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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Kapitulation,

aus persönlichen

Gründen



Houellebecq´s Unterwerfung am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Baltzer

Bewertung:    



Eine ausführliche Nacherzählung des Romans [Unterwerfung von Michel Houllebecq] ist hier nicht notwendig. Zwar ist dieser erst ein gutes Jahr alt, seine provokative Grundidee aber fast schon Allgemeingut: Bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich im Jahre 2022 gelangt eine muslimische Partei an die Macht, mit Hilfe der etablierten Parteien „der Mitte“, die den drohenden Sieg des Front National verhindern wollen. Was dies für die Gesellschaft bedeuten kann, wird am Beispiel eines midlifekriselnden Literaturprofessors abgehandelt.

Wie realitätsnah ein solcher Ansatz ist, muss sicher in Frankreich und hierzulande unterschiedlich diskutiert werden, aber darum geht es auch gar nicht. Houllebecq will – für mich – mit seinem Buch nicht vordergründig auf eine drohende Islamisierung hinweisen, sondern beschreibt exemplarisch das Verhalten von Menschen in Umbruchsituationen, ihre Verführbarkeit und vor allem Korrumpierbarkeit.

François lehrt Literatur an der Sorbonne und fühlt sich durch die Begleitumstände der Machtübernahme vor allem in seiner Routine gestört, die aus lustlos-routiniert gehaltenen Vorlesungen und der dabei erfolgenden Auswahl der Semesterfreundinnen besteht. Mit Menschen hat er’s generell nicht so, nur die Jüdin Myriam kann in ihm eine emotionale Regung wecken. Doch als sie mit ihrer Familie wegen der befürchteten Islamisierung Frankreichs nach Israel ausreist, ist er nicht in der Lage, sie zu halten oder ihr zu folgen. Sein Leben plätschert weiter vor sich hin, nur kurzzeitig „emigriert“ er in den Wirren des Umsturzes aufs Land. Zu seinem Verdruss ist bei seiner Rückkehr sein Parkplatz besetzt, und die nunmehr muslimische Sorbonne bleibt ihm auch verschlossen, was ihm allerdings mit einer üppigen Pension versüßt wird. Die folgende Sinnsuche beschränkt sich auf die Buchung verschiedener Escort-Dienstleistungen, jedoch ohne den erhofften Lustgewinn. Die Perspektive „Suizid aus Langeweile und Überdruss“ scheint wahrscheinlich.

Doch auch François ist noch zu etwas nütze: Als Trophäe in der Schlacht um die geistige Lufthoheit in Frankreich. Und so bekommt er ein unmoralisches Angebot vom neuen Präsidenten der Sorbonne: Als Konvertit könne er einen hochbezahlten Lehrstuhl einnehmen und sich dank dieser gesellschaftlichen Stellung die ihm zustehende Anzahl Ehefrauen leisten. Er ziert sich pro forma noch ein wenig, aber der Glaubensübertritt wird dann standesgemäß prächtig gefeiert, in der Großen Moschee von Paris.

So weit, so denkbar. Doch wie bringt man das ins Theater?



Unterwerfung am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) David Baltzer


Die Bühne (Ursula Gaisböck) im kleinen, übervollen Dachgeschoss des Kleinen Hauses ist spärlich, zwei in den Raum ragende Flügelwände, auf denen zwei Drittel der Dreifaltigkeit der französischen Revolution geschrieben stehen. Der fehlende Part wird aus im Raum stehenden einzelnen Buchstaben gebildet, die dann auch mal als Pult dienen oder sich zu anderen Worten wie Securité formen lassen. Der Videoeinsatz (Robert Lehniger) hat die passende Smartphone-Optik und die richtige Dosierung, er bringt die Geschichte dort voran, wo es notwendig ist, verzichtet aber auf jegliche Mätzchen. Die Kostüme – auch diese von Ursula Gaisböck – gaben den Charakteren den passenden Rahmen, das Herz in der Schlabberhose von Francois konnte man fast sehen.

Bei der notwendigen Fokussierung der Geschichte auf die Hauptfigur haben es alle anderen Rollen naturgemäß schwer, dennoch glänzte Lorenz Nufer sowohl als intellektuelles Leichtgewicht Steve als auch als unbeholfener Literaturpapst. Ben Daniel Jöhnk gab den Sorbonne-Präsidenten Rediger als jovialen, weltgewandten Machtmenschen und ließ den religiösen Fanatiker dennoch durchblicken. Lea Ruckpaul hatte die größte Bandbreite zu bewältigen, ihre Myriam ging sehr zu Herzen, die Studentin und die Zweitfrau waren Routine, doch selbst die (laut Vorlage) Professorinnenkröte gelang ihr glaubhaft. Ihre Wandelbarkeit ist immer wieder faszinierend.

Dennoch, das Stück ist eindeutig auf die zentrale Figur François ausgerichtet. Und einen Geeigneteren als Christian Erdmann hätte man am Staatsschauspiel dafür nicht finden können: Seine Figuren durchweht fast immer ein Hauch des Scheiterns, des Der-Situation-nicht-gewachsen-Seins, der Überforderung. All das konnte er hier ausspielen, gepaart mit Larmoyanz angesichts der eigenen Situation, Ziel- und Freudlosigkeit, Schwäche und Selbstmitleid. Sein François ist ein Loser, den das Schicksal dennoch dorthin spült, wo er selbst nie hingekommen wäre. Aber er gibt die Figur nie der Lächerlichkeit preis, François bleibt dem Zuschauer emotional nahe, selbst seine Konvertierung ist nachvollziehbar. Auch der François wird damit zu einer seiner großen Rollen in Dresden, ob weitere folgen werden, wird man hoffentlich bald erfahren.

Am Ende, auf der Treppe nach unten, fragte mich die Fernsehreporterin, ob ich mir das Szenario auch real vorstellen könne und ob das Stück in Dresden aufzuführen wohl etwas Besonderes sei. Nein, muss ich gestammelt haben, und nochmal nein, man solle die Situation in Dresden nicht auf die Montage reduzieren. Daß diese „Bewegung“ intellektuell auf einer gänzlich anderen Ebene spiele, konnte ich leider nicht mehr anbringen, das wäre zur Erläuterung aber doch notwendig gewesen. Die literarische und theatrale Auseinandersetzung mit einer möglichen Ausbreitung der islamischen Religion hat mit den Montagspöbeleien soviel zu tun wie… ach, was weiß ich. Jedenfalls nicht viel.
Sandro Zimmermann - 6. März 2016
ID 9186
UNTERWERFUNG (Kleines Haus, 05.03.2016)
nach dem Roman von Michel Houellebecq

Regie: Malte C. Lachmann
Bühne und Kostüm: Ursula Gaisböck
Video: Robert Lehniger
Licht: Thomas Wildenhain
Dramaturgie: Janine Ortiz
Besetzung:
Franҫois: Christian Erdmann
Steve / Alain Tanneur / Dom Jean-Pierre Longeat / Jean-François Loiseleur ... Lorenz Nufer
Myriam / Marie-Françoise / Godefroy Lempereur ... Lea Ruckpaul
Rediger ... Ben Daniel Jöhnk
Premiere am Staatsschauspiel Dresden war am 5. März 2016
Weitere Termine: 8., 13. 3. / 14. - 16., 29., 30. 4. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Sandro Zimmermann

teichelmauke.me

Unterwerfung am Thalia Theater Hamburg



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