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Faust I am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

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Schulpflichtlektüre auf dem Spielplan städtischer Bühnen ist oft lukrativ – lockt sie doch ganze Schulklassen ins Theater. Mit einem jüngeren Publikum erschließt sich ein nur wenig theatererfahrener Zuschauerkreis, den es durch eine besondere Form der Ansprache zu unterhalten gilt. Wenn Inszenierungen von Klassikern wie Goethes Faust dann auch noch signifikant von der Vorlage abweichen, kann dies durchaus ein Plus sein. Immerhin ergibt sich so Diskussionspotential für den Unterricht und vielleicht sogar die eine oder andere neue Fragestellung für Klassenarbeiten. Nicht immer gelingt es jedoch, einem schwergewichtigen literarischen Klassiker durch moderne Akzentsetzungen neues Leben auf der Bühne einzuhauchen. Während etwa [zum Vergleich] die temporeiche Zürcher Inszenierung Faust 1-3 des Tschechen Dušan David Pařízek insbesondere auch durch Elfriede Jelineks Sekundärdrama Faust - In and Out begeisterte, hinterlässt Alice Buddebergs oft laute und albern-groteske Bonner Inszenierung einen ratlos.

In Pařízeks Umsetzung gibt es gleich drei Gretchen, die weggesperrt werden, bevor sie Faust begegnen dürfen. In den Bad Godesberger Kammerspielen agieren hingegen drei Mephistos auf der Bühne, die alle unterschiedliche Facetten Fausts verkörpern. Die Mephisto-Gestalten erscheinen während der Inszenierung auch noch als andere Figuren, was mitunter für zusätzliche Verwirrung sorgt. Austauschbar und offensichtlich auch schizoid scheint Faust in der postmodern-schnelllebigen Jetztzeit angekommen. Er verkörpert mehr Lethargie als Wissbegierde. Verzweifelt ist er ein Getriebener, der stets nur das begehrt, was ihm verwehrt bleibt. Der poetische und sogenannte hohe Ton Goethes kommt bei Faust-Darsteller Glenn Goltz kaum zur Geltung, da er die Verse meist hastig und ohne nennenswerte Intonation spricht. Auch bei seinen Alter Egos spürt man wenig von der pathetisch-eleganten Sprachgewalt Goethes. Insbesondere Johanna Falckner, die als weibliche Verkörperung Mephistos den größten Textanteil hat, ruft die Verse oft schnoddrig und schwer verständlich oder im übertriebenen Gestus aus. Viele Szenen des Dramas wurden ohnehin gestrichen und neben Popsongs und Neudeutsch werden auch andere Autoren wie Heinrich von Kleist oder Eduard Mörike bemüht, um Spannung zu erzeugen. Es fällt sehr schwer, die Gedanken- und Gefühlswelten der Figuren nachzuvollziehen. Faust, immerhin eines der bekanntesten Meisterwerke der Weltliteratur, bietet zahlreiche poetische Akzente, die jedoch Buddebergs Adaptation zur Gänze missen lässt.

Wenn Mareike Hein als Gretchen mit der Tötung ihres Kindes hadert und zusehends ihren Verstand zu verlieren droht, herrscht auf der Bühne minutenlang betretenes Schweigen, obwohl Faust und seine Mephisto-Begleiter als Beobachter anwesend sind. Dieser Moment des absoluten Stillstandes erscheint reichlich übertrieben, ebenso wie wiederholte Nacktszenen, bei denen die Zuschauer verschiedener Geschlechtsteile ansichtig werden. Johann Wolfgang von Goethe beschäftigte sich nicht nur literarisch, sondern auch als Jurist mit Kindestötungen und der Verurteilung von sogenannten Kindesmörderinnen. Bei einem Kindesmord-Fall vom 11. April 1783 empfahl Goethe gegenüber dem unentschlossenen Richter das Todesurteil für die Täterin Johanna Catharina Höhn. Die junge Frau wurde daraufhin öffentlich hingerichtet. Wenig erstaunlich ist deshalb, dass Buddeberg auch für Goethe und sein Hauptwerk keine mildernden Umstände walten lässt. Sie verlagert den quälend schmerzvollen Schwerpunkt des Dramas auf die Gretchentragödie. Immerhin stirbt bei Buddeberg schlussendlich nicht Gretchen sondern Faust. Eine weitere provokante Änderung der Vorlage, die zahlreiche Fragen aufwirft, ohne Antworten zu geben. Buddebergs Adaptation fehlt es sichtlich an einer schlüssigen Deutung, Tempo und Esprit.



Faust I am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 19. Februar 2017
ID 9852
FAUST I (Kammerspiele Bad Godesberg, 16.02.2017)
Regie: Alice Buddeberg
Bühne: Cora Saller
Kostüme: Martina Küster
Licht: Max Karbe
Video: Lars Figge
Musik: Stefan Paul Goetsch
Dramaturgie: Johanna Vater
Besetzung:
Faust … Glenn Goltz
Gretchen … Mareike Hein
Mephisto … Daniel Breitfelder, Johanna Falckner und Wolfgang Rüter
Premiere am Theater Bonn: 17. April 2015
Letzter Termin: 24. März 2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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