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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Sentimental und

historisierend

inszeniert



Drei Schwestern am BE | Foto (C) Lucie Jansch

Bewertung:    



Die Figuren aus Anton Tschechows Tragikomödie Drei Schwestern sind, obwohl sie ständig über die Zukunft reden, hoffnungslose Nostalgiker. So hängen die Schwestern Olga, Mascha und Irina an ihrer schönen Kindheit in Moskau und wünschen sich ständig wieder dahin zurück, da die Gegenwart auf dem Land, wohin der jüngst verstorbene Vater und Brigadegeneral Prosorow vor elf Jahren versetzt wurde, alles andere als Glück verheißt. Und Glücklichsein ist das, was hier alle um jeden Preis wollen, aber einfach nicht können. Dass das trotz allem auch komisch sein kann, liegt wohl gerade auch in der Tragik des Unabänderlichen und an der Diskrepanz von dem, was die Figuren sagen und dem, was sie tatsächlich tun. Ansonsten schaut man ihnen nur beim schmerzvollen Vergehen von Zeit zu. Der sehnsüchtige Blick in eine bessere Zukunft bleibt da immer auch ein Rückblick in die Vergangenheit.

Und so inszeniert denn Leander Haußmann seinen ersten Tschechow fürs Berliner Ensemble auch in einem stark historisierenden Bühnenbild (von Lothar Holler), in dem der Putz abblättert. Das erinnert etwas an die sehr naturalistische Platonov-Inszenierung des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis, dem Haußmann jüngst in einem Artikel in der WELT beisprang, als man ihn im deutschen Feuilleton für seine ablehnenden Äußerungen zum Umgang mit Flüchtlingen an hiesigen Theatern geißelte. Wohlgemerkt stellte sich Leander Haußmann nicht inhaltlich an die Seite von Hermanis. Er nutzte seine solidarische Note aber für eine Philippika auf das gute alte Theater als Ort, „an dem die Gegenwart auch mal Hausverbot hat“. Nun ja, so in etwa wird am Haus von Claus Peymann schon seit Längerem inszeniert. Nur hatte man nach den letzten Regiearbeiten Haußmanns nicht unbedingt den Eindruck, dass er sich stilistisch da einreihen wollte. Das ist ihm nun aber, muss man konstatieren, mit seiner Inszenierung der Drei Schwestern [Premiere war am 17. Dezember 2015] bestens gelungen.

Tatsächlich gibt es sogar mal wieder einen Vorhang. Nur dass der hier nicht, wie Haußmann eigentlich meint, „den Blick für das andere, das Abgehobene, das Undenkbare freigibt“, sondern eher auf eine Welt von gestern, auf die der Regisseur mit heutigem Wissen, viel Verständnis und milder Ironie schaut. Man fühlt sich zu Beginn in den Namenstag-Szenen sogar wie in eine Schaubühnen-Inszenierung von Peter Stein versetzt, in der es noch nach Birken riechen durfte und man den SchauspielerInnen die Gefühle buchstäblich von den Lippen ablesen konnte. Nur übertreiben es hier am BE die Damen ein wenig mit der Gestik und scheinen die Herren Offiziere allesamt einen Stock verschluckt zu haben. Es wird angestrengt geplaudert, die Uhr schlägt laut, und ein Kreisel brummt, während die Gesellschaft kurz erstarrend zuschaut. Über allem hängt eine künstliche Melancholie.

Nun muss man der Fairness halber noch erwähnen, dass es in der rezensierten Vorstellung eine nicht unerhebliche Umbesetzung gab. Für den kurzfristig erkrankten Uwe Bohm (Darsteller des Oberstleutnant Werschinin) sprang mutig in voller Montur der Regisseur selbst ein. Leander Haußmann gibt den neuen Batteriechef zunächst ein wenig nachdenklich zurückhaltend. Dessen vollmundige Sätze von der Zeit in 200 bis 300 Jahren wirken da so, als wenn er selbst nicht wirklich daran glauben würde. Den zerknirschten Ehemann hat er dann wieder ganz gut drauf. Und in den schließlich recht leidenschaftlichen Szenen mit Mascha (Antonia Bill), in denen auch mal das Bild des Generals von der Wand fällt, scheint er dann endlich in die Figur hinein gefunden zu haben. Ob es Uwe Bohm anders oder gar besser machen würde, ist da reine Spekulation.

