und man kann sich fragen, was heute schöner oder abstruser erscheint: Auf der Bühne Kunst und Flüchtlingsnot zu verknüpfen oder in der Realität die Flüchtenden gemäß dem Gebot der Menschlichkeit aus Seenot zu retten, nachdem man ihnen vorher die Fluchtwege abgeschnitten hat.

In Dresden macht man sich darüber weniger Gedanken und lässt, nachdem der samtene Vorhang runtergerissen ist und den Rost des blanken Schiffsgerippes zeigt, die Kyrie eleison (Herr, erbarme dich!) singende Künstlerbagage untergehen. Ein durchaus unterhaltsamer Theaterabend, der sehr schön anzuschauen, aber auch recht folgenlos ist, da ja zumindest die Passagiere der „Gloria N.“ wie auch im Film gerettet werden. E la nave va. Und die Flüchtlingsboote und Luxusliner fahren weiter.



Fellinis Das Schiff der Träume am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 29. März 2016
ID 9222
DAS SCHIFF DER TRÄUME - E LA NAVE VA (Staatsschauspiel Dresden, 26.03.2016)
Regie: Jan Gehler
Bühne: Sabrina Rox
Kostüm: Irène Favre de Lucascaz
Musik: Sven Kaiser
Licht: Jürgen Borsdorf
Dramaturgie: Beret Evensen
Besetzung:
Sir Reginald Dongby, Generalintendant ... Thomas Eisen
Lady Violet, Sir Reginald Dongbys Frau ... Yohanna Schwertfeger
Ricotin, Stummfilmkomiker / Koch ... Kilian Land
Aureliano Fuciletto, Tenor ... Jan Maak
Ines Ruffo Saltini, Mezzosopranistin ... Anna-Katharina Muck
Ildebranda Cuffari, Sopranistin / Conte di Bassano ... André Kaczmarczyk
Großherzog / Geistlicher ... Meik van Severen
Prinzessin Lerinia, Schwester des Großherzogs / Köchin ... Lou Strenger
Kapitän ... Sven Kaiser
Serbische Flüchtlinge ... Hilde Alice Behrens, Darnell Donat, Gloria Gruß, Mathilda Kaufhold, Konrad Neidhardt, Carlotta Panico, Ella Rox, Finn Seidel, Paul Terpe, Arthur Leo Weinhold und Mira Fanny Weinhold
Premiere im Schauspielhaus war am 19. März 2016
Weitere Termine: 2., 7., 30. 4. / 3. 5. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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