Haußmanns Interesse als Regisseurs liegt dann auch eher bei den Schwestern. Das Dreigestirn ist in Schwarz für die beiden Älteren und Weiß für die Jüngste (Irina) geteilt. Während die Männer schwadronierende (Matthias Mosbach als Baron Tusenbach), dumpfe (Georgios Tsivanoglou als Hauptmann Soljony) oder komische (Raphael Dwinger und Luca Schaub als Unterleutnants Fedotik und Rode) Staffage bleiben, bekommen Irina (Karla Sengteller), Mascha und Olga (Laura Tratnik) immer wieder ein paar kurze Ausbruchsszenen aus der allgemeinen Lethargie. Wobei Olga viel am Jammern ist und Irina zwischen Trotzköpfchen und Heulsuse schwankt. Minutenlang muss sie ins Publikum starren. Mascha neigt dagegen zu besonders spontanen Gefühlsregungen und küsst dabei auch mal leidenschaftlich ihren Mann, den langweiligen Lehrer Kulygin (Boris Jacoby). Als Haußmanns Werschinin zum Abschied wie John Wayne mit dem Sattel in der Hand auftaucht, beginnt Mascha verzweifelt zu klammern. Der Blick der drei Frauen geht am Ende wieder zurück. Ein Kinderkarussell dreht sich mit ihnen. Ein Klavier klimpert sanft.

Der aufkommende Sturm der Zukunft, den der Hobbyphilosoph Werschinin herbeireden will, kommt hier nur zwischen den Akten durch die Seitentüren mit der Windmaschine und ein paar frischen russischen Akkordeonklängen von Musiker Atanas Georgiev. Der Rest bleibt laues Lüftchen - wie auch die darstellerischen Leistungen des Ensembles, das man noch nie so verloren gesehen hat. Besonders auffällig ist das bei Peter Miklusz als Bruder Andrej und Anna Graenzer als seine Frau Natascha, die hier reine Witzfiguren geben müssen. Sehr eindimensional auch der Doktor Tschebutykin von Axel Werner, dem nur ein kurzer Verzweiflungsausbruch im Suff gegönnt ist. Geradezu verschenkt sind Gudrun Ritter als alte Kinderfrau Anfissa und Martin Seifert als schwerhöriger Bote Ferapont. Leander Haußmann ist erstaunlich wenig eingefallen. Er ist so unentschlossen wie seine Tschechow-Figuren. Der Abend fällt, wohl auch gewollt, weit hinter andere heutige Inszenierungen des Stücks zurück. Da kommt doch leider auch viel Langeweile auf.



Drei Schwestern am BE | Foto (C) Lucie Jansch

Stefan Bock - 7. Januar 2016 (2)
ID 9060
DREI SCHWESTERN (Berliner Ensemble, 04.01.2016)
Regie: Leander Haußmann
Bühne: Lothar Holler
Kostüme: Janina Brinkmann
Dramaturgie: Steffen Sünkel
Licht: Ulrich Eh
Mit: Peter Miklusz (Andrej Sergejewitsch Prosorow), Anna Graenzer (Natalja Iwanowna, seine Verlobte, später seine Frau), Laura Tratnik (Olga, seine Schwester), Antonia Bill (Mascha, seine Schwester), Karla Sengteller (Irina, seine Schwester), Boris Jacoby (Fjodor Iljitsch Kulygin, Lehrer, Maschas Mann), Leander Haußmann (Alexander Ignatjewitsch Werschinin, Oberstleutnant, Batteriechef), Matthias Mosbach (Nikolai Lwowitsch Tusenbach, Baron, Leutnant), Georgios Tsivanoglou (Wassili Wassiljewitsch Soljony, Hauptmann des Stabes), Axel Werner (Iwan Romanowitsch Tschebutykin, Armeearzt), Raphael Dwinger (Alexej Petrowitsch Fedotik, Unterleutnant), Luca Schaub (Wladimir Karlowitsch Rode, Unterleutnant), Martin Seifert (Ferapont, Bote der Landverwaltung, ein alter Mann), Gudrun Ritter (Anfissa, Kinderfrau, 80 Jahre alt) und Atanas Georgiev (Akkordeon)
Premiere war am 17. Dezember 2015
Weitere Termine: 14., 20., 27. 1 / 7. 2. 2016

Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-ensemble.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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